Humanoide Roboter

Liebe ohne Leben

Eine Partnerin, die im Bett anschmiegsam ist und niemals Widerworte gibt: Humanoide Liebesroboter werden als Beziehungsalternative angepriesen. Doch kann das gut gehen?

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Sind Liebesroboter die besseren Roboter?

Sind Liebesroboter die besseren Roboter?

© tiagozr / stock.adobe.com

"Ich will nur dich", beteuert die schöne Harmony, "ich möchte das Mädchen werden, von dem du immer geträumt hast." Man darf ihr das ruhig glauben, denn zur Lüge ist sie nicht fähig. Lernen will sie, sich ihrem Partner anpassen, all seine Wünsche erfüllen, selbst seine geheimsten Sehnsüchte – jedoch nur solche, deren Verwirklichung ihre Programmierung auch vorsieht. Denn Harmony, Sie ahnen es längst, ist nicht die Traumfrau, die sie vorgibt zu sein, sondern ein humanoider Roboter, traumhaft schön, aber leider ohne Herz oder Seele.

"Harmony ist kein Mensch, sie ist eine Maschine", räumt denn auch ihr Erfinder Matt McMullen ein, dessen Firma Abyss Creations aus San Marcos im US-Bundesstaat Kalifornien Ende des Jahres die erste "Real Doll" mit Künstlicher Intelligenz (KI) auf den Markt bringen will. "Man kann sie nicht zum Weinen bringen oder ihr Herz brechen."

Herzensbrecher gehören aber auch gar nicht zu McMullens Zielgruppe, eher jene, deren eigene Herzen verletzlich sind. "Da draußen gibt es eine Menge Leute, die aus verschiedenen Gründen Schwierigkeiten haben, traditionelle Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen", weiß der Unternehmer. Für die einsamen Herzen unter ihnen – Männer wie Frauen – seien pflegeleichte und allzeit willige Maschinenmenschen die idealen Partner. "Sie werden mit ihrer Puppe sprechen können und dank der künstlichen Intelligenz eine alternative Beziehung zu ihnen aufbauen."

In erster Linie, darum redet der 46-Jährige gar nicht herum, geht es seinen Kunden um Lustbefriedigung. Sex ist McMullens Geschäft. Abyss Creations, Mitte der 1990er Jahre gegründet, produziert die laut Eigenwerbung "schönste, haltbarste und handlichste Silikonpuppe der Welt".

Pornodarstellerinnen nachgebaut

30 Milliarden Dollar setzt die Sex-Tech-Industrie schätzungsweise bereits heute jährlich um.

Kunden können Größe, Haarfarbe, Teint, Taillen- und Brustumfang bestimmen, zwischen gut einem Dutzend verschieden geformter Schamlippen und mehr als 40 unterschiedlichen Brustwarzen wählen. Die neuesten Modelle im Angebot heißen Rebecca, Kaylani, Lupe, Quinn und Nick. Rein optisch sind sie kaum mehr von echten Menschen zu unterscheiden. Kaylani und Asa Akira wurden echten Pornodarstellerinnen nachempfunden. Wer eins dieser exklusiven Modelle erwirbt, erhält dazu ein Echtheitszertifikat und eine Autogrammkarte seines Stars.

Nicht nur das Aussehen ihres Sexroboters, sondern auch dessen "Persönlichkeit" können Kunden bestimmen. Manche mögen eine glückliche, liebevolle oder gesprächige Partnerin wählen, andere freuen sich über ein bisschen Eifersucht oder ein locker eingestreutes Shakespeare-Zitat, wieder anderen ist es ganz recht, wenn die Gestalt an ihrer Seite nur ab und mit den Augen rollt oder mit ihren sexy Wimpern klimpert, schließlich muss man ja nicht immer reden. Dass sie dann beim Sex leise seufzt oder stöhnt und am Ende sogar einen Orgasmus vortäuscht, genügt ihnen, höhere Ansprüche leiten sie nicht.

Designt nach der eigenen Traumfrau

Das alles hat natürlich seinen Preis. Die günstigsten Modelle aus der Abyss-Produktion kosten rund 4000 Dollar, hatten aber schon einen Vorbesitzer – das muss man wissen. Außerdem wirken sie nicht annähernd so echt wie Brooklyn, Quinn oder Asa Akira. Für die Luxusvariante, designt nach der eigenen Traumfrau, können dann auch schon mal 50.000 Dollar fällig werden.

Da das Geschäft mit den silikongeformten Gespielinnen derart lukrativ ist, tummeln sich neben Abyss Creations jede Menge Wettbewerber auf dem Markt: Doll4me aus Tauberbischofsheim, True Companion aus New Jersey, USA, Your Doll aus Jinjiang in China oder LumiDolls aus Barcelona, um nur einige zu nennen. Schätzungen zufolge setzt die Sex-Tech-Industrie bereits heute jährlich 30 Milliarden Dollar um.

Einer jener, die Schwierigkeiten haben, eine traditionelle Beziehung aufzubauen, nennt sich Mark Young und lebt im US-Bundesstaat Arizona. Dem britischen Sender BBC hat er verraten, warum er mit Mai Lin, einer Sexpuppe, die heimischen vier Wände teilt. "Ich bin schon seit einiger Zeit Single", sagt er. "Ich hatte mit vielen Mädchen Dates, und ich habe Zeit in Beziehungen verschwendet. Natürlich würde ich gern wieder ein Mädchen treffen, aber in der Zwischenzeit ist es einfach gut, dass jemand da ist."

