Mit 100 Jahren, da fängt das Leben an

Im Süden von Ecuador leben in einem Dorf mehr Hundertjährige als anderswo auf der Welt. Und: Die Alten rauchen, trinken Schnaps und essen viel tierisches Fett.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Zu alt zum Heiraten ist man nie: Die 98-jährige Doña Herminia ist täglich auf dem Feld. Sie lebt in Vilcabamba, dem "Tal der Hundertjährigen".

Zu alt zum Heiraten ist man nie: Die 98-jährige Doña Herminia ist täglich auf dem Feld. Sie lebt in Vilcabamba, dem "Tal der Hundertjährigen".

© Ricardo Coler

José Medina steht täglich auf dem Feld. Mit einer Hacke trennt er die Nutzpflanzen vom Unkraut. Dafür braucht man nicht nur Kraft, sondern gute Augen und einen präzisen Hieb. José Medina ist stark, eine Brille braucht er nicht. Mit seinen 112 Jahren fühlt er sich gut. "Nur wenn ich rauche, wird mir ein wenig schwindelig", sagt er. Nun ja, Don José raucht Chamico, die getrockneten Blätter vom Stechapfel. Da wird auch Jüngeren schwindelig.

Der argentinische Arzt und Autor Ricardo Coler hat José Medina besucht, ihn und weitere Zentenare im "Tal der Hundertjährigen", wie sein kürzlich auf Deutsch erschienener Reisebericht heißt. In Vilcabamba, einem 4200 Einwohner zählenden Ort im Süden Ecuadors, leben zehnmal mehr Hundertjährige als anderswo auf der Welt.

Die Menschen werden 90, 100, gar 120, viele ohne sichtliche Anzeichen des Alters. Ihre Haare sind dicht, ihre Zähne gesund, sie können ohne Brille lesen, klettern Berge hoch und arbeiten wie José Medina täglich im Garten oder auf dem Feld.

Dabei rauchen sie Zigaretten oder das marihuana-ähnliche Chamico, genehmigen sich täglich einen Puro, einen Schnaps, und essen Gerichte mit viel tierischem Fett und Salz - all das, was die Ärzte weltweit als lebensverkürzend geißeln.

Coler hat sich aufgemacht, um das Geheimnis von Vilcabamba zu ergründen. Die Antworten, die er in dem Andendorf erhielt, sind vielfältig: Die einen glauben an die Kraft des Quellwassers, die anderen an die negative Ionenladung der Luft, wieder andere beschwören den Mythos Mandango, den Berg des ruhenden Gottes.

Der ortsansässige Arzt führt die Langlebigkeit seiner Mitbürger auf den familiären Zusammenhalt zurück - "es gibt keine Untreue, keine Heimtücke, keinen Betrug".

Coler bleibt skeptisch und muss doch anerkennen, dass die Uhren in Vilcabamba anders ticken. So steigt Don Timoteo mit seinen 98 Jahren noch immer täglich auf 2000 Meter Höhe, um sein Gemüse zu bestellen, und die Gleichaltrige Doña Herminia schließt nicht aus, in den nächsten Jahren noch einmal zu heiraten.

Eulegio Carpio hat mit über 90 sogar ein junges Mädchen geehelicht und mit ihr drei Kinder bekommen. "Erektionsprobleme kennt man in Vilcabamba nicht", sagt der Arzt, und der Leser ist geneigt, ihm zu glauben.

In Vilcabamba leben die Menschen nicht nur länger als anderswo, sie sterben auch anders. Der Tod ereilt sie, während sie arbeiten, während sie baden, während sie schlafen. Sterbenskrank wird niemand, ein langes Siechtum bleibt allen erspart.

Kein Wunder, dass das "Tal der Hundertjährigen" Hippies, Millionäre und Prominente wie den Schauspieler Larry Hagman oder den US-Astronauten Brian O'Leary anzieht, die sich Heilung von ihren Leiden oder ein ebenfalls 100-jähriges Leben erhoffen. Das Paradies, so endet Colers Bericht, ist bedroht, sein Geheimnis wird wohl nie gelüftet.

Ricardo Coler: Das Tal der Hundertjährigen. Eine Reise zum Ort der ewigen Jugend. Rütten & Loening. Berlin 2010. 17,95 Euro. ISBN 978-3352007910

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