Versorgung von Flüchtlingen

Das Thema Folter ist nicht weit weg

Bei Patienten, die aus nordafrikanischen Ländern geflüchtet sind und die in Deutschland mit unspezifischen Fuß- oder Rückenschmerzen in die Praxis kommen, sollten Ärzte auch Folter als Auslöser in Betracht ziehen.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Ein Graffiti an einer Hauswand im libyschen Tripolis zeigt eine Folterszene. Schläge auf die nackten Fußsohlen sind als Falange, Falaka oder Bastonade bekannt. Auch deutschen Ärzten können Opfer einer solchen Folterung begegnen.

Ein Graffiti an einer Hauswand im libyschen Tripolis zeigt eine Folterszene. Schläge auf die nackten Fußsohlen sind als Falange, Falaka oder Bastonade bekannt. Auch deutschen Ärzten können Opfer einer solchen Folterung begegnen.

© Matthias Tödt/dpa

WUPPERTAL. Ein Patient kommt mit unspezifischen Rückenschmerzen in die Praxis. Der Mann stammt aus Libyen und ist als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Nachdem erste Untersuchungen zu keiner eindeutigen Diagnose führten, überweist der Hausarzt den Patienten zu einem Schmerztherapeuten.

Nach mehreren Sitzungen und behutsamen Nachfragen offenbart sich der Libyer dem Spezialisten und berichtet, dass er in seiner Heimat gefoltert worden sei, und zwar mit Schlägen auf die bloßen Fußsohlen. Eine Foltermethode, die man im arabischen Sprachraum Falange oder Falaka nennt und die in anderen Ländern als Bastonade bekannt ist.

Äußerlich ist oft nichts zu erkennen, doch kommt es vielfach zu Ödemen und Durchblutungsstörungen, zur Verminderung des Fettgewebes der Sohle, zur Abflachung des Fußgewölbes und zu chronischen, belastungsabhängigen Schmerzen in Füßen und Beinen sowie zu Fehlhaltungen, die chronische Schmerzen im Rücken verursachen können.

Eine "gängige Foltermethode"

"Schläge auf die Fußsohlen sind sehr weit verbreitet", erklärt Dr. Thomas H. Cegla, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie sowie Ärztlicher Direktor des Krankenhauses St. Josef in Wuppertal. "Vor allem in nordafrikanischen Ländern ist das eine gängige Foltermethode, auch in Syrien oder Afghanistan."

Als Mitglied der Internationalen Gesellschaft zur Erforschung des Schmerzes (IASP) wirkt Cegla seit Jahren in einer Gruppe mit, die sich den mit Folter, Gewalt und Krieg verbundenen Schmerzen widmet. Auch beim Deutschen Schmerz- und Palliativtag im März in Frankfurt am Main hat der Wuppertaler Arzt über dieses Thema gesprochen und versucht, zu sensibilisieren. "Patienten mit dem Hintergrund Migration, Vertreibung, Krieg, Trauma sehen wir schon seit langer Zeit", sagt Cegla im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung", "aber das ist uns oft nicht bewusst."

Der Schmerzspezialist verweist auf die Überlebenden des Zweiten Weltkriegs, die heute weit über 80 sind, und auf die Kriegsopfer aus Ex-Jugoslawien, die in den 1990er Jahren aus ihrer Heimat geflüchtet und in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. Viele dieser Menschen hätten unvorstellbares Leid erfahren, seien stark traumatisiert und entwickelten eine spezifische Schmerzsymptomatik, die sich mitunter erst spät zeige.

Schmaler Grad hin zur Chronifizierung

"Flucht, Gewalt, Vertreibung und Folter können Schmerzen chronifizieren", erläutert der Wuppertaler Anästhesiologe. "Infolge des Schmerzes verändern sich die sozialen Bedingungen des Patienten, seine Aktivitäten und seine Mobilität. Eine multimodale Schmerzmedizin muss immer die Chronifizierungsgeschichte berücksichtigen."

Das häufigste Problem in der Praxis, so Cegla, sei die Kommunikation. Wenn man einen Dolmetscher im eigenen Team habe, sei dies ideal, wenn Angehörige des Patienten übersetzten, müsse man berücksichtigen, dass die Information stets gefiltert werde. Manchmal könnten fremdsprachige Fragebögen helfen, manchmal bleibe es jedoch bei einer nonverbalen Kommunikation.

"Kulturelle Besonderheiten erschweren die Kommunikation", so Cegla. "Manche Patienten sagen beispielsweise, dass alles gut sei, weil es in ihrer Kultur eine Beleidigung des Arztes darstellt, wenn sie aussprechen, dass ihre Schmerzen tatsächlich nicht besser geworden sind."

Die meisten Schmerzpatienten mit Gewalterfahrung, so Ceglas Erfahrung, seien prinzipiell dazu bereit, sich ihrem Arzt zu öffnen. Doch in der Praxis erfordere dies oft Geduld. "Wenn wir einen Verdacht haben, sollten wir den vorsichtig ansprechen und am besten einen Muttersprachler hinzuziehen, der übersetzt."

Menschen aus anderen Kulturen wirkten mitunter schmerzempfindlicher, doch in Wahrheit drückten sie ihren Schmerz nur anders aus. Nicht immer sei eine Gewalterfahrung Hintergrund des chronifizierten Schmerzes. Oft hätten die Patienten auch einfach lange in Lagern gelebt, ohne spezifische Hilfen zu erhalten.

Problematik im Hinterkopf behalten

"Das Thema Flüchtlinge ist in den Medien ständig präsent", kritisiert der Schmerzspezialist, "aber in welcher Form wir uns um die Betroffenen kümmern müssten, darüber wird selten berichtet." In der Praxis sei schon viel damit gewonnen, wenn Ärzte im Fall des Falles Themen wie Krieg, Gewalt, Flucht und Vertreibung im Hinterkopf behielten. Oft könne man den Patienten helfen, indem man sie an spezialisierte Einrichtungen der Diakonie und Caritas vermittle, die sich psychotherapeutisch um Gewaltopfer kümmerten.

141 Länder foltern – das geht aus dem aktuellen Folterbericht 2014 von Amnesty International hervor.

Die Menschenrechtsorganisation hat von 2009 bis 2014 Folter und Misshandlung dokumentiert. In einigen Ländern handele es sich um Einzelfälle, in vielen werde systematisch oder routinemäßig gefoltert.

Der Folterbericht von Amnesty International ist einsehbar unter

http://bit.ly/2yyk2tR

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