Hintergrund

Gendoping könnte für skrupellose Sportler reizvoll, aber auch extrem gefährlich sein

Die Olympischen Spiele sind seit Wochen vorbei, aber der Zweifel an der Natürlichkeit einiger gezeigter Leistungen bleibt. Nicht ohne Grund wurden alle 4500 Dopingproben eingefroren, um sie zu einem späteren Zeitpunkt, wenn neue Testverfahren entwickelt sein werden, erneut zu analysieren.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Spritzensport statt Spitzensport - das gilt bereits für viele Sportarten. Durch Gendoping könnte sich eine neue Manipulations-Dimension eröffnen.

Spritzensport statt Spitzensport - das gilt bereits für viele Sportarten. Durch Gendoping könnte sich eine neue Manipulations-Dimension eröffnen.

© Foto: dpa

Möglicherweise - wenngleich aus heutiger Sicht nicht sehr wahrscheinlich - werden sich dabei auch erste Hinweise auf Manipulationen auf genetischer Ebene zeigen. In seinem jetzt vorgelegten Bericht über Gendoping kommt das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) jedenfalls zu dem Ergebnis, dass diese Form der Leistungsmanipulation bereits "in den kommenden Jahren eine neue Qualität von Doping zur Folge haben und die Dopingbekämpfung vor neue Herausforderungen stellen" wird.

In seiner Beschreibung, was Gendoping sei, folgt das TAB der Definition der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), wonach man unter diesem Begriff "die nichttherapeutische Anwendung von Zellen, Genen, Genelementen oder der Regulierung der Genexpression, welche die sportliche Leistungsfähigkeit erhöhen kann", vereint.

Dabei werde zumeist "konkret genetisches Material in Form von DNA oder RNA einer Zelle, einem Organ oder Organismus zugeführt". Hingegen seien Strategien der Menschenselektion oder gar -züchtung mit dem Ziel der sportlichen Leistungssteigerung in "absehbarer Zukunft" aller Voraussicht nach nicht umsetzbar, weil das molekulargenetische Wissen zu "Hochleistungsgenvarianten" bislang äußerst begrenzt, unscharf und widersprüchlich sei.

Das Ziel von Gendoping sei viel eher eine Modifikation der körpereigenen Genaktivität - ob in Form einer Aktivierung, Verstärkung, Abschwächung oder Blockade der Genexpression. Wahrscheinliche Ansatzpunkte sehen die Autoren des TAB-Berichts in drei physiologischen Bereichen und deren molekularer Regulation: dem Aufbau der Skelettmuskulatur, der Sauerstoffversorgung und der Energiebereitstellung.

Ein Ansatz für eine genetische Manipulation im Bereich der Skelettmuskulatur bildet das Myostatin-Gen. Laborversuche mit Mäusen etwa haben ergeben, dass man durch das Ausschalten dieses Gens ein abnormes Muskelwachstum erzielen kann. Eine verbesserte Sauerstoffversorgung könnte durch eine körpereigene Stimulation der Synthese von Erythropoeitin (EPO) erreicht werden - hier gibt es in der Forschung schon vielversprechende Ansätze. Schließlich kann beispielsweise die Glucoseverwertung (vor allem im Skelettmuskel) durch die Überexpression des Gens GLUT4 (Glucosetransporter4) gesteigert werden.

Die gesundheitlichen Risiken solcher Manipulationen sind kaum abschätzbar, da sie ohne empirische Basis nur wissenschaftlich plausible Annahmen darstellen. Beim Einschleusen von genetischem Material ergeben sich mögliche Risiken durch unkontrollierte Ausbreitung des Fremdgens im Organismus, durch Mutationen und Immunreaktionen. Eine Folge der übermäßigen Genexpression von leistungsrelevanten Biomolekülen könnte ein unkontrolliertes Zellwachstum sein.

Leistungen ließen sich in vielfacher Hinsicht enorm steigern.

Die unwägbaren Gesundheitsrisiken des Gendopings, so vermuten die Autoren, werden jedoch keinen manipulationsbereiten Athleten abschrecken. "Entscheidend für eine Nutzung (...) von Gendopingmethoden dürften (...) in erster Linie die potenzielle Steigerung der Leistungsfähigkeit, sowie die (Nicht-)Nachweisbarkeit sein." Hier setzt die WADA an, die schon vor Jahren ein internationales Förderprogramm zum Gendopingnachweis ins Leben gerufen hat. Derzeit werden zwanzig Forschungsprojekte gefördert.

Die meisten Forscher wollen beim Athleten Abweichungen vom normalen physiologischen Zustand bestimmen und zielen damit auf einen indirekten Nachweis von Gendoping. Hierbei geht es um die Bestimmung hochdifferenzierter Profile verschiedener Moleküle in Blut- und Gewebeproben, so genannter Biomarker. Ob eindeutige Hinweise auf eine Manipulation der Genaktivität allein als Nachweis ausreichen oder nur einen Anfangsverdacht begründen werden, dem sich spezifische Einzelnachweise anschließen müssen, ist derzeit noch nicht geklärt.

Der TAB-Bericht stellt die zurzeit wohl umfassendste Untersuchung zu den Entwicklungen möglichen Gendopings dar. Deutlich wird, dass es mehrere Ansatzpunkte und viele medizinisch-pharmazeutische Methoden und Verfahren gibt, die zur Leistungssteigerung missbraucht werden könnten. Die Autoren weisen darauf hin, dass solche Manipulationen über den Leistungssport hinaus künftig auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen könnten, etwa im Bereich in der Anti-Aging-Medizin.

Der Bericht im Internet: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/095/1609552.pdf

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Gendoping ist keine Zukunftsmusik

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