Filmkritik

"Der Medicus" - als der Orient Zukunft verhieß

900 Roman-Seiten auf drei Stunden Kino reduziert. Das Epos "Der Medicus" führt ins Mittelalter, in eine Zeit, in der der Orient für Zukunft und Fortschritt stand.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Szene aus dem seit einigen Tagen angelaufenen Film "Der Medicus".

Szene aus dem seit einigen Tagen angelaufenen Film "Der Medicus".

© UFA-Cinema GmbH/dpa

England im 11. Jahrhundert nach Christus. Der kleine Rob Cole muss tatenlos mitansehen, wie seine Mutter stirbt. Seine beiden Geschwister kommen bei Fremden unter - im Tausch gegen das spärliche Hab und Gut der Familie.

Rob selbst schließt sich einem Bader an, einem reisenden Quacksalber, der sein Publikum mit Zoten unterhält, mit Scheinmedizin blendet und mit Brachialmethoden kuriert.

Das ist die Ausgangslage im "Medicus", der Verfilmung von Noah Gordons 1986 erschienenem Erfolgsroman, der bis heute allein in Deutschland sechs Millionen Mal verkauft wurde.

Der deutsche Regisseur Philipp Stölzl ("Nordwand", "Goethe!") hat sich im Auftrag der Ufa des Stoffes angenommen, nachdem zuvor mehrere andere Produktionsfirmen das anspruchsvolle Unterfangen, den 900-Seiten-Roman adäquat in Szene zu setzen, wieder aufgegeben hatten.

Für ihren Film haben Stölzl und sein Produzent Nico Hofmann internationale Stars gewinnen können, allen voran den britischen Schauspieler und Oscar-Preisträger Sir Ben Kingsley, der den berühmten persischen Arzt und Philosophen Ibn Sina spielt, besser bekannt unter seinem lateinischen Namen Avicenna.

Zu ihm pilgert der junge Rob, nachdem er einige Jahre an der Seite des alternden Baders durch Britannien gezogen ist.

Da Christen in Persien nicht gelitten sind, gibt sich Rob als Jude aus und erlangt schließlich die Gunst des charismatischen Gelehrten, der das Talent seines jungen Schülers erkennt.

Film bemüht Klischees

Mit einem Budget von 26 Millionen Euro wollten Stölzl und Hofmann großes Kino bieten, wobei sie sich eng an in Hollywood erprobten Standards orientieren.

Dabei gerät der Film jedoch oft allzu glatt und bemüht Klischees, wo man dem Zuschauer durchaus etwas Originalität hätte gönnen können.

Hier wird uns das finstere europäische Mittelalter (verschlammte Dörfer, dreckige Gesichter, rohe Sitten) vor Augen geführt, dort der blühende, aufgeklärte Orient (pittoreske Städte, saubere Gewänder, kultivierte Umgangsformen).

Natürlich ist Rob (Tom Payne) sehr schön und lernt das schönste aller Mädchen kennen, das er mehrfach vor dem Tode retten darf.

Und der Auseinandersetzung zwischen den wissenschaftlich orientierten Ärzten und den fanatischen, rückwärtsgewandten Mullahs hätte man gerade wegen ihrer offensichtlichen Gegenwartsbezüge die eine oder andere Brechung gewünscht.

Keine werkgetreue Verfilmung

Wer eine werkgetreue Verfilmung des Romans erwartet, wird enttäuscht sein. Der Bader, der im Buch stirbt, darf am Ende des Films seinen aus Isfahan zurückgekehrten ehemaligen Schüler wiedersehen.

Die Schöne im Film hört auf den Namen Rebecca und sieht auch so aus, während sie im Werk des ehemaligen Medizinjournalisten Noah Gordon Mary heißt und Schottin ist.

Was der Roman schließlich plausibel darlegt, muss man sich im Film dazu denken. Beispielsweise gibt der Autor seinem Protagonisten während eines Aufenthalts auf dem Balkan Zeit, Persisch zu lernen, während der Regisseur seinen englischen Helden gleichsam als Sprachwunder in die fremde Welt entlässt.

"Wir behandeln keine Krankheiten", sagt der weise Lehrer zu seinen Studenten, "wir behandeln kranke Menschen." Solche Stellen hätten wir uns im "Medicus" häufiger gewünscht.

Wer keine Lust oder Gelegenheit hat, den dreistündigen Streifen im Kino zu erleben, kann sich im Übrigen beruhigt zurücklehnen: Da die ARD Degeto an der Produktion beteiligt ist, wird der Film voraussichtlich in einem Jahr als Zweiteiler im Ersten zu sehen sein.

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