Mehr Rente gefordert

Mangelnde Hilfe für Contergan-Geschädigte

Um die Geschädigten aus der Contergan-Affäre steht es nicht gut. Forscher aus Heidelberg sind jüngst zu dem Schluss gekommen: Die Betroffenen benötigen mehr Hilfe.

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Dose mit Geschichte.

Dose mit Geschichte.

© Stefan Puchner / dpa

HEIDELBERG. Ein Drittel der Contergan-Geschädigten kann nach den Umfragen des Gerontologischen Instituts der Universität Heidelberg nicht mehr arbeiten - Tendenz steigend.

"Bei den meisten Contergangeschädigten zeichnet sich eine rasche Zunahme degenerativer und entzündlicher Veränderungen sowie schwerer chronischer Schmerzzustände ab", warnen die Experten in einer Studie, die im Auftrag der Bundesregierung erstellt wurde.

Ein hoher Anteil derjenigen, die noch arbeiteten, werde in den kommenden Jahren gezwungen sein, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen.

Doch damit nicht genug: Die staatliche Rente in Höhe von derzeit - je nach Schweregrad der Erkrankung - maximal 1152 Euro sei zu knapp bemessen, kritisiert die Studie. Jeder Dritte der Befragten zahle zum Beispiel Physiotherapie oder Hilfsmittel aus eigener Tasche.

Zahnimplantate müssen die Betroffenen ebenfalls weitestgehend selbst übernehmen. Dabei ersetzt das Gebiss bei vielen die Hände. Mit den Zähnen öffnen sie Flaschen oder tragen Gegenstände.

"Da die gesetzlichen Krankenkassen nicht verpflichtet sind, die Implantate zu finanzieren, sollten diese Kosten anderweitig erstattet werden", schlagen die Gerontologen vor.

Und noch von einem weiteren Problem sprechen sie: Den Betroffenen würde zunehmend die Hilfe durch Eltern und Angehörige wegbrechen.

Verdoppelung der Rente?

"Partner oder Eltern kommen selbst in die Jahre und fallen aus", weiß Ilonka Stebritz, Sprecherin des Bundesverbandes Contergangeschädigter e.V. Die Betroffenen seien aber im Alter zunehmend auf fremde Hilfe angewiesen.

Im Auftrag der Bundesregierung haben die Heidelberger Forscher zwischen 2010 und 2012 den tatsächlichen Bedarf der Contergangeschädigten an unterstützenden Leistungen ermittelt. 2700 Betroffene wurden angeschrieben, 900 davon füllten den Fragebogen aus. 270 davon wurden zusätzlich persönlich befragt.

"Die Studie bestätigt die von uns festgestellte Unterversorgung", sagt die Vorsitzende des Bundesverbands Contergangeschädigter Margit Hudelmaier.

Außerdem treten durch die jahrzehntelange Fehlbelastung von Wirbelsäule, Muskulatur und Gelenken bei den contergangeschädigten Menschen vermehrt Spät- und Folgeschäden wie Arthrose auf.

Die Vorsitzende des Bundesverbandes und die Heidelberger Forscher nehmen nun die Bundesregierung in die Pflicht.

"Die Conterganrente bildet ein zentrales Instrument zur finanziellen Sicherung. Mehr als 50 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie ohne Conterganrente die finanzielle Unabhängigkeit nicht aufrechterhalten könnten, zusammen mit der Conterganrente können dies nach eigenen Angaben 35 Prozent nicht", schreiben die Wissenschaftler in ihrer Studie.

Erste Stimmen zu dem Bericht gibt es von der SPD. Die Bundestagsabgeordnete Christel Humme kann sich sogar eine Verdoppelung der Rente vorstellen.

"Die Geschädigten müssen genügend Geld haben, um Pflege und Hilfe einkaufen zu können", forderte Humme im Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk. (mm)

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