Reportage aus Afrika

Mit Handys gegen Malaria

Malaria ist in vielen Regionen Afrikas ein großes Problem - vor allem dort, wo die medizinische Versorgung schlecht und die Armut groß ist. Tabletten und Schnelltests helfen bisher wenig. Jetzt soll moderne Technik die Wende bringen.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Erkrankt oft an Malaria: James Abonyo Kolla mit seiner Ehefrau Hesborn.

Erkrankt oft an Malaria: James Abonyo Kolla mit seiner Ehefrau Hesborn.

© Philipp Grätzel von Grätz

KOGELO. Als seine Schwester im Alter von 29 Jahren an Malaria starb, war James Abonyo Kolla 24 Jahre alt. Seine Frau Hesbon hatte gerade das zweite Kind entbunden, ihren ersten gemeinsamen Sohn.

James ist ein Bauer, dessen Familie seit Generationen in dem Dorf Kogelo wohnt, 15 Kilometer nördlich des Victoriasees, auf halbem Weg zwischen der Provinzhauptstadt Kisumu und der Grenze zu Uganda.

Malaria im Fokus

2007 wurde der Welt-Malaria-Tag wurde als Aktionstag durch die WHO beschlossen.

9,54 Milliarden Euro – auf diese Summe wird der jährliche Schaden für die Länder Afrikas als Folge von Malaria geschätzt.

Die WHO schätzt, dass etwa 3,3 Milliarden Menschen durch die Infektion bedroht sind.

Die Bauernhöfe sind kleine Lehmhütten. Viele sind nur zu Fuß zu erreichen. Mit zwei Morgen Land, zwölf Kühen, einem Esel und einigen Schafen und Ziegen gehört James zu den etwas wohlhabenderen Dorfbewohnern.

Kürzlich konnte er sogar für umgerechnet 500 Dollar ein neues Haus bauen: mit Holzstangen verstärkte Lehmwände, drei kleine, blitzblank geputzte Zimmer, solides, tropenregenfestes Dach aus Wellblech.

Doch Anopheles-Mücken fragen nicht nach Wohlstand. James hat nicht nur die Schwester verloren, er erkrankt auch selbst immer wieder an Malaria, dreimal, viermal, manchmal fünfmal im Jahr. Hesbon ist weniger anfällig, zum Glück für die Familie.

Sobald das Fieber kommt, macht James sich auf den Weg. Eine halbe Stunde Fußmarsch, dann nochmal 20 Minuten Busfahrt bis zum Kenya Medical Research Institute KEMRI, einem Forschungszentrum für Infektionskrankheiten, wo Anophelesmücken zu Zehntausenden in getränkekistengroßen Würfeln gezüchtet werden, die mit Moskitonetzen bespannt sind.

In KEMRI wird ein Malariaschnelltest gemacht und bei Erregernachweis sofort mit einer Artemisinin-basierten Kombinationstherapie (ACT) behandelt. Zwei bis fünf Arbeitstage kostet James die Erkrankung trotzdem jedes Mal.

Die Anbindung an das KEMRI ist für ihn ein Glücksfall. Kurz nach dem Tod seiner Schwester schrieb das Ehepaar den neugeborenen Sohn für eine klinische Studie ein, bei der ein Malariaimpfstoff getestet wurde.

Der Sohn war in der Placebogruppe. Aber die ganze Familie darf sich seither am KEMRI behandeln lassen, wo Tests und Medikamente schnell verfügbar sind.

"Sie wird es schaffen"

Eine schnelle Behandlung ist das A und O bei der Malaria. Nicht immer klappt das. In der Kombewa Clinic, einem der Provinzkrankenhäuser in der Region Kisumu, liegt die zehnjährige Kristin sichtlich malade im Bett.

Sie wurde zu spät behandelt und hatte bei Aufnahme einen Hb-Wert von unter 2 g/dl. Ihr Arzt Dr. Samuel Ong'wech ist aber zuversichtlich: "Sie wird es schaffen. Sie hat Blutgruppe A. Wir machen jetzt die zweite Transfusion."

Ein Zimmer weiter liegt die sieben Monate alte Melvin. Sie ist ähnlich schwer krank, hat aber Blutgruppe AB. "Das ist nicht so einfach zu bekommen", so Ong'wech.

Wer sich die WHO-Statistiken zur Malaria ansieht, der liest von einer Erfolgsgeschichte. Seit sich die Geberländer zusammentun, seit Bill Gates mit seinen Milliarden die Malaria ins Visier genommen hat und seit Pharmafirmen wie Novartis die ACT-Präparate in den am stärksten betroffenen Ländern zu minimalen Kosten anbieten, sind Morbidität und Mortalität spürbar gefallen.

Doch die Erfolge sind ungleich verteilt. Ländliche, schwer zugängliche Endemiegebiete und auch die Armenviertel der Metropolen sind von einer optimalen Versorgung noch weit entfernt.

Die Logistik ist eines der Probleme: "Bei uns wurden seit über einem Jahr keine Malariamedikamente mehr geliefert", berichtet der Apotheker David Dianga von der AMREF Clinic, einem Krankenhaus in Nairobis Slum Kibera, dem größten Slum Afrikas.

Die Tabletten lagern irgendwo, kommen aber nicht an. Über knappe Ressourcen berichtet auch Khamis Athman Wangara, Krankenpfleger in der Zuckerfabrik Mumias, zwei Autostunden nordwestlich von Kisumu.

Weil der Zuckermarkt weniger lukrativ geworden sei, würden seit zwei Jahren keine Mückenschutzmittel mehr vernebelt. Ergebnis: Die Zahl der verordneten Malariamedikamente hat sich fast verdreifacht.

