Frankfurter Historiker berichtet

Zu viel Liebe? Das Hirn trocknet aus!

Vom Wohl und Weh der Ärzte im Spiegel der Frankfurter Geschichte kann der Historiker Dr. Thomas Bauer viele Episoden erzählen.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Entdeckt wundersame Dokumente aus der Geschichte des Gesundheitswesens: Dr. Thomas Bauer.

Entdeckt wundersame Dokumente aus der Geschichte des Gesundheitswesens: Dr. Thomas Bauer.

© Pete Smith

Die GOÄ ist keine Erfindung unserer Gegenwart. Bereits im 18. Jahrhundert war klar geregelt, welche Gebühr ein Arzt für welche Leistung berechnen durfte. Beim ersten Hausbesuch etwa fiel ein halber Gulden an, der sich bei weiteren Besuchen halbierte. Grassierte gerade mal wieder eine Seuche, durften Ärzte eine Gefahrenzulage draufschlagen, wodurch sich ihr Honorarsatz verdoppelte.

Dagegen kassierten Chirurgen, damals noch Wundärzte ohne akademische Ausbildung, für das Schienen eines gebrochenen Beins sechs und für dessen Amputation sogar satte 24 Gulden. Selbst wenn ihr Patient dabei starb, gab's immerhin noch die Hälfte.

Vom Wohl und Weh der Ärzte im Spiegel der Geschichte weiß der Frankfurter Historiker Dr. Thomas Bauer so manch eine Episode zu erzählen. Historische Quellen sind ihm dabei ein ewig sprudelnder Quell teils erhellender, teils kurioser Anekdoten. Beispielsweise der 1547 im Frankfurter Egenolph-Verlag erschienene "Arzneispiegel", dessen Verfasser Johann Dryander (1500-1560) zu den ersten Fachbuchautoren Deutschlands zählt. Vor allem die Hygiene lag dem Mediziner, Mathematiker und Anatomen am Herzen.

Dabei sei das regelmäßige Bad so oft als möglich mit der seelischen Entspannung zu verknüpfen, riet Dryander: "Dann wer nitt freüdig im bade ist, und alle sorge und anligens des gemüts auff die zeit zurück schlegt, soll nitt vil nutzes vom bade bekommen." Nützlich sei das Bade für die Blutreinigung, schädigen könne es allerdings Augen und Lunge.

"Das Werk der Liebe"

Auch dem "Werk der Liebe" widmet sich Dryander in seiner Schrift. In Maßen genossen und keinesfalls in "unpassendem Alter" praktiziert, nutze die Liebe sowohl der Stärkung von Mann und Frau wie auch der "Mehrung des menschlichen Geschlechts". Aus unmäßiger Liebe jedoch erwüchsen "böse Zufälle", warnt der im hessischen Wetter geborene Arzt: Dann trockne das Hirn aus.

Aus Anlass der Gründung des städtischen Gesundheitsamts Frankfurt am Main 1917 hat sich Thomas Bauer die 500-jährige Geschichte kommunalen Gesundheitswesens genauer angesehen und dabei neben kuriosen Anekdoten auch erschütternde Dokumente über die verheerende Macht der Epidemien entdeckt.

Die Geißel des Mittelalters war zweifelsohne die Pest. Millionen Menschen fielen dem "Schwarzen Tod" zum Opfer. "Da hatten auch die Stadtärzte ihr schwerstes Amt", so Bauer. "Sämtliche Pestgutachten des Mittelalters basierten auf Spekulationen", beispielsweise auf der von Hippokrates von Kos begründeten Miasmen-Lehre. Danach stiegen vom Boden giftige Ausdünstungen auf, die Krankheiten auslösten, welche wiederum durch Luftübertragung verbreitet wurden.

Die vielerorts praktizierten Maßnahmen gegen die Pest – Messen, Almosen, Prozessionen, Fasten und Altargänge – zeugen von großem Glauben und ebenso großer Hilflosigkeit. Selbst viele Ärzte folgten daher dem mehr als 1000 Jahre alten Leitspruch des griechischen Arztes Galenus von Pergamon: "Fuge cito, longe et tarde redeas!" – "Fliehe schnell weit weg und komme erst spät zurück!"

Dessen ungeachtet waren Stadtärzte vielerorts bemüht, Epidemien zumindest einzudämmen, wobei manche Maßnahmen durchaus Sinn machten, wie Historiker Bauer anhand einiger Quellen belegt. So rieten die Mediziner beispielsweise ihren Schützlingen dazu, Fische aus stehenden Gewässern zu vermeiden, nicht wild zu pinkeln und ihre Straßen reinzuhalten.

Laut städtischer Verordnung waren die Frankfurter Bürger angehalten, grundsätzlich jeden Samstag um 12 Uhr die Gasse vor ihrem Haus zu kehren, ein Brauch, der sich in ländlichen Gegenden bis in unsere Tage gehalten hat.

Viele Aufgaben damaliger Stadtärzte muten durchaus zeitgemäß an. Neben Maßnahmen zur Hygiene fielen darunter beispielsweise auch Fragen der ärztlichen Niederlassung, der Schutz vor Quacksalbern und Gutachten in medizinischen Streitfällen. Später kamen dann auch soziale Anliegen hinzu.

Das Vermächtnis Senckenbergs

Als herausragendes Beispiel für bürgernahes Engagement gilt der Arzt und Naturforscher Johann Christian Senckenberg (1707-1772), der nach dem Tod seiner drei Ehefrauen und seiner zwei Kinder sein gesamtes Vermögen in eine Stiftung zur "besseren Gesundheits-Pflege hiesiger Einwohner und Versorgung der armen Kranken" überführte, Grundstock zur Errichtung des Frankfurter Bürgerhospitals.

Dessen Fertigstellung verpasste der Stifter knapp: Bei einer Begehung der Baustelle stürzte Senckenberg am 15. November 1772 vom Gerüst der Kuppel und starb. Zwei Tage später wurden seine sterblichen Überreste als erste Leiche in dem von ihm selbst gestifteten Theatrum anatomicum öffentlich seziert.

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