Rechtsmedizin

DNA – der stille biologische Zeuge

Der genetische Fingerabdruck ist in der Rechtsmedizin längst etabliert. Doch DNA-Analysen haben auch eine politische und moralische Dimension – zum Beispiel, wenn es darum geht, die biogeographische Herkunft einer Person vorherzusagen.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:
Wer ist der Täter? Eine Genanalyse kann Licht ins Dunkel einer Tat bringen, für die es keine Zeugen gab.

Wer ist der Täter? Eine Genanalyse kann Licht ins Dunkel einer Tat bringen, für die es keine Zeugen gab.

© selimaksan / Getty Images

Als der genetische Fingerabdruck das erste Mal für polizeiliche Ermittlungen angewendet wurde, 1986 war das bei der Aufklärung von zwei Sexualmorden in Großbritannien, bewies die Methode gleich hohes Potenzial: Die DNA-Analyse führte nicht nur auf die Spur des Täters. Sie schloss auch einen Mann aus, der einen der beiden Morde gestanden hatte. Tatassoziierte DNA stimmte nicht mit der DNA des Geständigen überein. Der Täter kam vor Gericht und ein Fehlurteil wurde vermieden.

Die Einführung molekulargenetischer Marker in die Forensik gilt weltweit als große Erfolgsgeschichte in der Spurenanalyse. Allein in Deutschland konnten seit Aufbau der DNA-Analyse-Datei (DAD) Ende der 90er Jahre mehr als 191.000 DNA-Spuren vom Tatort Personen zugeordnet und die entsprechenden Taten damit vermutlich aufgeklärt werden, so das Bundeskriminalamt (BKA).

Forensik entwickelt sich rasant

In der DAD gibt es derzeit 1.172.987 Datensätze: Bei 866.104 sind die dazugehörigen Personen bekannt, 306.883 Datensätze stammen von Spuren unbekannter Personen. "Jede dritte bis vierte DNA-Spur erzielt einen Treffer in der Datenbank", erläutert Professor Peter M. Schneider vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Köln, der seit Ende der 80er Jahre auf dem Gebiet der DNA-Analyse forscht und arbeitet.

Es ist ein Bereich der Forensik, der sich rasant entwickelt und von hoher politischer Relevanz ist. Forschungsförderung und damit auch mögliche Weiterentwicklungen des Fachgebietes stehen im Interesse der Strafverfolgung, der Staat schafft den rechtlichen Rahmen.

"Rechtsmedizin und Justiz hängen voneinander ab", sagte Peter Biesenbach (CDU), Justizminister von Nordrhein-Westfalen, bei der Eröffnung des Kongresses "Advances in Legal Medicine" (ISALM), der parallel mit der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin in Düsseldorf stattfand.

Es gibt bei Strafverfolgung und Rechtsprechung einen zunehmenden Trend, gewissermaßen Halt im Messbaren zu suchen. "Menschliche Zeugen können sich irren und sie können lügen", sagt Biesenbach im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". "Genetisches Material ist objektiv, es ist neutral und es wird als stummer Zeuge immer wichtiger für die Strafverfolgung. Ich werde mich dafür einsetzen, dass auch neue Methoden angewendet werden dürfen, wenn sie wissenschaftlich ausgereift sind. Dazu gehört die erweiterte DNA-Analyse."

Sie ist international seit Jahren wichtiges Thema in der forensischen Medizin. Einige deutsche Bundesländer wie Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen setzen sich für eine DNA-gestützte Vorhersage von äußeren körperlichen Merkmalen ein wie Haar-, Haut- und Augenfarben. Auch sollte es zulässig sein, das Alter eines Spurenlegers auf Basis von DNA-Analysen abzuschätzen. Bayerns Justizminister Professor Winfried Bausback (CSU) spricht sich außerdem dafür aus, mit der DNA-Analytik die biogeographische Herkunft eines Spurenlegers einzugrenzen. Für all dies müsste die Strafprozessordnung (StPO) geändert werden.

Profiling mit Hilfe der DNA

Denn die gesetzlichen Bestimmungen beziehen sich auf den bisherigen genetischen Fingerabdruck. Dabei wird DNA einer Spur mit der DNA einer anderen Spur oder der DNA einer bekannten Person auf Übereinstimmung hin verglichen. Die DNA-Abschnitte sind nicht kodierend. Gutachter geben auf Basis von wissenschaftlichen Datenbanken die Wahrscheinlichkeit an, mit der eine zweite Person dasselbe DNA-Profil hat wie die untersuchte DNA (siehe Kasten).

Bei einer kompletten, fehlerfreien Analyse liegt die Wahrscheinlichkeit, dass eine zweite Person dasselbe DNA-Profil hat, bei weniger als eins zu mehreren Milliarden. Die DNA-Analyse ist damit individualspezifisch. Sie ist – außer für die Bestimmung des Geschlechts - nur in dieser Form für den Zweck der Strafverfolgung durch die StPO (§ 81) erlaubt.

