TV-Kritik

Sterbehelfer und die Schwelle zum Tod

Ein Beitrag von "Report Mainz" hat die Tätigkeit von Sterbehelfern beleuchtet. Doch wo die wahre Krux bei der Versorgung todkranker Menschen liegt, ist dabei kein Thema.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Wenn fast nichts mehr geht, wünschen sich manche Schwerkranke einen Sterbehelfer. Aber können diese wirklich helfen?

Wenn fast nichts mehr geht, wünschen sich manche Schwerkranke einen Sterbehelfer. Aber können diese wirklich helfen?

© STOCK PICTURE / dpa

Den erschütterndsten Satz im Beitrag von "Report Mainz" am 14. Januar über Sterbehelfer in Deutschland sagte eine alte, schwerkranke Dame: "Diese Krankheit beherrscht meinen Körper absolut, und sie beherrscht ihn so dermaßen, dass meine Seele total auf der Strecke bleibt. Das ist kein Leben mehr."

Ihr gegenüber saß kein Arzt, dem sie ihr Leid hätte klagen können, kein Psychologe oder Pfarrer, sondern ein Sterbehelfer - der ehemalige Lehrer Peter Puppe.

"Report Mainz" begleitete ihn bei Klientenbesuchen. Die Autoren kommentieren: Kein Arzt habe mit der Patientin über ihren Sterbewunsch sprechen wollen.

Rund 40 Menschen hat Peter Puppe nach eigenen Angaben bisher mit einem Medikamenten-Cocktail über die Schwelle zum Tod geholfen.

Mindestens elf weitere Sterbehelfer in Deutschland haben zusammen im vergangenen Jahr 155 Menschen den Tod gebracht, so die Recherchen von "Report Mainz".

Wann kommt Peter Puppe? Im Falle einer "schweren Erkrankung ohne Aussicht auf Besserung, ohne Aussicht auf medizinische Hilfe oder sogar Gesundung über längere Zeit", so charakterisiert er den Zustand seiner Klienten. Wenn sie ihr Leben als absolutes Leid und als unwürdig empfinden, "dann kann ich helfen", sagt Puppe. Wirklich?

Es geht nicht um mehr Geld, sondern um die Seele

Nun, helfen kann er tatsächlich nicht, das muss man unterstreichen. Er kann beenden. Zudem ist er es schließlich, der entscheidet, ob es einem Klienten schlecht genug geht, um zu sterben. Kann Puppe das? Und wer sollte das beurteilen?

Dass er es darf, ist unbestritten. Puppe reicht seinen Klienten die bitteren Medikamente zerkleinert und mit Apfelmus gemischt. Der assistierte Suizid ist in Deutschland erlaubt.

Das Zitat der alten Dame aber zeigt: Sterbehelfer markieren in Deutschland eine Lücke im medizinischen "Versorgungsapparat", wobei "Lücke" eine verharmlosende Bezeichnung ist. Durch diese Lücke rutscht die Seele und bleibt zurück.

Das Gesundheitssystem und die Menschen, die in ihm arbeiten, sind kaum in der Lage, bei ihrer Arbeit die psychischen Folgen schwerer Krankheiten aufzufangen. Und, ganz recht, für viele Patienten ist das DANN "kein Leben mehr".

Neun Euro pro angefangene zehn Minuten für Gespräche mit Patienten mit lebensverändernden Erkrankungen? Es geht hier nicht darum, mehr Geld zu verlangen. Sondern die gut gemeinte Leistung im neuen Hausarzt-EBM zeigt vor allem, wie hilflos das System auf die seelischen Leiden nicht nur ihrer schwerkranken Patienten reagiert.

Zuwendung ist im Versorgungssystem nur in homöopathischen Dosen vorgesehen, meistens gar nicht. Auch die schon vielerorts gedeihende Palliativmedizin und die Hospizbewegung kann die Not der Vielen längst nicht lindern.

Selbsternannte durch ernannte Sterbehelfer ersetzen

Da fällt es leichter, den Tod als Weg aus dem Elend anzubieten. In Deutschland ist solch assistierter Suizid erlaubt, aber die Bundesärztekammer verbietet ihn den Ärztenim Berufsrecht.

Eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München kommt indessen zu dem Schluss, dass ein striktes Verbot des assistierten Suizids durch Ärzte Schwerstkranken nicht gerecht wird, heißt es in der Abmoderation des "Report"-Beitrags.

Durch das Verbot provoziere die BÄK den "Wildwuchs in der Sterbehilfe", so der Medizinethiker und Jurist Wolfgang Putz in dem Beitrag, und spricht von einem "martialischen, ausnahmslosen Verbot für Ärzte".

Er fordert, dass "der Arzt nach seinem Gewissen Beihilfe zum Suizid machen darf". Nur so könne man selbsternannte durch ernannte Sterbehelfer ersetzen. In der Tat darf man annehmen, dass Ärzte qualifizierter sind als Peter Puppe, was dieser auch bestätigt.

Er wolle sich selber erübrigen, sagt er, und wünsche sich Ärzte, die ihrem Gewissen folgen dürfen.

Dass unser Gesundheitssystem vor allem dem Körper Schwerkranker hilft und zu wenig ihrer Seele, haben die TV-Autoren leider nicht weiter aufgegriffen.

Am Schluss des Beitrags gleitet Puppe auf einer kleinen Autofähre über einen Fluss, als führe er selber auf Charons Nachen über den Styx ins Totenreich. Eben noch hat Puppe gesagt, seine just gestorbene Klientin sei "ganz friedlich eingeschlafen, so wie es sich alle Menschen wünschen".

Ein verführerisches Bild. Aber niemand weiß wirklich, was Sterben und Tod sind. Auch Peter Puppe nicht, mag er noch so malerisch über den Fluss gleiten. Die dringlichste Aufgabe ist ein medizinisches Versorgungssystem, dass der "Seele" seiner Patienten mehr Aufmerksamkeit schenkt.

Zum Beitrag von "Report Mainz"

Mehr zum Thema

Patientinnen verwechselt

Prager Krankenhaus nimmt irrtümlich Abtreibung vor

#NRWEntscheidetSich

Medienkampagne zur Organspende in NRW

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.

© Rolf Schulten

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System