Interview

"Fluglärm ist ein Umweltgift"

Der Protest gegen Fluglärm wächst, auch unter den Ärzten. Die Nase voll von diesem "heimtückischen Umweltgift" hat der Frankfurter Nephrologe Professor Ernst-H. Scheuermann. Im Interview ruft er seine Kollegen zum Widerstand auf - und übt scharfe Kritik an offiziellen Gutachten.

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Einin Mikro misst den Lärm, der beim Anflug auf die neue Landebahn des Flughafens Frankfurt entsteht.

Einin Mikro misst den Lärm, der beim Anflug auf die neue Landebahn des Flughafens Frankfurt entsteht.

© dpa

Ärzte Zeitung: Herr Professor Scheuermann, sind Sie vom Fluglärm durch die neue Nordwestbahn selbst betroffen?

Professor Dr. Ernst-H. Scheuermann: Ja, und zwar bei der Arbeit und im Privatleben. An meinem Arbeitsplatz in Frankfurt-Niederrad fliegen die Maschinen über das Gebäude, bei offenem Fenster müssen Gespräche mit Patienten unterbrochen werden.

In meinem Haus im Stadtteil Sachsenhausen konnte ich früher den Außenbereich bei bestimmten Windlagen nicht mehr nutzen. Seit die neue Landebahn in Betrieb ist, ist das bei jeder Wind- und Wetterlage ununterbrochen so. Den Fluglärm hört man auch im Haus, und ich werde jeden Morgen um fünf Uhr geweckt.

Ärzte Zeitung: Kam das für Sie überraschend?

Prof. Ernst-H. Scheuermann

Professor Dr. Ernst-H. Scheuermann ist Nephrologe und Leiter der Transplantationsambulanz beim Kuratorium für Heimdialyse in Frankfurt am Main. Zuvor war er als Oberarzt am Uniklinikum Frankfurt tätig, wo er heute noch Studenten im PJ unterrichtet. Scheuermann engagiert sich seit vielen Jahren gegen Fluglärm.

Scheuermann: Die neue Lage hat mich nicht überrascht. Ich habe 1998 Pläne zum Flughafenausbau gelesen und mich daraufhin einmal in eine der damaligen Einflugschneisen gestellt, wo die Flugzeuge ähnlich niedrig fliegen wie jetzt in der neuen.

Da habe ich gemerkt, das ist ja unglaublich, wie kann man da leben? Dann habe ich angefangen, mich auch mit den medizinischen Problemen des Fluglärms zu beschäftigen.

Ärzte Zeitung: Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Scheuermann: Dass Fluglärm ein Umweltgift ist, und zwar ein heimtückisches, weil sich die gesundheitlichen Folgen erst nach Jahren und Jahrzehnten manifestieren. Diese gefährliche Umweltnoxe wird immer noch unterschätzt.

Sie wird von Politikern und der Wirtschaft als akzeptable Belästigung bezeichnet, das ist eine menschenverachtende Verharmlosung. Wenn ein bestimmter Lärmpegel überschritten wird, besteht ganz klar ein gesundheitliches Risiko, das ist durch zahlreiche Studien belegt.

Ärzte Zeitung: In einem Gutachten, der "Frankfurter Synopse", werden die Gesundheitsgefahren durch Fluglärm und Luftschadstoffe durch Flugzeuge anders bewertet, es seien keine Gesundheitsschäden zu erwarten. Wie beurteilen Sie das?

Scheuermann: Die Autoren haben zuvor schon für die Fraport AG ein Gutachten für das Planfeststellungsverfahren erstellt, gegen ein sicherlich nicht unerhebliches Entgelt. Dieser Interessenkonflikt wird nicht offengelegt.

Es gibt dazu eine sehr gute Entgegnung von Professor Martin Kaltenbach und Co-Autoren. Darin wurde mit Verweis auf die neuen Studiendaten dargelegt, dass die Schwelle, ab der der Fluglärm gesundheitsgefährlich ist, in der Synopse deutlich zu hoch angesetzt wurde, mindestens zehn Dezibel zu hoch.

Ärzte Zeitung: Welche Gesundheitsschäden können durch Fluglärm verursacht werden?