Ebenfalls aufgrund knapper Ressourcen wird nur etwa jeder fünfte Patient mit Fieber auf Malaria getestet. "Meistens behandeln wir auf Verdacht, auch wenn wir wissen, dass dadurch die Resistenzgefahr steigt", so Wangara.

Wie lässt sich die Malariaversorgung in den am meisten betroffenen Regionen verbessern? Martin Edlund, Geschäftsführer der in den USA ansässigen Nichtregierungsorganisation "Malaria No More", hat darauf eine überraschende Antwort: "Mit Mobiltelefonen.

Es gibt in Afrika südlich der Sahara kaum eine Familie mehr, die kein Mobiltelefon besitzt." Immer häufiger werden diese Telefone auch für die Gesundheitsversorgung genutzt.

Kenianische Malariaforscher haben zum Beispiel zusammen mit dem Mobilfunkanbieter "Safari.com" aus den Verbindungsdaten von 15 Millionen Kenianern anonymisierte Bewegungsprofile erstellt und diese mit epidemiologischen Malariakarten überlagert.

So wurde eine Großplantage auf halbem Weg zwischen Nairobi und dem Victoriasee als wichtiges "Drehkreuz" für die Übertragung der Plasmodien in Richtung Nairobi identifiziert, das an sich nicht im Endemiegebiet liegt.

Tablet schafft Transparenz

Via Mobiltelefon lassen sich die Menschen auch direkt erreichen. So hat "Malaria No More" in Kamerun eine SMS-Kampagne unterstützt, bei der ein Mobilfunkanbieter an sieben Millionen Kunden ein- bis zweimal pro Woche gegen Abend Textnachrichten schickte.

 Bekannte Fußballspieler oder Musiker erinnerten daran, die in den meisten Haushalten vorhandenen Moskitonetze auch zu benutzen. "Dadurch stieg die Nutzerquote um zwölf Prozent. Hochgerechnet bedeutet das, dass eine halbe Million Kinder unter Moskitonetzen schlief, die es sonst nicht getan hätten", so Edlund.

Am vielleicht effektivsten sind Mobilgeräte als Waffen gegen die Malaria dann, wenn sie zum Versorgungsmanagement eingesetzt werden.

Eine Erfolgsgeschichte ist das ursprünglich von Novartis in Partnerschaft mit Unternehmen wie IBM, Vodafone und Google angestoßene und schon von mehreren nationalen Gesundheitsministerien in Afrika übernommene "SMS for Life"-Projekt.

"Ausgangspunkt des Projekts war die Beobachtung, dass in vielen Gesundheitszentren die Malariamedikamente regelmäßig ausgehen, obwohl sie im Prinzip lieferbar wären", sagt Programmdirektor Jim Barrington von Novartis.

Die Lösung ist eine Mobilfunkplattform, bei der alle Gesundheitszentren wöchentlich per SMS-Code ihre Lagerbestände übermitteln, außerdem einmal monatlich Informationen zu Neuinfektionen, Testergebnissen und Todesfällen.

Die Daten werden für den jeweils zuständigen Koordinator in der Bezirksregierung oder dem nationalen Gesundheitsministerium mit Hilfe von Google-Maps-Karten grafisch aufbereitet.

Dadurch entsteht ein lückenloses Bild über die Versorgungssituation in Echtzeit. Der Preis ist moderat: Weniger als 80 Dollar pro Einrichtung pro Jahr kostet das Ganze.

Rund 250 Dollar pro Einrichtung pro Jahr kostet der neue, Tablet-PC-basierte Dienst "SMS for Life 2.0", der derzeit in Nigeria eingeführt wird. Der Tablet-PC erlaubt nicht nur eine einfachere, schnellere und trotzdem weit umfangreichere Datenübermittlung.

Er kann auch als Plattform für die Weiterbildung medizinischer Fachkräfte genutzt werden. Wenn zwei bis drei Fortbildungen pro Jahr elektronisch stattfänden, würden sich die Kosten bereits amortisieren, schätzt Barrington.

Nachhaltigkeit ist oft ein Problem

Natürlich sind mHealth-Projekte keine Wunderwaffen. Die US-Organisation USAID hat kürzlich über hundert Projekte in Westafrika ausgewertet. Nicht wenige brachen in sich zusammen, sobald das Geld ausblieb.

Dass "SMS for Life" erfolgreich ist, liegt am niedrigen Preis und daran, dass die Behörden die Plattform selbst betreiben. Zudem ist der Dienst sehr flexibel: Er lässt sich auch für andere Zwecke einsetzen. In Ghana dient die Plattform der Überwachung von Blutprodukten.

 In Kamerun werden auch Daten zu Trachom, Onchozerkose und nicht übertragbaren Krankheiten erhoben. Und in Nigeria liefern die Gesundheitsarbeiter per Tablet-PC epidemiologische Daten zu sieben Erkrankungen und melden die Lagerbestände von Dutzenden Impfstoffen und Medikamenten.

Der Erfolg ist messbar: "In Tansania, wo das System vor vier Jahren eingeführt wurde, konnte der Anteil der Einrichtungen, denen die Medikamente ausgingen, von 42 Prozent auf unter sechs Prozent gesenkt werden", so Barrington.

Das hat man auch Kenia registriert, wo derzeit über den Aufbau einer eigenen, ähnlichen Plattform nachgedacht wird. Vielleicht muss sich der Apotheker David Dianga aus dem Kibera-Slum in Nairobi deswegen künftig seltener mit ACT-Engpässen auseinandersetzen.

Und vielleicht gibt es bald weniger Kristins und Melvins, weil Schnelltests überall verfügbar sind und auch rechtzeitig eingesetzt werden.

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