Südamerika

Der unheimliche Koka-Boom

Droht der Welt eine neue Kokain-Schwemme? In Kolumbien explodiert der Koka-Anbau trotz Ende des Guerillakrieges. Und in Bolivien erlaubt ein neues Gesetz eine Verdopplung des Anbaus. Der frühere Vertraute von Drogenboss Pablo Escobar sieht nur eine Lösung im "Drogenkrieg".

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Ein Mitarbeiter der staatlichen Koka-Kontrollbehörde schüttelt auf dem Kokamarkt im bolivianischen Sacaba Kokasäcke aus, um die Blätter anschließend etwas zu trocknen.

Ein Mitarbeiter der staatlichen Koka-Kontrollbehörde schüttelt auf dem Kokamarkt im bolivianischen Sacaba Kokasäcke aus, um die Blätter anschließend etwas zu trocknen.

© dpa

Von Georg Ismar

SCABA Sinforoso Ladesma ist ganz begeistert von seinen Kokablättern, gerade wenn es einen Schlangenbiss gegeben hat. "Du musst sie im Mund kauen und auf die Wunde spucken, schon geht der Schmerz weg." Der Kokabauer steht mit einem großen Sack am Kokamarkt von Sacaba, der Hauptstadt der tropischen Chapare-Region in Bolivien.

Nach jahrelangem Rückgang hat die Anbaufläche für die Koka-Pflanze in Südamerika zuletzt um 30 Prozent zugelegt, hat gerade der neue Weltdrogenbericht der Vereinten Nationen (UN) festgestellt. Rund 250 Millionen Menschen konsumieren weltweit Drogen - in Europa wird pro Jahr Kokain für 5,7 Milliarden Euro abgesetzt. Und wenn die Zeichen nicht trügen, droht nun eine massive Zunahme der Kokainproduktion.

Was hat das mit Sinforoso Ladesma in Sacaba zu tun? Er sagt, er baue nur für den legalen Konsum an – das seit Jahrhunderten praktizierte Kauen von Kokablättern, um Ermüdungen bei der Feldarbeit oder in den Minen vorzubeugen. Aber wo seine Blätter hingehen, weiß er nicht.

Wer kontrolliert den Anbau?

Es ist ein abgesperrter Bereich, hier hat die Dirección General de la Hoja de Coca e Industrialización (DIGCOIN) das Sagen. DIGCOIN ist eine Polizeieinheit, die die Kokaproduktion kontrollieren soll, nachdem Präsident Evo Morales die US-Antidrogeneinheit DEA aus dem Land geworfen hat. Morales war selbst lange Kokabauer im Chapare.

Bis zu 2000 Säcke werden hier jeden Tag gewogen, den Bauern wird das Geld ausbezahlt, aktuell rund 1200 Bolivianos (150 Euro) je Sack mit 50 Libras (23 Kilo). Mehr als das Zehnfache dessen, das Bauern im Hochland bekommen, die das wegen der Nährstoffe und Mineralien als "Superfood" gefeierte Inkakorn Quinoa anbauen. Dies zeigt, warum es so lukrativ ist, Koka anzubauen, im Jahr sind drei Ernten möglich.

DIGCOIN-Polizisten, die anonym bleiben wollen, beteuern, die Koka werde von hier auf die Kokamärkte der Region verteilt - für den legalen Konsum. Der Leitspruch der Morales-Regierung lautet: "La hoja de Coca no es droga"; "das Kokablatt ist keine Droge". Produkte wie Kokatee und Kokaschokolade will Morales zum Exportschlager machen.

Koka ist nich gleich Koka

Das Problem: Die Koka aus dem Chapare ist so scharf, sprich alkaloidhaltig, dass sie im Mund brennt und kaum zum Kauen geeignet ist – anders als die Koka aus den Yungas, dem traditionellen Anbaugebiet, etwas höher gelegen. Daher hilft die Chapare-Koka sogar beim Lindern von Wunden und Bissen, wie es Ladesma schildert.

Im Chapare wird erst seit den 1980er-Jahren Koka angepflanzt, als tausende Minenarbeiter im Zuge neoliberaler Reformen im Hochland arbeitslos wurden und hierhin in die Tropen umzogen. Nach einer UN-Schätzung gehen 94 Prozent der Chapare-Koka in die Kokainproduktion - gerade wegen des sehr hohen Alkaloidanteils.