Scheuermann: Da sind an erster Stelle kardiovaskuläre Erkrankungen zu nennen. Fluglärm verursacht Stressreaktionen, die zum Bluthochdruck führen. Folge des Bluthochdrucks sind Herzinfarkt und Schlaganfall.

Besonders Besorgnis erregend sind die Auswirkungen auf Kinder. Neue Untersuchungen haben gezeigt, dass erhöhter Blutdruck bei Kindern zum manifesten Bluthochdruck im Erwachsenenalter prädestiniert.

Das ist in der Vergangenheit überhaupt nicht berücksichtigt worden von den Gutachtern. Es wurde darauf verwiesen, dass die Datenlage nicht ausreiche für eine Aussage über die Gesundheitsfolgen für Kinder. Aber jetzt liegen die Daten vor.

Ärzte Zeitung: Dass Fluglärm die Zahl der Hypertoniker signifikant erhöht, wurde aber offenbar von Gutachtern verneint. Was sagen Sie dazu?

Scheuermann: Seit ein paar Jahren wissen wir, dass die Gefahr nicht allein darin besteht, dass Patienten einen Bluthochdruck entwickeln. Bereits Blutdruckanstiege in dem als Norm definierten Bereich bedeuten ein zunehmendes kardiovaskuläres Risiko.

Menschen mit Prähypertonie wurden in den Gutachten bisher überhaupt nicht berücksichtigt. Man hat nur auf den manifesten Hochdruck geschaut und gesagt, das sei ja nicht so schlimm. Dabei bedeutet die Entwicklung einer Prähypertonie bereits eine Verdoppelung des Schlaganfallrisikos.

Ärzte Zeitung: Die Gegner des Flughafenausbaus fürchten auch die erhöhten Schadstoffemissionen - zu Recht?

Scheuermann: Diese Emissionen wurden bisher in unverantwortlicher Weise vernachlässigt. Da fängt eigentlich erst jetzt die massive Kritik an. Wir leben in einer Region mit einer gemessen am Bundesdurchschnitt schon früher sehr hohen Schadstoffbelastung.

Die von Fraport vorgelegten Gutachten zur künftigen Luftverschmutzung gehen unter anderem davon aus, dass sich die Schadstoffbelastung durch den Straßenverkehr künftig reduziert - etwa durch sauberere Motoren -, und dadurch käme den künftigen Emissionen durch den Luftverkehr keine Bedeutung zu, das würde sich ja ausgleichen.

Doch die Luftverschmutzung nimmt auch ohne den Flugbetrieb jetzt schon zu. Außerdem stützen sich all die Gutachten auf rechnerische Modelle. Es gibt keine verlässlichen Messdaten zu den wahren Belastungen zum Beispiel mit Stickoxiden in unserer Region.

Ärzte Zeitung: Welche Schäden können Luftschadstoffe auslösen?

Scheuermann: Epidemiologische Studien aus den USA belegen sehr überzeugend, dass das Sterberisiko mit zunehmender Luftverschmutzung steigt, als Folge von kardiovaskulären, pulmonalen und malignen Erkrankungen.

Eine sehr große Untersuchung aus der Schweiz hat eine signifikante Korrelation zwischen dem Anstieg der Luftschadstoffbelastung und Lungenerkrankungen bei Kindern belegt, und das schon bei relativ niedrigen Ausgangswerten.

Ärzte Zeitung: Sollte sich die Ärzteschaft stärker in diese Debatte einschalten?

Scheuermann: Die Ärzteschaft muss sich in die Debatte einschalten. In der Berufsordnung wird die Mitwirkung bei der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf die Gesundheit der Menschen gefordert.

Es ist bedauerlich, wie zurückhaltend sich in Hessen die Landesärztekammer um den Schutz der Menschen in dieser Region vor den schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden kümmert.

Im Unterschied dazu hat die Bezirksärztekammer Rheinhessen in einer Presseerklärung konkret vor den gesundheitlichen Folgen gewarnt und die Bildung eines Arbeitskreises von Ärztinnen und Ärzten gegen den krankmachenden Fluglärm gefördert.

