PECH-Therapie für verletzte Fußballer

FRANKFURT/MAIN. Fußball zählt zu den Sportarten mit den häufigsten Verletzungen. Außer der hohen Inzidenz gibt es eine große Bandbreite der Verletzungsmöglichkeiten.

Von Ingo Tusk Veröffentlicht:

Genau 368 gesunde Fußballspieler sind in den 16 qualifizierten Mannschaften am 7. Juni 2008 zur Europameisterschaft in der Schweiz und in Österreich angetreten. Manche haben ohne jede Blessur die Spiele absolviert - oder werden sie noch absolvieren. Andere haben sich verletzt - und es wird vermutlich einige weitere Verletzungen bei den noch ausstehenden Spielen geben.

Mit schweren Verletzungen gehen bei den Spielern oft Enttäuschung, Zorn und Ohnmacht einher. Die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP), in der die Sportmediziner organisiert sind, hat typische Verletzungen in einer Übersicht zusammengestellt.

  • Prellung der unteren Extremität ist die häufigste Verletzung. Etwa ein Viertel der Verletzungen wiederholen sich an gleicher Stelle. Die Oberschenkelverletzung wird in zwei Arten unterteilt: die häufigere Prellung der Oberschenkel-Streckmuskulatur und die Zerrung der Beugemuskulatur durch Überdehnung und Abbremsen. In der Regel hinterlässt eine Prellung eine Prellmarke, der Riss (Ruptur) des Muskels zeigt oft eine Delle. Ein Bluterguss (Hämatom) zeigt sich nur bei einer intermuskulären Verletzung. Eine Verletzung im Muskel selber bleibt ohne Hautverfärbung. Muskeltests sichern die Diagnose. Die Sofort-Behandlung erfolgt nach dem "PECH - Schema" (Pause - Eis - Compression - Hochlagerung). Blutungen im Muskel können bis zu 48 Stunden anhalten. Das oberste Behandlungsziel ist, die Blutung so gering wie möglich zu halten. Für vier bis fünf Tage werden keine Massagen durchgeführt. Eine ergänzende medikamentöse Therapie aus Cox-2- Hemmern und Enzympräparaten hat sich bewährt, zusätzlich auch homöopathische Mittel mit Arnika.
  • Akute Sehnenrisse (Rupturen) müssen rasch operativ versorgt werden. Blutungen im Muskel heilen deutlich länger als Blutungen zwischen Muskeln. Daher ist es für die Prognose sehr wichtig, die Blutungsart zu differenzieren. Die Prognose der muskulären Verletzungen ist gut. Es sollte jedoch darauf geachtet werden, dass der Sportler das Training nicht zu früh wieder aufnimmt, da sonst die Gefahr der erneuten Verletzung an gleicher Stelle besteht und es zu einer ungleich längeren Verletzungspause kommt.
  • Ein diagnostisches Chamäleon ist der Leistenschmerz des Fußballers. Es gibt vielerlei Zustände, die den Schmerz in die Leistenregionen projizieren, unabhängig davon, ob sie aus der Leiste stammen. Häufige Ursachen sind eine Zerrung der Adduktoren-Muskeln (im Oberschenkel) sowie des geraden Bauchmuskels, des geraden Oberschenkelmuskels und des Iliopsoas. Daneben muss auch immer an einen Leistenbruch gedacht werden. Die Behandlung erfolgt auch hier nach der PECH-Regel.
  • Beim Knie stehen die Verletzungen des vorderen Kreuzbandes im Vordergrund, oft in Verbindung mit dem Seitenband - Innenmeniskusverletzungen. Zusätzlich werden Knorpelverletzungen beobachtet. Bei Knieverletzungen ist eine schnelle Entscheidung des Mannschaftsarztes auf dem Spielfeld erforderlich. Durch Unfallhergang, Beschreibung des Befundes und durch eine gründliche körperliche Untersuchung wird das Ausmaß der Knieverletzung bestimmt. Der Spieler muss gegebenenfalls vom Spielfeld getragen werden. Die sofortige Behandlung besteht auch hier in der PECH-Regel, welche für wenigstens 24 Stunden fortgeführt werden sollte.
  • Meniskusverletzungen sind die häufigsten Verletzungen des Kniegelenks im Fußballsport. Der Innenmeniskus ist fünfmal häufiger betroffen als der Außenmeniskus. Bei akuten Blockierungen nach einem "Verdrehtrauma" liegt meist eine frische Meniskusverletzung vor. Eine Diagnostik und Therapie mit Arthroskopie sollte rasch vorgenommen werden. Da die Kniegelenksarthrose nach Meniskusentfernung häufige Ursache für die Aufgabe des Fußballsportes ist, wird die Meniskusnaht empfohlen, besonders bei Amateuren.
  • Die Knorpelverletzung kommt beim Fußball isoliert und in Verbindung mit Meniskusverletzungen vor. Sie führt regelhaft zu einem langen Ausfall des Spielers. Neben der klinischen Untersuchung ist die Kernspintomographie hilfreich. Die Meinungen zur Therapie von akuten Knorpelverletzungen sind nicht einheitlich. Die Reha ist in jedem Fall langwierig, der Spieler fällt für mindestens sechs bis acht Monate aus.
  • Die Außenbänder sind bei Sprunggelenkverletzungen sehr häufig betroffen, seltener die medialen Bänder. Nicht übersehen werden dürfen Syndesmosenverletzungen (Verbindung zwischen Schien- und Wadenbein), bei jugendlichen Fußballern auch die Epiphysenverletzung. Typischer Verletzungsmechanismus ist der Kontakt mit dem Gegner, wobei das obere Sprunggelenk gestreckt und nach innen gedreht wird. Bei der Sofortbehandlung auf dem Spielfeld ist eine rasche Entscheidung zu treffen, ob der Spieler eine bedeutsame Bänderverletzung erlitten hat oder nicht. Soforttherapie: PECH-Schema. Je schneller die Blutung gestoppt und die Gelenksschwellung eingedämmt wird, desto kürzer ist die Rehabilitation für den Spieler. Die Bandverletzungen am oberen Sprunggelenk werden meist konservativ behandelt. Eine Ausnahme bildet die Syndesmosenverletzung, die durch Einstellung, Naht und Schraube oder Tight-Rope versorgt wird.
  • Schädel-Hirn-Verletzungen sind selten. Der Mannschaftsarzt muss beim geringsten Verdacht auf eine Gehirnerschütterung oder eine schwerere Hirnverletzung den Spieler sofort aus dem Spiel nehmen und eine rasche Diagnose veranlassen, meist durch ein Computerröntgen.