Nun wird aber mit einem von Morales unterzeichneten Gesetz die legale Anbaufläche von 12.000 auf fast 22.000 Hektar ausgeweitet, davon sollen 14.300 Hektar auf die Yungas und 7300 auf das Chapare entfallen. Hinzu kommen tausende Hektar illegale Flächen. Wenn aber die Chapare-Koka kaum zum Konsum taugt, könnte dies die Kokainproduktion deutlich erhöhen – es entsteht aus einer Vermischung von Chemikalien und Kokablättern.

Verdopplung der Kokain-Produktion

Frage an Kokabauer Ladesma, wie man verhindern will, dass die Produktion von Drogen steigt. Antwort: "Ich weiß es nicht." Nach Analyse der US-Behörden hat sich die Kokainproduktion Boliviens in den vergangenen zehn Jahren schon ohne das Gesetz auf 255 Tonnen verdoppelt. Es geht oft über Mittelamerika in die USA oder nach Europa. In den USA liegt der Straßenverkaufspreis bei etwa 80 Dollar pro Gramm – diese Preise und die Möglichkeit von drei Ernten im Jahr regen Kokabauern nicht gerade zum Anbau von Ananas und Orangen an.

Morales streitet strikt ab, dass es Verbindungen zum Drogenhandel gebe, die Ausweitung des Anbaus auch im Chapare sei wichtig, weil die Blätter billiger als die Yungas-Kokablätter seien und somit auch den ärmsten Mitbürgern das Kauen ermöglicht werde. Eine soziale Maßnahme sozusagen. Warum das fragwürdig ist: Für den legalen Konsum gilt eine Anbaufläche von maximal 14.000 Hektar im Land als völlig ausreichend.

Weltweit dominieren drei Länder den Koka-Anbau: Kolumbien auf Platz eins, dahinter folgen Peru und Bolivien. Auch bei der Nummer 1 legt der Anbau steil zu. Ausgerechnet das Ende des Guerillakampfes der Farc scheint in Kolumbien einen neuen Koka-Boom anzuheizen, es gibt Berichte, wie andere Banden in bisher von der Farc kontrollierten Gebieten versuchen, den Anbau unter ihre Kontrolle zu bringen.

Wer stoppt den Drogenhandel?

Zudem gingen im Zuge des mehrjährigen Friedensprozesses die staatlichen Bemühungen, gegen die Pflanzungen vorzugehen, zurück. Allein von 2014 bis 2015 war der Anbau laut offiziellen Angaben von 69.000 auf 96.000 Hektar explodiert. Das US-Office of National Drug Control Policy (Ondcp) geht sogar davon aus, dass heute auf bis zu 188.000 Hektar Koka angebaut wird und die Jahresproduktion 710 Tonnen Kokain betragen könnte. Das sind Zahlen fast wie zu Zeiten von Drogenbaron Pablo Escobar – und die USA erheben schwere Vorwürfe.

Denn Venezuelas sozialistische Regierung steht unter Verdacht, durch Bündnisse mit kriminellen Gruppen in Kolumbien den Drogenhandel zur Staatsfinanzierung zu nutzen. Vom US-Finanzministerium wurde zuletzt Vizepräsident Tareck El Aissami auf eine Liste mit Personen gesetzt, deren Vermögen eingefroren werden - er bestreitet jede Verwicklung.

In den 1980er- und 90er-Jahren versuchten die USA es mit dem milliardenschweren Krieg gegen die Drogen mit einem Besprühen der Felder ("Plan Colombia"), die EU förderte teure Programme für den alternativen Anbau von Bananen und Zitrusfrüchten. Geholfen hat es wenig, der Anbau ist und bleibt lukrativ – durch den Verlust des US-Einflusses in Südmerika sank zudem der Verfolgungsdruck.

Einer, der alle Tricks und Routen kennt, ist Jhon Jairo Velásquez alias "Popeye", der im Auftrag von Pablo Escobar rund 250 Menschen getötet hat und nach über 23 Jahren Gefängnis im kommenden Jahr bei den Wahlen für den Senat in Kolumbien kandidieren will. Seine Antwort auf die Frage, wie der Krieg gegen die Kokainhändler zu gewinnen wäre, ist knapp und doch interessant: "Man muss es legalisieren." (dpa)

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