Die phänotypische DNA-Analyse basiert auf der Analyse von nichtkodierenden und von kodierenden Abschnitten, also auch von Genen, und sie beschreibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Spurenleger eine bestimmte Haar-, Augen- oder Hautfarbe hat. Die erweiterte DNA-Analyse ist nicht individualspezifisch. Sie kann also nicht eine bestimmte Person identifizieren oder ausschließen, sondern sie beschreibt äußere Merkmale, die auf eine Gruppe von Menschen zutreffen. Für diese Verfahren bedürfte es einer Änderung der StPO.

Für die Ermittler liegt der Wert der erweiterten DNA-Analyse darin, den Kreis der Tatverdächtigen einzugrenzen. Obwohl in der Forensik schon seit vielen Jahren grundsätzlich diskutiert und erforscht und in einigen andern Ländern angewendet, war der Sexualmord an einer 19-jährigen Medizinstudentin im Oktober 2016 in Freiburg für den Justizminister des Landes Baden-Württemberg Anlass, eine entsprechende Gesetzesinitiative in den Bundesrat einzubringen.

"Unter verschiedenen äußeren Merkmalen des Menschen hat die Vorhersage des Alters einen größeren praktischen Nutzen als Vorhersagen von Augen- und Haarfarbe", so die Einschätzung der deutschen Spurenkommission vom Dezember 2016. Die Kommission besteht aus Vertretern der universitären rechtsmedizinischen Institute und der kriminaltechnischen Institute an BKA und Landeskriminalämtern.

Für die Vorhersage des Alters wird die Analyse der DNA-Methylierung entwickelt (siehe Kasten links). Die Methode wurde an Blutproben erarbeitet und ermöglicht, das Alter in einem Bereich von 20 bis 60 Jahren mit einer durchschnittlichen Abweichung von vier bis fünf Jahren zu prognostizieren. In dieser Alterskategorie wird die Wahrscheinlichkeit, dass eine Prognose zutrifft, auf 73 bis 90 Prozent geschätzt (Forensic Science International: Genetics 18; 2015: 33-48).

Für Strafverfolgung enorm wichtig

Bei der biogeographischen Herkunft lassen sich bislang lediglich Aussagen dazu machen, von welchem Kontinent der Spurenleger stammt, also aus Europa, Afrika, Ostasien, Ozeanien oder Amerika (indigene Bevölkerung). Das internationale Forschungsnetzwerk EUROFORGEN hat mit finanzieller Förderung der Europäischen Union ein PCR-basiertes Standard-Testkit entwickelt: auf Basis von 128 DNA-Abschnitten (Forensic Science International: Genetics 21; 2016: 178-89). Genetische Durchmischungseffekte werden zwar erkannt, erschweren aber Differenzierungen der Herkunft auf subkontinentaler Ebene.

Dennoch: Für die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden sei die Erweiterung der DNA-Analyse von "enormer Bedeutung", meint Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU). Verfassungsrechtliche Bedenken hat er nicht. Die erweiterte DNA-Analyse sei vergleichbar damit, dass ein Täter zufällig bei einer Tat gefilmt oder fotografiert werde. "Auch in diesem Fall würden wir uns die Aufnahmen anschauen und versuchen, alle erkennbaren äußeren Merkmale zu identifizieren", so Wolf. Dass diese "ermittlungstechnische Selbstverständlichkeit" nicht mehr gelten solle, wenn körperliche Merkmale über den Umweg der DNA-Analyse ermittelt würden, sei nicht nachvollziehbar.

Allerdings wird in der internationalen Diskussion, auch aus den Reihen der Rechtsmedizin, immer wieder auf Fallstricke von DNA-Analysen und Missbrauchsmöglichkeiten bei der Speicherung und Weitergabe von Daten hingewiesen. "Für DNA-Analysen müssen klare Spielregeln gelten, deren Einhaltung kontrolliert wird", sagte Professor Markus Rothschild, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Köln, bei einer Pressekonferenz zum Kongress. "Deshalb braucht die DNA-Analyse den Rahmen eines demokratischen Systems." Und grundsätzlich eine kritische Haltung zu ihren Ergebnissen und eine Prüfung auf mögliche Fehler.

Wie man irren kann, zeigt das "Phantom von Heilbronn": Nach dem Mord an einer Polizistin 2007 in Heilbronn – Täter waren, wie man heute vermutet, Mitglieder des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) – suchte man etwa zwei Jahre lang nach einer Frau, die an 40 teilweise weit voneinander entfernten Tatorten DNA-Spuren hinterlassen haben sollte. Die DNA-Analyse hatte eine falsche Fährte gelegt: Die Frau war an der Produktion der für die Spurensicherung verwendeten Wattestäbchen beteiligt und hatte sie kontaminiert.

Erweiterte DNA-Analyse

  • Die phänotypische DNA-Analyse basiert auf der Analyse von nichtkodierenden und von kodierenden Abschnitten
  • Sie beschreibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Spurenleger eine bestimmte Haar-, Augen- oder Hautfarbe hat
  • Sie ist nicht individualspezifisch, kann also nicht eine bestimmte Person identifizieren oder ausschließen, sondern sie beschreibt äußere Merkmale, die auf eine Gruppe von Menschen zutreffen.

Lesen Sie dazu auch: Methoden: Techniken der DNA-Analyse

Lesen Sie dazu auch: Interview: Noch kein biologisches Phantombild

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