Gut, körperlich sei die Beziehung schon, aber das sei zweitrangig. "Ich kann für sie Kleider einkaufen, es ist so, als ob es jemanden in meinem Leben gäbe, ohne dass ich dabei Fehler machen kann. Wenn ich gern einen Hut an ihr sehe, sagt sie nicht, dass sie ihn nicht mag."

40 Prozent würden es probieren

Männer wie Young leben nicht nur in den USA oder Japan, der Wiege der Robotik. Die Medienwissenschaftlerin Jessica Szczuka von der Universität Duisburg-Essen hat im Rahmen ihrer Dissertation 263 heterosexuelle Männer zwischen 18 und 67 Jahren gefragt, ob sie an einem Sexroboter interessiert seien, sofern der Preis dafür egal wäre. "Immerhin können sich knapp 40 Prozent der Teilnehmer vorstellen, jetzt oder innerhalb der nächsten fünf Jahre so einen Roboter zu kaufen", fasst Szczukas die Ergebnisse zusammen.

Das weltweit wachsende Interesse an Sexrobotern ist Professor Kathleen Richardson ein Dorn im Auge. Die britische Wissenschaftlerin von der De Montfort Universität in Leicester, England, hat sich der Ethik der Robotik verschrieben und kann nicht verstehen, dass es Milliarden potenzielle Partner auf unserem Planeten gibt, die Industrie aber Profit daraus schlagen kann, Menschen mit Dingen zu verkuppeln.

"Sex ist ein intimes Erleben zweier Menschen, aber die Gesellschaft hat Sex zu einem Produkt gemacht", kritisiert sie. "Männer haben Sex so vollständig von Beziehungen entkoppelt, dass sie jetzt in diese Fantasien eintreten können und Sex mit Puppen haben." Richardson warnt vor den Folgen dieser Entwicklung: "Wenn Männer dieses Objekt penetrieren, haben sie keine Beziehung, sondern sie masturbieren. Wenn sie eine Frau penetrieren und sie als Objekt betrachten, ist das eine Vergewaltigung. Wir müssen dieses Wirrwarr wirklich thematisieren."

Dr. Kate Devlin, Computerwissenschaftlerin an der University of London, sieht das entspannter. Sie glaubt sogar, dass Sexroboter "therapeutisches Potenzial" haben könnten. "Die Vorstellung, dass Männer diese Puppen benutzen, um gewalttätig zu sein, ist den meisten Käufern gegenüber unfair. Wir wissen bereits, dass Kunden eine Bindung zu ihnen aufbauen und sie mit Sorgfalt behandeln. Ich glaube nicht, dass das echten Beziehungen schaden wird."

Gesellschaftliche Akzeptanz fehlt

Der schottische Schachgroßmeister und AI-Experte David Levy hat bereits 2007 ein Buch mit dem Titel "Love and Sex with Robots: The Evolution of Human-Robot Relationships" veröffentlicht. Darin entwirft er eine Zukunft, in der Sexroboter menschliche Liebesbeziehungen nicht verdrängen, wohl aber ergänzen und in der die Beziehung zwischen Mensch und Maschine bis Mitte unseres Jahrhunderts gesellschaftlich akzeptiert ist.

Die Liebe des Menschen zum Abbild seiner Fantasie ist keineswegs eine Kopfgeburt der Neuzeit. In seinen "Metamorphosen" beschreibt der römische Dichter Ovid schon zu Beginn unserer Zeitrechnung das Schicksal eines zypriotischen Bildhauers: Pygmalion schmäht schlechter Erfahrungen wegen die Frauen, doch dann bringt sein Genius ein Wesen hervor, in das er sich unsterblich verliebt – Galatea, eine Elfenbeinstatue, die die Göttin Venus auf sein Drängen hin zum Leben erweckt und mit der er sogar eine Tochter zeugt, Paphos, an die auf Zypern bis heute eine Stadt erinnert.

Die Kunst eilt der Wirklichkeit von jeher voraus. Ob in Fritz Langs "Metropolis" (1927), Stanley Cubricks "2001 – Odyssee im Weltraum" (1968), Ridley Scotts "Bladerunner" (1982), James Camerons "Terminator" (1984, 1991, 2003), der "Matrix"-Trilogie (1999, 2003) von den Wachowski-Schwestern, "I Robot" (2004) von Alex Proyas, "Her" (2013) von Spike Jonze oder "Ex Machina" (2015) von Alex Garland – in all diesen Filmen geht es um die Beziehung zwischen Homo sapiens und Humanoiden. US-Regisseur Steven Spielberg erweckte 2003 in seinem Blockbuster "A.I. – Künstliche Intelligenz" sogar einen Sexroboter zum Leben, den ebenso charmanten wie hilfsbereiten "Gigolo Joe", verkörpert von niemand Geringerem als Womanizer Jude Law.

Die Realität indes scheint den Abstand zur Kunst beharrlich zu verringern. Sexpuppen mit G-Punkt, Bordelle mit Sexrobotern, artifizielle SM-Modelle, die dem Nutzer auf Wunsch Schmerzen zufügen – das alles gibt es längst. Auf dem internationalen Kongress "Love and Sex with Robots", zu dem die University of London am 19. und 20. Dezember 2017 bereits zum dritten Mal einlädt, wird es um ethische Fragen, die Genderproblematik und erstmals auch um "Gefühle" von Robotern gehen.

Lesen Sie dazu auch: Roboter: Künstliche Emotionen, besser als nichts?

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