Kinder-Stars bei WM: Pädiater üben Kritik

Schwimmen für Kinder ist gesund und fördert die Koordination. Dass bei der WM in Kasan jedoch viele U-14-Sportler gestartet sind, hat für Verwunderung und Ärger gesorgt.

Von Jana Kötter Veröffentlicht:
Pädiater kritisieren den Start junger Kinder bei der Schwimm-WM.

Pädiater kritisieren den Start junger Kinder bei der Schwimm-WM.

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KASAN. Gerade einmal zehn Jahre ist sie alt, die jüngste Starterin der diesjährigen Schwimm-WM. Am Freitag und Samstag war die Schülerin Alzain Tareq aus dem Wüstenstaat Bahrain über 50 Meter Schmetterling und 50 Meter Freistil gestartet, bevor die WM am Sonntag endete.

"Angst habe ich vor nichts und niemandem", sagte die junge Sportlerin im Voraus in einem Interview auf der WM-Homepage. Doch ihr Einsatz sowie der Start von weiteren Kindern bei der Schwimm-WM in Kasan rief verwunderte bis kritische Reaktionen hervor.

"Ich hätte gedacht, es gäbe eine Altersbeschränkung, weil ich 1991 nicht nach Perth zur WM durfte, als ich erst 13 war", sagte die mehrfache Welt- und Europameisterin Franziska van Almsick. "Mit 14 durfte ich bei den Olympischen Spielen starten. Ich finde, dass 14 ein gutes Alter dafür ist."

Extreme Belastung für den Körper

"Eine Teilnahme an einer Schwimm-WM für Kinder unter 16 Jahren ist aus meiner Sicht abzulehnen", meinte hingegen Barbara Mühlfeld, Sprecherin des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Hessen. "Das zur Teilnahme erforderliche Training - um nicht zu sagen: Drill - ist im Sinne einer gesunden Entwicklung der Kinder abzulehnen."

Der Weltverband FINA hat im Gegensatz zu anderen Sportverbänden keine Altersbeschränkung. Der europäische Verband LEN erlaubt Schwimmer bei einer EM erst ab 14. Die FINA hingegen lässt auch ohne sonst nötige Norm zumindest einen Sportler zu, damit jedes Mitgliedsland vertreten sein kann.

Auch Pädiater Dr. Ulrich Fegeler sieht das kritisch. "Ein noch wachsender Organismus gehört nicht in den Leistungssport", sagte er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". "Was hier abverlangt wird, liegt weit jenseits der Grenzen, was ein Mensch in der Wachstumsphase leisten sollte."

Seine Kollegin Mühlfeld verweist auf die permanente Anstrengung des kindlichen Körpers und die daraus resultierende Gefahr für Knochen und Gelenke, Wachstumsstörungen und bleibende Schäden durch Reparaturen von Mikrotraumen. Die Folge könnte eine frühzeitige Arthrose sein. "Häufig entstehen zudem Essstörungen durch die restriktive, nur auf den Sport ausgerichtete Ernährung."

Eltern machen oft Druck

Zudem kritisierten viele Pädiater den psychischen Druck, der auf die jungen Sportler ausgeübt wird. Fegeler wies auf zahlreiche Fälle psychischer Späterkrankungen von ehemaligen Kinder-Stars hin - ganz gleich, ob aus Film, Sport oder Musik.

"Nicht selten spielen die Träume der Eltern, die auf den Nachwuchs projiziert werden, eine Rolle", befürchtet er. Doch der Kontakt zu betroffenen Patienten sei schwierig - zu hoch sei der gesamtgesellschaftliche Druck, "es zu etwas zu bringen".

Chefbundestrainer Henning Lambertz äußerte sich zunächst auch skeptisch, sagte nach dem Start der Zehnjährigen jedoch: "Das sieht für mich nach einem kindlichen, freudvollen Urlaubserlebnis aus und deswegen find‘ ich das okay." Doch für ihren Erfolg trainiert Alzain Tareq nach Angaben der WM-Homepage immerhin an fünf Tagen die Woche, zweimal täglich. Dr. Torsten Spranger, Pädiater und BVKJ-Sprecher, sieht das kritisch: "Wenn durch maximal vier Trainingseinheiten pro Woche Leistungen erbracht werden, können Unter-14-Jährige diese am Wochenende auch gerne im Wettkampf zeigen", meint er. "Wenn aber täglich bis an die Leistungsgrenze trainiert werden muss, um die gewünschte Leistung zu bringen, dann leidet das Wachstum, die körperliche und sexuelle Reifung und die psychosoziale Entwicklung."

Gerade um die psychosoziale Entwicklung sicherzustellen, sei es essenziell, junge Stars und Sportler von der Öffentlichkeit abzuschirmen, ergänzt Kollege Fegeler. "Andernfalls kann es sehr schwierig sein, einen solch frühen Erfolg zu verarbeiten."Außer Frage steht bei all der Kritik jedoch, dass der Schwimmsport im Allgemeinen förderlich für die Entwicklung eines Kindes sein kann. "Grundsätzlich leidet unsere Gesellschaft mehr unter den Folgen von Bewegungsmangel als an einem Zuviel an Sport, sodass insbesondere Schwimmen bei Kindern sehr zu begrüßen ist und auch als Leistungssport gut für die Entwicklung sein kann", betont Spranger.

Und dass die Teilnahme an solch einem Sportevent auch schöne Momente mit sich bringt, hat etwa der zwölfjährige Ahnt Khaung Htut aus Myanmar gezeigt: Er durfte nach dem Fernbleiben zweier Sportler bei den Titelkämpfen über 100 Meter Brust in Kasan als Solist ran. Mit 1:16,13 Minuten belegte er zwar nur den 74. Platz - erntete dafür jedoch riesengroßen Beifall. (mit Informationen von dpa)

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