Für Admiral Nelson gab es keine Rettung mehr

Großbritannien öffnet die Archive von Schiffs-ärzten der Royal Navy im 19. Jahrhundert - mit vielen aus heutiger Sicht fast skurril anmutenden Fallbeschreibungen.

Von Sabine Schiner Veröffentlicht:
Kampf gegen Napoleons Flotte: Admiral Nelson stirbt in der Schlacht von Trafalgar.

Kampf gegen Napoleons Flotte: Admiral Nelson stirbt in der Schlacht von Trafalgar.

© imagebroker / imago

FRANKFURT/MAIN. In Großbritannien sind die Bordjournale von Schiffsärzten der Royal Navy aus den Jahren 1793 bis 1880 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Die medizinhistorischen Quellen geben einen spannenden Einblick in das harte Leben der Seeleute.

Mitarbeiter der britischen Archivsammlung ("The National Archives") in London haben in mehreren Jahren mehr als 1000 dieser Journale ausgewertet und nach Schiffen, Schiffsärzten, Patienten und Krankheiten sortiert. Dazu gehören auch Illustrationen, Aquarelle, Handzeichnungen und Kartenmaterialien, die einen Eindruck von den bereisten Ländern und den klimatischen Bedingungen geben.

Gelbfieber, Tarantelbisse und Gewehrkämpfe

Die Fallbeschreibungen der Schiffsärzte handeln von Patienten mit Tuberkulose und Gelbfieber, von alkoholbedingten Unfällen, Geschlechtskrankheiten, Hai- und Tarantelbissen, von Gewehrkämpfen und Meutereien.

Einer der berühmtesten Patienten, der sich in den Archiven findet, ist Admiral Lord Horatio Nelson (1758 bis 1805). Zu ihm wurde der irische Arzt William Beatty am 21. Oktober 1805 während der Schlacht um Trafalgar gerufen. Er musste die Schusswunde des Admirals versorgen, der von einer Kugel getroffen worden war.

Nelson überlebte gerade lange genug, um noch zu erleben, dass er die Schlacht gewonnen hatte. Der Karriere des Arztes war das Ableben des Patienten nicht hinderlich: Er veröffentlichte, zurück im zivilen Leben, detailliert die Chronik der letzten Stunden des Admirals. Das Buch wurde ein Bestseller.

Lauwarme Salzbäder für Fieberpatienten

Die Schiffsärzte gingen in der Regel nicht zimperlich mit ihren Patienten um. Seeleute, die nach einem Tarantelbiss eine offene Wunde hatten, wurden mit purem Rum behandelt, Fieberpatienten mit lauwarmen Salzwasserbädern therapiert. "In jedem der Fälle wurde das Fieber schlimmer", notierte daraufhin der Arzt: "Alle starben".

Ein tödliches Ende fand auch ein Patient, dem sein Arzt knapp zwei Liter Blut abgezapft hatte. Der Arzt notierte daraufhin eine "rapide Versch-lechterung" seines Gesundheitszustandes. Nicht minder kurios auch die Therapie eines Seemannes, der 1802 von Bord der HMS Princess Royal gefallen war und neun Minuten unter Wasser trieb.

 Die Mannschaft zog ihn raus, der Arzt versuchte den Mann, der "wie eine Leiche" aussah, wiederzubeleben, indem er ihm Tabakrauch in die Lunge blies - nach zehn Minuten hustete der Seemann und sein Herzschlag setzte wieder ein. In einem späteren Bordjournal taucht der Patient wieder auf: Er wurde mit Lungenentzündung in ein Hospital eingeliefert.

Aufsehen erregend ist auch die Geschichte der zwölfjährigen Ellen McCarthy, Passagierin auf der "Elizabeth". Das Schiff brachte 1825 irische Emigranten von Cork nach Quebec. Ellen litt an schlimmen Bauchschmerzen und Krämpfen.

Ihre Mutter brachte sie zum Schiffsarzt namens "P Power", der ihr ein Quecksilber-Gemisch verabreichte - ohne Erfolg. Er injizierte ihr Terpentin. Daraufhin erbrach das Mädchen einen 220 Zentimeter langen Wurm und kurz darauf noch zwei weitere. Ellen ging es wieder besser. Für den Arzt eine erfolgreiche Behandlung: "Ich würde es ohne zu zögern wieder tun.".

Schiffsbauch mit Schwefel ausgeräuchert

Die Bordjournale zeigen auch detailliert den Kampf der Mediziner gegen Seuchen und die Unbillen des Wetters. Das Emigrantenschiff Juliana war beispielsweise acht Monate lang, von Oktober 1838 bis Mai 1839, vom britischen Gravesend unterwegs nach New South Wales in Australien.

Nach einer Serie von schweren Stürmen litten die Menschen unter der Seekrankheit. "Sie konnten sich nicht mehr um ihre Kinder kümmern", notierte der Schiffsarzt Henry Kelsall. Überall auf dem Schiff war es nass und dreckig. Um es zu desinfizieren, brachte er die Auswanderer an Deck, schloss die Luken und räucherte den Schiffsbauch mit Schwefel und Cayenne-Pfeffer aus.

Als die Juliana tropische Regionen erreichte, brach unter den Passagieren ein Fieber aus. Viele litten an starken Kopf- und Rückenschmerzen. Auch als das Wetter wieder kühler wurde, ging es den Emigranten nicht besser. Das Schiff lief schließlich bei Cape Town nahe Kapstadt auf Grund. Für die Auswanderer war die Reise damit erstmal beendet. Sie wurden in Baracken untergebracht.

Viele Schicksale, die bewegen

Für Bruno Pappalardo, Projektdirektor der National Archives, sind die Bordjournale samt ihren Krankengeschichten wertvolle Grundlagen für das Studium der Medizin auf See des 19. Jahrhunderts. Die Journale schildern aber nicht nur wissenschaftliche Hintergründe, sondern Schicksale, die bewegen.

Pappalardos Mitarbeiter Colin Williams - er hat 18 Monate lang mehr als tausend handgeschriebene Seiten analysiert und katalogisiert - sagte in einem Interview mit der englischen Tageszeitung "Guardian": "Es gab Zeiten, da musste ich an der frischen Luft einen Spaziergang machen: So viel Leiden."

Weitere Infos www.nationalarchives.gov.uk/surgeonsatsea/

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