Genie und Wahnsinn - nur ein Mythos?

Der Komponist Robert Schumann muss oft als Beispiel dafür herhalten, dass Genie und Wahnsinn eng beieinanderliegen. Doch offenbar gibt es nur wenig Beweise dafür, dass Psychosen zu erhöhter Kreativität führen.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Bis heute hoch verehrt: Denkmal des Komponisten Robert Schumann im sächsischen Zwickau.

Bis heute hoch verehrt: Denkmal des Komponisten Robert Schumann im sächsischen Zwickau.

© Preußer / imago

GÖTTINGEN. Genie und Wahnsinn liegen oft nah beieinander, sagt der Volksmund. Als Paradebeispiel für diese enge Verbindung wird häufig der Komponist Robert Schumann angeführt. Für Susanne Rode-Breymann, Professorin für historische Musikwissenschaft und Präsidentin der Hochschule für Musik und Theater in Hannover, ist Schumann jedoch in erster Linie ein Paradebeispiel für eine pathologische Mythosbildung.

Dieser Mythos halte sich erstaunlich hartnäckig, sagte Rode-Breymann bei einem Vortrag zum Thema "Genie oder Wahnsinn: Musikalische Kreativität und Psychose bei Robert Schumann" im Alten Rathaus in Göttingen.

Der Vortrag war die Auftaktveranstaltung zum 4. Internationalen Symposium der "Göttingen Research Association for Schizophrenia" (GRAS) am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin. Die oft geäußerte Vermutung, dass es einen Zusammenhang zwischen Genie und Wahnsinn gebe und Psychosen mit erhöhter Kreativität einhergingen, lasse sich zumindest statistisch nicht belegen, sagte der Direktor des Max-Planck-Instituts, Professor Nils Brose, in seiner Einführungsrede.

Epidemiologische Forschungen zeigten, dass jeder 100. Mensch einmal in seinem Leben eine schizophrene Episode habe - unabhängig von kulturellen und sozialen Hintergründen. "Das hat auch nichts mit dem Intelligenzquotienten zu tun."

Genie und Wahn - Denkfigur des 19. Jahrhunderts

Die vermeintliche Nähe von Genie und Wahnsinn sei eine Denkfigur des 19. Jahrhunderts, sagte Susanne Rode-Breymann. Dahinter stecke die Idee, dass das Geniale etwas mit dem Übersteigerten zu tun habe. Diese historische Denkfigur habe eine enorme Beharrungskraft.

Offenbar gebe es für sie eine Art Schreibschutz im kulturellen Gedächtnis: "Sie ist nicht zu löschen." Ihr Vortrag sei daher eine Art Gegenrede, um ein Bild des Komponisten zu zeichnen, "das ohne den Wahn auskommt".

"Leben und Werk Schumanns sind nicht eins"

"Ich will ein Bild des Komponisten zeichen, das ohne Wahn auskommt." (Susanne Rode-Breymann, Musikwissenschaftlerin)

"Ich will ein Bild des Komponisten zeichen, das ohne Wahn auskommt." (Susanne Rode-Breymann, Musikwissenschaftlerin)

© Rink

Schumanns Werk werde immer mehr von seinem Leben als von seinen Kompositionen her gedeutet, sagte Rode-Breymann. Es sei aber ein "fundamentaler Irrtum", Leben und Werk "für eins" zu halten. Ein solches Erklärungsmodell greife zu kurz, tatsächlich seien derartige Bezüge nur äußerst schwierig nachweisbar.

Die Musikwissenschaftlerin warb dafür, diesen Filter, der sich über das Komponierte lege, zu entfernen und die Musik voraussetzungslos zu hören. Zwar prägten die Eigenheiten seiner Psyche den kompositorischen Vorgang, seine Kompositionen seien aber keineswegs als Psychogramme zu lesen.

So sei Schumann während seiner Zeit in Düsseldorf enorm produktiv gewesen, sagte Rode-Breymann. Seine späte Musik, deren scheinbare Regelwidrigkeiten häufig als Ausfluss eines kranken Geistes angesehen wurden, sei keineswegs "krank", sondern einfach "anders". Der Eindruck der Gebrochenheit deute nicht unbedingt auf die Gebrochenheit der Psyche. Vielmehr sei Schumann auf der Suche nach einem neuen kompositorischen Stil gewesen.

Zur psychischen Befindlichkeit Robert Schumanns, der 1854 mit der Diagnose "Melancholie und Wahn" in die private Irrenanstalt in Bonn-Endenich kam und dort zwei Jahre später völlig vereinsamt starb, kursieren die unterschiedlichsten Theorien.

Über Schumanns letzte Jahre seien nicht zuletzt durch die diversen Verfilmungen seines Lebens starke und durch spektakuläre Skandalisierungen geprägte Bilder im Umlauf, sagte Rode-Breymann.

Uwe Henrik Peters, früherer Direktor der Universitätspsychiatrie in Köln, ist dagegen nach Auswertung zahlreicher Quellen zu dem Ergebnis gekommen, dass Schumann keinesfalls geisteskrank war, sondern nur eine schwere psychische Krise durchlebte. Die gängige These, Schumanns Leiden sei auf eine Syphilis zurückzuführen, hält er für falsch.

Der Komponist sei Alkoholiker gewesen und habe sich nach einem Delirium selbst in Behandlung begeben. Die Isolierung in der Klinik habe den Komponisten dann immer mehr verfallen lassen. Auch die Musikwissenschaftlerin hält die Einsamkeit für einen entscheidenden Faktor.

Der Komponist habe sich verlassen gefühlt, sagte Rode-Breymann. In der Klinik habe man ihm zum Teil das Klavierspielen verboten und das Notenpapier verweigert. Das habe seine Kreativität gefrieren lassen. "Er konnte die Bedrohung seiner Seele nicht mehr komponierend mitteilen."

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