Interview

"Ärzte müssen perfektionistisch sein!"

Perfektion kann beides sein: Das frustrierende Streben nach Makellosigkeit und die befriedigende Gabe, Fehler zu erkennen und seine Aufgaben besser erledigen zu wollen.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
"Ärzte müssen perfektionistisch sein!"

© privat

Dr. Christine Altstötter-Gleich

» Psychologin, Fachbereich Psychologie, Universität Koblenz/Landau, Abteilung Landau

» Lehrfächer: Differentielle und Persönlichkeitspsychologie sowie Evaluation und Forschungsmethoden

» Forschungsinteressen: Perfektionismus, Geschlechtsrollenselbstkonzept

Perfektionismus ist nötig, um besser zu werden. Das meint Dr. Christine Altstötter-Gleich. Sie ist Mitarbeiterin am Fachbereich Psychologie der Universität Landau und befasst sich seit langem mit Lust und Frust des Perfektionisten. Ihre Botschaft: Der Perfektionist muss lernen, das Gelungene zu würdigen.

Ärzte Zeitung: Frau Dr. Altstötter-Gleich, was ist eigentlich Perfektion?

Dr. Christine Altstötter-Gleich: Perfektion kann beides sein: Das frustrierende Streben nach Makellosigkeit und die befriedigende Gabe, Fehler zu erkennen und seine Aufgaben besser erledigen zu wollen.

Das Problem des Perfektionisten ist ja die Makellosigkeit.

Genau. Da geht es vor allem um den gnadenlosen Umgang mit Fehlern. Der Perfektionist ist sehr anspruchsvoll in Hinblick auf seine Ziele und auch in Bezug auf das, was andere tun. Aber andersherum verdanken wir diesem Anspruch auch sehr viel, gerade in der Medizin. Die immer größere Verlängerung der Lebenszeit kommt ja nicht von ungefähr, sondern auch daher, dass die Mediziner immer besser wurden und werden.

Aber der Perfektionist will doch keine Verbesserung. Er will Perfektion – und er erreicht sie nie. Das ist doch ein Dilemma.

Das wäre die Wurzel eines dysfunktionalen Perfektionisten. Jene Hyper-Aufmerksamkeit gegenüber eines irgendwie gearteten Optimums. Diese Perfektionisten sind sehr fehlersensibel. Ihre Gabe, Fehler zu erkennen, dass da irgendwo etwas anders läuft als es laufen sollte, ist ihnen zur Bürde geworden. Wer nur sieht, was nicht funktioniert, bekommt ein Problem. Mich interessieren die Prozesse, die dazu führen, dass jemand an seinen Ansprüchen zerbricht und erkrankt.

Welche Prozesse sind dies aus Ihrer Sicht?

In erster Linie ist das ein dysfunktionaler Umgang mit dem Scheitern beziehungsweise oft bereits der Möglichkeit, dass das passieren könnte. Häufig finden wir hier übertriebene und daher unrealistische Annahmen über die Konsequenzen eines – möglichen – Scheiterns, die lähmend wirken oder auch emotional stark belasten.

Sind Ärzte besonders perfektionistisch?

Ich glaube, ja – und das müssen sie auch. Denn ihre Produkte, wenn ich das mal so sagen darf, sind ja das Leben und das Wohlergehen ihrer Patienten. Da herrscht selbstverständlich ein hoher Anspruch und Fehler können daher tatsächlich gravierende Folgen haben!

Makellosigkeit ist sozusagen bei Ärzten "gesetzt". Genau wie zum Beispiel bei Spitzensportlern. Ist doch klar, dass das, was sie tun, keinen Sinn hat, wenn sie sagen: "Mir ist es egal, wann ich ins Ziel komme." Oder bei Ärzten: "Mir ist es egal, wie es dem Patienten nach der OP geht." Das kann Druck, Verunsicherung und Stress erzeugen.

Was haben perfektionistische Ärzte getan, die nicht wegen ihrer Ansprüche unter Druck und Verunsicherung leiden?

Sie haben sich mit ihren Fehlern lösungsorientiert auseinandergesetzt. Sie haben gelernt, sich und ihre Gabe wertzuschätzen und sich damit aus der Schmuddelecke des "ewigen Miesmachers" herausgeholt. Sie sind auch bei hohen Ansprüchen konstruktiv geblieben. Sie habe sich von Fehlern nicht entmutigen lassen. Und sie haben darauf geachtet, bei Kräften zu bleiben.

Gerade in Krankenhäusern wird ja zunehmend eine Fehlerkultur gepflegt, da gibt es zunehmend den Wunsch, offen mit Fehlern umzugehen. Das geht nur, wenn man anerkennt: Es ist positiv, Fehler vermeiden zu wollen!

Sind die Menschen die Gutes besser machen wollen, so etwas wie gereifte Perfektionisten?

Wenn Sie so wollen,ja.

Wie kommentieren Sie die leutselige Weisheit: "Nobody is perfect"?

Mit einer anderen "Weisheit": "Always look on the bright side of life!" Wer neben all dem, was vielleicht verbesserungswürdig ist, das sieht und würdigt, was gut und gelungen ist, bleibt als Mensch mit anspruchsvollen Zielen und Maßstäben gesund.

Lesen Sie dazu auch: Zwang oder Antrieb?: Wenn Perfektion zum Maß aller Dinge wird

Mehr zum Thema

Vor dem World Health Assembly

WHO-Pandemieabkommen noch lange nicht konsensfähig

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Lesetipps
Neue Hoffnung für Patienten mit Glioblastom: In zwei Pilotstudien mit zwei unterschiedlichen CAR-T-Zelltherapien blieb die Erkrankung bei einigen Patienten über mehrere Monate hinweg stabil. (Symbolbild)

© Richman Photo / stock.adobe.com

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert