Berühmte Kranke, umstrittene Ärzte

Prominente sind schwierige Patienten - das war auch schon zu Zeiten von Napoleon, Schiller oder Nietzsche so. Ein Buch berichtet nun über die Diagnosen ihrer Ärzte.

Von Pete Smith Veröffentlicht:

Friedrich Nietzsche betrachtete seine Ärzte, gelinde gesagt, mit Misstrauen. "Man muss für seinen Arzt geboren sein, sonst geht man an seinem Arzt zugrunde", schrieb der Philosoph, der zeit seines Lebens unter starken Schmerzen litt. Seine Ärzte konnten ihm nicht helfen und bekleckerten sich auch nach seinem Ableben nicht mit Ruhm, wie Dr. Jörg Zittlau in seiner amüsanten Kulturgeschichte über "Berühmte Kranke und ihre schlechten Ärzte" beschreibt. Ihre Behauptung, Nietzsches Geisteskrankheit sei als Folge seiner Syphilis zu werten, wird noch heute gern zitiert. Dabei, so Zittlau, gilt längst als wahrscheinlich, dass Nietzsche in Folge eines Hirntumors starb.

Wie starben Mozart, Churchill, Hitler und Elvis?

"Matt und elend lag er da" lautet der Titel von Zittlaus Sammlung, die fatale Diagnosen und Therapien der vergangenen Jahrhunderte auf lustige Weise referiert. Sein Patientenregister ist ein "Who's who?" der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte. Mozart, Beethoven, Schiller, Voltaire, van Gogh, Freud, Kafka, Klee, Hemingway, Elvis - die meisten von ihnen hätten länger leben können, wenn ihre Ärzte nicht gepfuscht hätten, glaubt der Bremer Wissenschaftsjournalist. Aber auch jene Ärzte, die Herrscher und Despoten wie Napoleon Bonaparte, Kaiser Wilhelm II., Friedrich III., König Ludwig II., Churchill, Hitler oder John F. Kennedy untersuchten, lagen in ihren Einschätzungen oft genug daneben. So ist die Behauptung, Mediziner hätten an der Welt- und Kulturgeschichte wesentlich mitgeschrieben, nicht von der Hand zu weisen.

Bleisalz und Bleiseife als Therapieoption

Ludwig van Beethoven (1770-1827) hat zwischen seinem 28. Lebensjahr und seinem Tod bei mindestens zehn Ärzten Hilfe gesucht. Bekanntlich litt das Musikgenie an Schwerhörigkeit, aber auch an Rheuma, Asthma, Masern, Typhus und Pocken. Bekannt ist, dass Beethoven das Opfer einer Bleivergiftung wurde, die die meisten Chronisten auf seinen üppigen Weinkonsum zurückgeführt haben. Wein wurde zu seiner Zeit oft mit "Bleizucker" versetzt, um ihn zu süßen und um unliebsame Säuren zu binden.

Der Wiener Gerichtsmediziner Professor Christian Reiter dagegen kam 2007 zu einem anderen Ergebnis: Reiter analysierte eine Haarprobe des Musikers und entdeckte, dass Beethoven in den letzten 111 Tagen seines Lebens "phasenhaften, exzessiven Bleibelastungen" ausgesetzt gewesen war. Reiters These: Vermutlich gelangte die hohe Bleikonzentration durch ärztliche Therapieversuche in Beethovens Körper. Dessen Hausarzt Dr. Andreas Wawruch behandelte die Lungenentzündung seines berühmten Patienten nämlich mit Bleisalz, außerdem wurden Beethovens Wunden von ihm mit Bleiseife verklebt.

Entsprach die aus heutiger Sicht fatale Behandlung Beethovens noch den damals durchaus üblichen Therapieoptionen, muten andere, in der kleinen Weltgeschichte des Ärztepfuschs dokumentierte Behandlungen geradezu grotesk an. Vincent van Gogh (1853-1890) beispielsweise geriet in der Irrenanstalt von St. Rémy an einen Augenarzt, den Direktor der Anstalt Dr. Théophile Peyron, der dem Künstler zweimal in der Woche ein zweistündiges Bad verordnete und ihn darüber hinaus mit einem Malverbot strafte.

Selbst Schiller hatte kein Glück mit seinem Arzt

Napoleon Bonaparte (1769-1821) geriet nach seiner Verbannung auf Sankt Helena gleich an mehrere Ärzte, die ihm mehr schadeten als halfen. Einer, Dr. Francesco Antomarchi, verordnete dem Ex-Kaiser, als jener sich massiv erbrach, ausgerechnet ein Brechmittel, ein anderer, Dr. Archibald Arnott, verabreichte dem Hinscheidenden Quecksilberchlorid, ein Abführmittel, das ihm endgültig den Rest gab. Auch Friedrich Schiller (1759-1805), selbst Arzt, hatte am Ende seines leidensreichen Lebens wenig Glück mit seinem Arzt. Der Dichter, der an Tuberkulose litt, brach während eines Theaterbesuchs mit Schmerzen zusammen. Dr. Ernst Huschke, Leibarzt des Herzogs zu Weimar, diagnostizierte ein "gewöhnliches rheumatisches Seitenstechfieber", das leicht zu überstehen sei. Trotzdem verordnete er Schiller etliche Medikamente, darunter auch Rizinusöl und Opiumtinktur. Die Mixtur, heißt es in dem Buch, beschleunigte des Dichters Tod - am 9. Mai 1805 wurde er endlich von seinen Leiden erlöst.

"Die Ärzte haben mehr Menschenleben auf dem Gewissen als die Generäle", befand der gebeutelte Ex-Kaiser Napoleon Bonaparte und verfügte, dass nach seinem Tod sein Leichnam geöffnet werde, um Ursachen seiner Krankheit zu erforschen. Eine weise Entscheidung, die der Weltgeschichte der falschen Therapien ein weiteres Kapitel hinzufügte.

Jörg Zittlau: Matt und elend lag er da. Berühmte Kranke und ihre schlechten Ärzte. Ullstein Verlag. Berlin 2009. 223 Seiten.14,90 Euro.

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