Ärzte Zeitung: Die Befürworter des Flughafenausbaus verweisen darauf, dass sich viele Menschen in der Region nicht beeinträchtigt fühlen. Wie bewerten Sie das?

Scheuermann: Auch bei Menschen, die sich durch Fluglärm subjektiv nicht belästigt fühlen oder sich daran gewöhnt haben, löst Fluglärm eine Stressreaktion aus. Das gilt zum Beispiel auch für junge Leute, die sich laut Umfragen als wenig lärmempfindlich bezeichnen.

Immer mehr Menschen entwickeln ein Erschöpfungssyndrom als Folge der Überlastung am Arbeitsplatz. Ruhe und Erholung zum Stressabbau sind dringend notwendig - aber wie soll das unter der Fluglärmbelastung möglich sein? Fluglärm zerstört Arbeitskraft!

Auch Kinder bleiben davon nicht verschont. Fluglärm beeinträchtigt ihre kognitiven Fähigkeiten, das ist in Studien überzeugend belegt worden.

Ärzte Zeitung: In Präventionskampagnen zum Bluthochdruck wird die Bevölkerung zu gesünderer Lebensweise ermahnt: geringerer Salzkonsum, mehr Bewegung und anderes. Ist das sinnvoll, wenn zugleich durch mehr Fluglärm das Hypertonie-Risiko steigt?

Scheuermann: Natürlich erscheint es mir widersinnig, wenn ich in der Praxis mühsam um die Senkung des Blutdrucks kämpfe und weiß, dass der Patient zu Hause von morgens bis abends dem Stress des Fluglärms ausgesetzt ist. Die Präventionskampagnen sollen dem Patienten nützen, aber auch helfen, die Gesundheitskosten zu reduzieren.

Wer wird die durch den Fluglärm entstehenden Gesundheitskosten wohl zahlen? Sicherlich nicht Fraport oder die Fluggesellschaften. Der Flughafenausbau ist eine Umweltkatastrophe heute noch ungeahnten Ausmaßes.

Menschen einer seit jeher dicht besiedelten Region werden der Seuche Lärm ausgesetzt. Die gesundheitlichen Folgen werden erst in Jahren und Jahrzehnten erkennbar sein.

Das Gespräch führte Monika Peichl.

Ein heftiger Streit um Schallpegel und Lärmschutz

Im Streit um die Lärmbelastung durch Luftverkehr melden sich immer mehr Ärzte zu Wort. Eine Gruppe von Ärzten aus der Region Rhein-Main möchte sogar eine Cochrane-Studie dazu in Auftrag geben.

Ab welcher Schwelle Fluglärm gesundheitsschädlich ist, ist nach wie vor Gegenstand wissenschaftlicher Kontroversen. Das Fluglärmgesetz legt Dauerschallpegel für Lärmschutzbereiche fest. Demnach beginnen die Schutzbereiche bei einem Dauerschallpegel von 60 Dezibel am Tag und 50 Dezibel bei Nacht. Diese Schwellenwerte sind nach Auffassung etwa von Professor Dr. Martin Kaltenbach und Co-Autoren zu hoch angesetzt.

In einer Übersichtsarbeit von 2008 stellen sie fest, dass fluglärmbedingte Tagesdauerschallpegel von 60 Dezibel außerhalb von Gebäuden mit einer Zunahme von arterieller Hypertonie assoziiert sind. Die Verordnung von blutdrucksenkenden Medikamenten sei mit einem nächtlichen Fluglärmpegel von etwa 45 Dezibel assoziiert. Zu ähnlichen Ergebnissen kam die Studie von Professor Dr. Eberhard Greiser (wir berichteten).

In Gemeinden, die in der Einflugschneise zur neuen Nordwestlandebahn des Frankfurter Flughafens liegen, werden Werte von über 70 Dezibel gemessen. Die betroffene Bevölkerung, die teilweise Anspruch auf Mittel für den Passivschallschutz hat, wehrt sich gegen "Käfighaltung" hinter Schallschutzfenstern.

Lesen Sie dazu auch: Fluglärm entzweit Gutachter Interview: "Fluglärm ist ein Umweltgift" Kommentar: Einmal muss Schluss sein

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