Die meisten Verletzungen ereignen sich zwischen der 31. und 45. beziehungsweise der 76. und 90. Spielminute, also jeweils zum Ende einer Halbzeit. Sie gehen auf einen heftigen Körperkontakt zurück. Die Hälfte aller Verletzungen wird durch Foulspiel verursacht. Die untere Extremität ist am häufigsten verletzt. Oberschenkelverletzungen überwiegen (23 Prozent) vor der Sprunggelenks- (17 Prozent) und Knieverletzung (16 Prozent). Unterschenkel und Leiste folgen (14 Prozent und 11 Prozent). Die Verletzungsgefahr ist bei Turnieren und Wettkämpfen höher als im Training.

Der Beitrag von Dr. Ingo Tusk entstand in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (www.dgsp.de)

ZUR PERSON

Dr. Ingo Tusk ist Facharzt für Orthopädie, Spezielle Orthopädische Chirurgie und Sportmedizin. Er ist Leiter der Sektion "Sportorthopädie und Endoprothetik" an der Fifa-Delegationsklinik Rotes Kreuz in Frankfurt am Main. Von 2001 bis 2003 wirkte Tusk als Kooperationsarzt beim Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt, seit 2005 arbeitet er als Mannschaftsarzt bei Kickers Offenbach und beim Frauen UEFA-Cup-Sieger 1. FFC Frankfurt. Für die Betreuung der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 war er akkreditierter Fifa-Arzt. Im Mai 2006 wurde Dr. Ingo Tusk zum Vizepräsidenten der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention gewählt.

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