Virtuelle Realität

Heilen mit künstlicher Wirklichkeit

VR-Brillen, Brillen zum Erleben einer virtuellen Realität, werden immer beliebter. Doch nicht nur Computerspieler, sondern auch die medizinische Forschung profitiert von der Technik – zum Beispiel bei der Behandlung von Patienten mit Phobien.

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VR-Brillen können auch bei der Bewältigung von Phobien helfen.

VR-Brillen können auch bei der Bewältigung von Phobien helfen.

© alexey_boldin / Fotolia

IMMENSTADT. Der Angstschweiß ist echt. Eigentlich steht Moritz Kuhn gerade sicher in einem Keller in Immenstadt im Allgäu. Doch wenn der 20-Jährige nach vorne schaut, blickt er in den Abgrund eines Hochhauses in 160 Meter Höhe – denn er trägt eine Virtual-Reality-Brille. Moritz hat spürbare Angst, nach unten zu fallen - dabei sieht er nur eine Simulation.

Rund 30 Prozent der Besucher trauen sich nicht, einen Schritt zur Seite in den Abgrund zu machen, sagt Christian Bendlin. Seit März betreibt der IT-Berater in Immenstadt einen Virtual-Reality-Erlebnisraum.

Klettersteig zum Mount Everest

Seit im vergangenen Jahr neue und bezahlbare Virtual-Reality-Brillen auf den Markt gekommen sind, boomt das Spiel mit der virtuellen Realität. Und davon profitiert nicht nur die Entertainmentbranche, sondern auch Forschung und Industrie.

In Erlebnisräumen wie in Immenstadt müssen Spieler sich nur eine Brille aufsetzen, und schon sehen sie Filmaufnahmen oder animierte Bilder, die sie in 360 Grad umgeben. Eigene Aktionen haben durch Sensoren an den Wänden Einfluss auf die Umgebung.

Unterstützt wird dieser Effekt durch zwei Controller, die die Menschen in den Händen halten. Dann können sie sich zum Beispiel mit einem Seil an einem Klettersteig auf dem Mount Everest sichern.

Noch ist die virtuelle Realität in der Unterhaltungsindustrie nur eine Nische. Bis Mai wurden laut Michael Guthe von der Uni Bayreuth etwa zwei Millionen Virtual-Reality-Headsets weltweit verkauft. "Der echte Boom wird aber sicher in den nächsten Jahren kommen, wenn die Technik noch etwas besser und vor allem der Preis niedriger wird", sagt er.

Perspektiven auch in der Neurologie

Davon werden auch ganz andere Bereiche profitieren – etwa die Psychologie. Andreas Mühlberger von der Universität Regensburg forscht schon seit rund 20 Jahren zu Virtual Reality. Vor allem in der Angsttherapie sei die Technik effektiv.

"Spinnen, Höhenangst, Flugangst: Es geht relativ gut, da virtuelle Realität zu schaffen", erklärt er. "Auch in der Simulation können Angstnetzwerke verändert und eine Phobie geheilt werden." Die Erfolgsquoten sind demnach genauso hoch wie bei einer Therapie in realer Umgebung.

Auch in der Neurologie wird zu dem Thema geforscht. Schlaganfall-Patienten kann die Technik helfen. Werden Bewegungen virtuell gezeigt, steuert das Gehirn auch in echt die Muskelpartien an. "Da ist nachgewiesen, dass dadurch die Regionen, die geschädigt sind, wieder aufgebaut werden können", sagt Mathias Müller.

Er ist Geschäftsführer einer Firma, die virtuelle Realitätssysteme entwickelt, und kooperiert mit dem psychologischen Institut der Uni Würzburg. Dort arbeitet Lehrstuhlleiter Paul Pauli an einer Zulassung für den Einsatz von Virtual Reality an Patienten. Denn in den Arztpraxen sei die Technik noch nicht angekommen, sagt Pauli.

Abtauchen, aber nur kurzfristig

In die Industrie hat die virtuelle Realität hingegen schon Einzug gehalten. BASF etwa plant seine Chemieanlagen seit 2000 mit Virtual Reality. Die Lagepläne sind virtuell begehbar. Fehler könnten frühzeitig und nicht erst in der Montage erkannt werden, sagt eine Sprecherin. In Immenstadt arbeitet Bendlin gerade an einem virtuell begehbaren Windpark-Lageplan.

Spielebetreiber wie Forscher gehen davon aus, dass die Technik immer wichtiger wird. Doch warum wirkt sie so real? "Die virtuelle Situation ist zwar nicht wirklich im Sinne eines Faktums, ihre Wirkung jedoch sehr wohl", erklärt Philosoph Tobias Holischka von der Uni Eichstätt-Ingolstadt. Das liege daran, dass Störeinflüsse von außen reduziert seien und Virtual Reality es den Spielern ermögliche, sich in der dargestellten Welt zu bewegen und damit zu interagieren.

Oft werde vor der Gefahr gewarnt, dass der Unterschied zwischen virtueller Welt und Alltagswelt verschwimme und sich Spieler in der virtuellen Realität verlieren könnten, meint der Wissenschaftler. Das hält er für überzogen: "Wenn der Magen knurrt oder die Blase drückt, ist schnell klar, in welcher Welt wir zuhause sind." (dpa)

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