Hintergrund

Bremer Studie zeigt erschreckendes Bild der Allgemeinmedizin bei vielen Studierenden

Die Hausärzte und ihr Job werden unterschätzt, und zwar massiv. Dies ist das Ergebnis einer Bremer Studie. Thema: Die Sicherung der hausärztlichen Versorgung aus der Perspektive des ärztlichen Nachwuchses und der Hausärzte.

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Die Allgemeinmedizin nehmen viele Medizin-Studierende nur als "Anhängsel der großen klinischen Fächer" wahr.

Die Allgemeinmedizin nehmen viele Medizin-Studierende nur als "Anhängsel der großen klinischen Fächer" wahr.

© Foto: Klaro

Von Christian Beneker

Ein Jahr lang haben Gesundheitswissenschaftler der Bremer Universität Medizinstudierende und Hausärzte über das Bild der Allgemeinmedizin befragt. Das Ergebnis ist ernüchternd: "Ich habe als Student auch immer gedacht, ob diese (...) Praktischen Ärzte überhaupt Medizin machen. Wir haben darüber gelacht, wie die Fehldiagnosen machen", berichtet rückschauend ein Hausarzt.

Und ein Student sagt auf die Frage, was er über Allgemeinmedizin wisse: "Ich bin ich da überfragt, weil ich nicht verfolgt habe, wie ein Allgemeinmediziner wirklich arbeitet." Das Bremer Institut hat über sechs Monate Interviews mit Studierenden, Hausärzten und Weiterbildungsassistenten in Schleswig Holstein und Mecklenburg-Vorpommern geführt und in der Auswertung viele Antworten im Originalton wiedergegeben.

Interviews waren möglichst offen gestaltet

Dieses Verfahren ermöglicht es, das besondere Anliegen der Studienautoren hervorzuheben: das Image der Allgemeinmediziner und ihrer Aufgaben. "Wir haben leitfadengestützte, qualitative Interviews gewählt, um den Interviewpartnern auch die Möglichkeiten zu geben, die Gespräche möglichst offen zu gestalten", erklärt Projektleiter Professor Norbert Schmacke von der Bremer Universität der "Ärzte Zeitung".

Entsprechend breit gestreut sind die Themen - von Status und Inhalt der Ausbildung an der Uni über Honorare bis hin zu nächtlichen Besuchstouren. Vollkommen neu erscheinen die Ergebnisse nicht, in ihrer Deutlichkeit ist die Studie aber höchst lesenswert.

Sie unterstreicht zum Beispiel, dass die Allgemeinmedizin erst sehr spät im Studium behandelt wird und stiefmütterlich dazu. Das habe zur Folge, dass sich viele Studierende bereits in Richtung anderer Fachrichtungen und Spezialisierungen orientiert haben, "lange bevor sie überhaupt mit der Allgemeinmedizin in Berührung kommen", heißt es.

Eine Studentin erklärte: "Eine Kommilitonin tendiert stark zur Pädiatrie (...), ein anderer Kommilitone möchte in die Unfallchirurgie. Dagegen ist ein Allgemeinmediziner bis jetzt noch gar nicht aufgetaucht." Bei den Studierenden werde Allgemeinmedizin zunächst als "das Anhängsel der großen klinischen Fächer" wahrgenommen. Schmacke: "Es bringt nichts, das Hohelied der hausärztlichen Versorgung zu singen, wenn die Studierenden selbst das Fach gar nicht praktisch erfahren."

Indessen steigt das Ansehen der Hausärzte mit den Blockpraktika in den Praxen. In den höheren Semestern sei damit ein positiverer Kontakt zur Allgemeinmedizin feststellbar, heißt es. So erklärte ein Student: "Die Allgemeinmedizin-Vorlesung hat dazu beigetragen, dass ich gesagt habe, das ist kein richtiges Fach, das ist alles nur Humbug. Ich bin eines Besseren belehrt worden in meinem Blockpraktikum. Die Vorlesung ist grauenvoll. Ich habe danach gedacht: Allgemeinmediziner sind gescheiterte Ärzte. Da bin ich froh, dass ich im Blockpraktikum noch viel dazugelernt habe."

Assistenten fehlt eine Struktur der Weiterbildung

Und Hausärzte und Weiterbildungsassistenten? Sie beklagten vor allem die fehlende Struktur der Weiterbildung: "Die Weiterbildung war überhaupt nicht strukturiert", erklärt entnervt ein Interviewpartner. Die Studie spricht gar von einer "systematischen Desorganisation" in der klinischen Phase der Weiterbildung. Die Autoren fordern daher verbindliche fachliche Anleitung durch Mentoren.

Ein weiterer Schwerpunkt, sowohl bei Studierenden als auch bei Ärzten, liegt auf dem engen Patientenkontakt. Während die Generation der Baby-Boomer die große Nähe zu den Patienten als notwendigen Teil der Arbeit, sogar als Beweggrund für den Beruf ansehen, sind die jüngeren Kollegen nüchterner. Ein Hausarzt drückt es so aus: "Bei Vielen ist die Bereitschaft nicht vorhanden‚ für andere da zu sein."

www.akg.uni-bremen.de, Arbeitspapier 05/2008.

Bremer Studie zum hausärztlichen Nachwuchs

Die Bremer Gesundheitsforscher haben 37 Interviews geführt, und 32 davon ausgewertet, und zwar mit 15 Studierenden von vier Universitäten, zwei in Schleswig-Holstein und zwei in Mecklenburg-Vorpommern, sowie mit 17 Ärzten in der Weiterbildung Allgemeinmedizin sowie niedergelassenen Hausärzten aus beiden Bundesländern. Die Interviews fanden im ersten Halbjahr 2007 statt. Die leitfadengestützten, qualitativen Interviews dauerten zwischen 45 Minuten und einer Stunde.

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