Neuer Hörtest ohne Sprachverwirrung

Ob Deutsch, Türkisch oder Englisch: Das müsste für Schwerhörige eigentlich egal sein. Ist es aber nicht. Eine Fremdsprache versteht man grundsätzlich schlechter. Das kann Hörtests verfälschen. Helfen soll ein Verfahren, das in allen Sprachen vergleichbar ist.

Von Irena Güttel Veröffentlicht:
Hörtest mit PC: Eine Fremdsprache versteht man grundsätzlich schlechter, das kann Tests bei Menschen mit ausländischen Wurzeln verfälschen.

Hörtest mit PC: Eine Fremdsprache versteht man grundsätzlich schlechter, das kann Tests bei Menschen mit ausländischen Wurzeln verfälschen.

© dpa

OLDENBURG. Die Sätze, die aus den Boxen schallen, muten etwas seltsam an: "Lucy wants eight big toys." Langsam und ein wenig stockend spricht Anna Warzybok die englischen Wörter nach. Schwierig ist der Satz zwar nicht, aber schlecht zu verstehen.

Denn ein lautes Rauschen dröhnt im Hintergrund. Beim nächsten Satz redet der Sprecher noch leiser - und so geht es weiter, bis Warzybok irgendwann nur noch einzelne Wortbrocken versteht. Der Test ist beendet.

Ein Diagramm auf einem Computerbildschirm zeigt später, wie gut Warzybok hören kann. Oldenburger Satztest heißt das Verfahren, das Wissenschaftler von der Universität Oldenburg entwickelt haben.

Bislang lag der Test nur in Deutsch vor, zurzeit kommen aber viele weitere Sprachen dazu wie Türkisch, Polnisch, Russisch, Französisch und Englisch - in britischer und amerikanischer Version. Und diese Fassungen sind nicht nur fürs Ausland gedacht.

Grundlage der Tests ist die Muttersprache

Von den fast 82 Millionen Einwohnern in Deutschland haben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 20 Prozent ausländische Wurzeln. Wie gut ein Menschen hören kann, sollten Ärzte und HörgerätAkustiker am besten in dessen Muttersprache testen.

Wie bitte? Viele Menschen haben Hörprobleme.

Wie bitte? Viele Menschen haben Hörprobleme.

© Thomas Wagner / fotolia.com

Der Grund ist ganz einfach: "Wenn man zum Beispiel englische Filme schaut, dreht man automatisch den Ton etwas lauter", sagt der Hörforscher Michael Buschermöhle vom Oldenburger Kompetenzzentrum HörTech, an dem die Universität beteiligt ist.

"Egal wie gut man eine Fremdsprache lernt, man wird sie nie so gut verstehen wie die Muttersprache." Es kann also passieren, dass ein vor Jahrzehnten aus der Türkei eingewanderter Mann für viel schwerhöriger gehalten wird, als er eigentlich ist, nur weil sein Hörtest in Deutsch war.

Über mehrere Monate haben die Oldenburger Forscher zusammen mit Partnern im Ausland die Tests in der jeweiligen Landessprache entwickelt. Aufgebaut sind alle nach demselben Muster: Aus jeweils zehn Namen, Verben, Zahlen, Eigenschaften und Dingen - die Muttersprachler eingesprochen haben - bildet ein Computerprogramm per Zufallsprinzip ganze Sätze.

"Jeder von uns hat sein individuelles Wörterbuch im Kopf."

Der Inhalt klingt etwas schräg und würde im Alltag wahrscheinlich so nicht vorkommen. Doch das ist Absicht, wie Buschermöhles Kollegin Warzybok erläutert. "Jeder von uns hat sein individuelles Wörterbuch im Kopf."

Wenn wir Satzteile nicht richtig verstehen, ergänzt unser Gehirn diese automatisch und greift dabei auf bekannte Wörter und Zusammenhänge zurück. Würden also Sätze aus dem Alltag beim Hörtest zum Einsatz kommen, könnte dies das Ergebnis verfälschen. Beim Oldenburger Satztest lässt sich ein nicht verstandenes Wort aber viel schwerer erraten. Das Ergebnis ist bei allen Menschen vergleichbar.

Wie der Hörtest funktioniert, zeigen Buschermöhle und Warzybok. Die junge Frau mimt eine Testperson, ihr Kollege den Ohrenarzt. Wort für Wort spricht Warzybok jeden Satz nach. Dabei werden die Sätze jedes Mal ein bisschen leiser, das störende Rauschen überlagert die Worte immer stärker. Buschermöhle markiert gleichzeitig am Computer alle richtig gehörten Wörter.

Mehr als 15 Millionen Schwerhörige

Als die junge Frau nur noch die Hälfte des Satzes verstehen kann, wird der Sprecher automatisch wieder lauter. So pendelt sich der Pegel nach und nach ein. Minus fünf Dezibel kommt am Ende heraus. Das heißt, dass die Sprache fünf Dezibel leiser als die Umgebungsgeräusche sein darf, damit Warzybok noch die Hälfte verstehen kann.

Mehr als 15 Millionen Schwerhörige gibt es der Fördergemeinschaft Gutes Hören (FGH) zufolge in Deutschland. Davon tragen aber nur 3 bis 3,5 Millionen ein Hörgerät. "Der Hörverlust kommt schleichend", sagt FGH-Sprecher Karsten Mohr.

Das kann problematisch werden. Bei gesunden Menschen blendet das Gehirn Nebengeräusche wie den brummenden Kühlschrank in der Küche einfach aus. Wenn man aber über längere Zeit schlecht hört, verlernt das Gehirn dieses Filtern. Sobald man ein Hörgerät bekommt, dringt eine erschlagende Lärmkulisse auf einen ein.

Oldenburger Satztest soll Abhilfe schaffen

Dazu kommt, dass Hörgeräte nicht gerade als chic gelten. Die meisten Menschen denken dabei an große, klobige Geräte in Hautfarbe. "Viele haben völlig veraltete Vorstellungen", meint Corinna Pelz von HörTech. Hörgeräte sind inzwischen nicht nur unauffälliger, sondern können auch viel mehr leisten als früher.

Moderne Hörgeräte setzen jedoch auch moderne Hörtests voraus. Das in Deutschland am häufigsten verwendete Verfahren stammt nach Angaben von Pelz noch aus den 60er Jahren. Abhilfe wollen die Forscher mit dem Oldenburger Satztest schaffen.

Da die Ergebnisse vergleichbarsind, eignet er sich vor allem, um ein Hörgerät exakt auf seinen Träger einzustellen. Und das geht theoretisch überall auf der Welt. (dpa)

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