Mediziner brechen in Berlin ein lang gepflegtes Tabu

Psychische Probleme, Burn-Out und Sucht machen vor Ärzten nicht Halt. Doch selten wird in der Zunft der Ärzte über die wachsende Überforderung im Job oder die hohen Selbstmordraten gesprochen.

Von Ulrike von Leszczynski Veröffentlicht:
Endstation Krankenhaus: Berufsbedingte psychische Probleme machen auch vor Ärzten nicht Halt.

Endstation Krankenhaus: Berufsbedingte psychische Probleme machen auch vor Ärzten nicht Halt.

© Foto: dpa

Das Schweigen bricht in Berlin zurzeit der Deutsche Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie. Ärzte sprechen hier nicht nur über neue OP-Methoden oder Knochenschwund. Sie diskutierten auch über eigene Nöte. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), nimmt kein Blatt vor den Mund. Kostendruck und unmenschliche Arbeitsverdichtung machten immer mehr Ärzte krank, sagte er. Leidtragende seien immer die Patienten, ergänzte Kongresspräsident Axel Ekkernkamp.

Auf verschiedene Ursachen für eine Überforderung im Job machten erst Anfang dieser Woche wieder Chirurginnen aus Deutschland aufmerksam. Bei einer Umfrage unter 900 Ärztinnen klagten die meisten über die überbordende Bürokratie, Überstunden und lange Nachtdienste.

Was daraus folgen kann, hat Astrid Bühren, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, miterforscht. "Am Anfang stehen psychosomatische Reaktionen wie Kopf- oder Rückenschmerzen", sagt sie. Am Ende der Überlastungsspirale kann es um Selbstmordgedanken gehen. "Gerade Frauen stellen sehr hohe Ansprüche an sich selbst", sagt Bühren.

Nach einer Untersuchung Hamburger Rechtsmediziner aus dem Jahr 2006 liegt die Selbstmordrate bei Ärztinnen in Deutschland bis zu fünf Mal höher als in der Allgemeinbevölkerung - bei den männlichen Kollegen bis zu drei Mal höher. Der Ärztinnenbund hat bereits eine Burn- Out-Hotline eingerichtet. Doch Bühren schildert auch, wie sich Überlastung ganz anders begegnen lässt. An ihrer Klinik im bayerischen Murnau gibt es eine Kindertagesstätte, die von 05.15 Uhr bis 21.30 Uhr geöffnet hat - jeden Tag. Doch erst zehn Prozent der deutschen Kliniken kümmerten sich um eine gute Kinderbetreuung zur Entlastung von Ärzten und Pflegepersonal, kritisiert Bühren.

Neue Wege ist auch das Berliner Unfallkrankenhaus gegangen. Eine Million Euro investierte das Haus, um im "OP der Zukunft" die Abläufe zu verbessern. Stolperfallen wie Kabel verschwanden vom Boden. Mitten in einer OP kann ein Arzt nun auch Kollegen via Monitor und Live- Bildern vom offenen Kniegelenk bei Unsicherheiten um Rat fragen. "Lohnerhöhungen als Allheilmittel greifen zu kurz", argumentiert Kongresspräsident Ekkernkamp als ärztlicher Direktor der Klinik. "Bessere Arbeitsbedingungen motivieren deutlich mehr als Geld."

Die Berliner Unfallchirurgen haben vielleicht auch deshalb weniger Berührungsängste beim Thema Stress und Überlastung. Gemeinsam mit Schweizer Kollegen hängten sie einer Fachumfrage kürzlich eine letzte Seite an. "Gerne würden wir noch erfahren, wie es Ihnen derzeit geht", stand dort zu lesen. Von 1199 Kollegen aus 69 Ländern antworteten darauf unerwartet viele - rund die Hälfte. Durch alle Altersgruppen und Hierarchie-Ebenen hindurch klang die Selbstanalyse ähnlich: Körperlich fühlen wir uns fit, psychisch nicht.

Mit einer Negativ-Folge von psychischem Druck hat sich Götz Mundle von der Oberbergklinik Schwarzwald beschäftigt: Sucht. Am häufigsten ist er bei Ärzten auf Alkohol und Medikamentenmissbrauch gestoßen - und auf ein großes Tabu. Süchte bei Ärzten würden von ihnen selbst und im Umfeld oft verleugnet, so Mundle. Das Idealbild des immer hilfsbereiten, anhaltend belastbaren und seelisch stabilen Arztes führe dazu, dass suchtkranke Ärzte Hilfsangebote schwer akzeptierten. (dpa)

Das sind die Warnzeichen für einen Burn-Out

Aus Sicht des Frankfurter Burn-Out-Experten Dr. Axel Schüler-Schneider besteht eine akute Burn-OutGefahr:

  • wenn Partner oder Patienten sagen, man habe sich verändert und sei nicht mehr der, der man einmal war,
  • wenn man bemerkt, dass man zunehmend zynisch und sarkastisch auf Patienten reagiert,
  • wenn man etwa nicht mehr so wie früher zum Sport geht, sondern abends nur noch vor dem Fernseher sitzt und Alkohol trinkt,
  • wenn man immer weniger Zeit für die Familie hat und immer weniger mit dem Partner redet.
  • Wichtig ist, über Probleme zu reden, statt sie zu verleugnen, so Schüler-Schneider. Wenn dieser Anfang gemacht ist, kann man in kleinen Schritten gegensteuern und die Batterien wieder aufladen. (ug)
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