Medizin macht es möglich

Greise Künstler begeistern Experten

Mit 100 Jahren Karriere machen? In der Kunst kommt das neuerdings häufiger vor. Auf dem Kunstmarkt und Großausstellungen feiern hochbetagte Künstler derzeit international Erfolge.

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DÜSSELDORF. Carmen Herrera ist 102 –und die kubanisch-amerikanische Künstlerin startet jetzt richtig durch. Das Whitney Museum in New York widmete der hochbetagten Herrera, die zu den Pionieren des abstrakten Expressionismus in den USA zählte, unlängst eine Ausstellung. Ab Samstag ist die Schau auch in Düsseldorf in der Kunstsammlung NRW zu sehen – erweitert unter anderem durch eine abstrakte Grün-Blau-Komposition, die Herrera gerade erst fertiggestellt hat.

Herrera dürfte eine der ältesten noch aktiven renommierten Künstler sein. Sie ist aber längst nicht die einzige Künstler-Seniorin auf Erfolgskurs.

Bessere medizinische Versorgung

Für das Geheimnis der Kreativität im hohen Alter hat der renommierte Heidelberger Gerontologe Andreas Kruse auch wissenschaftliche Erklärungen. "Die Alten haben heute im Durchschnitt eine bessere Bildung, bessere Gesundheit, eine höhere Selbstständigkeit, und sie können medizinisch besser versorgt werden", sagt er. Das sind alles wichtige Grundlagen dafür, dass die Kreativität sich immer weiter entfalten kann."

Die Künstler haben im Laufe ihres Lebens hochdifferenzierte und leicht abrufbare Wissens- und Handlungssysteme entwickelt, so Kruse weiter. Sie wissen unglaublich viel. Sie arbeiten immer wieder fleißig an den Themen und versuchen auch immer wieder, in ein neues Thema einzudringen, ein Musikstück neu zu interpretieren oder ein Kunstwerk in einer anderen Weise zu schaffen.

Kruse nennt weitere Kriterien für eine erfolgreiche Karriere im Alter: Die Künstler müssen schon früh in ihrer Biografie begonnen haben, sich mit bestimmten künstlerischen Bereichen auseinanderzusetzen, darin auch quer zu denken und etwas Neues zu entwickeln. Sie wollen ihre Kreativitätsgeschichte in gewisser Weise abrunden. Und an dieser arbeiten sie wie an einer Skulptur.

Und schließlich geht es um das persönliche Altersempfinden: Sie fühlen ihr hohes Alter als eine Phase künstlerischer Vollendung.

Auf der documenta und der Biennale Venedig zum Beispiel wurde die Rumänin Geta Bratescu gefeiert – sie ist 91. Der deutsche Konzeptkünstler Franz Erhard Walther ist dagegen mit 78 Jahren noch geradezu jung. Auf der Biennale wurde er mit dem Goldenen Löwen als bester Künstler ausgezeichnet – für seine "radikalen" Arbeiten.

Performance-Künstlerin mit 88

Und in Siegen ist derzeit die erste Retrospektive der Fluxus- und Performance-Künstlerin Takako Saito zu sehen. Sie ist 88 und hat im Museum für Gegenwartskunst zwölf Räume mit mehr als 200 Arbeiten selbst eingerichtet.

Senioren prägen den aktuellen künstlerischen Diskurs entscheidend mit. Bei Herrera und Bratescu kommt hinzu, dass sie als Frauen Jahrzehnte von Kunstgeschichte und Markt ignoriert wurden. Herrera verkaufte ihr erstes Bild mit 89 Jahren. Dabei war sie mit ihren abstrakt-geometrischen Kompositionen in knalligen Farben nicht weniger avantgardistisch als ihre Kollegen Josef Albers oder Piet Mondrian, mit denen sie schon nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen ausstellte.

"Museen und Institutionen versuchen, einen neuen Blick auf die Kunstgeschichte zu werfen", sagt Katia Baudin, Direktorin der Krefelder Kunstmuseen, die sich mit Herrera und Walther beschäftigt hat. In den letzten Jahren rückten vor allem Künstlerinnen stärker in den Fokus. "Man will zeigen, dass sie die gleiche Qualität hatten und in denselben Netzwerken wie Männer waren."

Warum aber haben gerade alte Künstler derzeit so großen Erfolg? "Die alten Künstler stellen auch aus heutiger Sicht Fragen, die wieder aktuell sind", sagt Baudin. "Ein Künstler zu sein, ist ja auch kein Nine-to-five-Job, bei dem man mit 65 in Rente geht. Das ist ja ein Leben."

Geta Bratescu musste 90 werden, bis sie international wahrgenommen wurde. Ihre Wohnung in Bukarest verlässt sie kaum noch. Seit mehr als einem halben Jahrhundert produziert sie dort unaufhörlich Kunst. Ideen gehen ihr nie aus. "Ich kann die Schwerkraft meines Alters nicht entdecken", sagte sie einmal. (dpa)

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