Hilfseinsatz in Ghana

Wenn Welten aufeinandertreffen

Die urologische Versorgung in Ghana findet nur sehr eingeschränkt statt. Der Verein "Die Ärzte für Afrika" unterstützt sechs Kliniken vor Ort – eine Herzensangelegenheit.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Krankenakten über Krankenakten: Morgenbesprechung im Stationszimmer. © Horsch/DÄfA

Krankenakten über Krankenakten: Morgenbesprechung im Stationszimmer. © Horsch/DÄfA

© Horsch/DÄfA

JIRAPA. Das elfjährige Mädchen, das Professor Reinhold Horsch im St. Joseph's Hospital in Jirapa im Nordwesten Ghanas nahe der Grenze zu Burkina Faso gesehen hat, geht ihm nicht mehr aus dem Kopf. Es kam mit seinen Eltern in die Sprechstunde – in Windeln.

Bei der – gesetzlich verbotenen, aber von den meisten Eltern gewünschten – Beschneidung, häufig im Alter von zwei oder drei Jahren, war dem Mädchen versehentlich die Harnröhre zerschnitten worden, es verlor infolgedessen ständig Urin.

Im Rahmen seines freiwilligen Einsatzes in Ghana konnte Horsch dem Mädchen eine Perspektive mit neuer Lebensqualität geben: Durch die operative Verlegung des Harnleiters in den Enddarm erfolgt die Urinentleerung seither über diesen Umweg, der Windelzwang entfällt.

Für Horsch, von 1986 bis 2011 Chefarzt der Urologie am Ortenau-Klinikum Offenburg, zählt dieser Fall exemplarisch zu den Herausforderungen, denen sich Ärzte in freiwilligen Hilfseinsätzen speziell in Afrika stellen müssen.

Horsch leitet zusammen mit einem fünfköpfigen Vorstand seit 2011 den Verein "Die Ärzte für Afrika e.V." (DÄfA). Gegründet wurde dieser 2007 von dem Urologen Dr. Gerd Engel, der bis zur Stabübergabe auch als Vereinsvorsitzender fungierte.

Missionsschwestern baten um Hilfe

Die Ärzte für Afrika

2007 gegründet von dem Urologen Dr. Gerd Engel

Vereinsvorsitzender: Professor Reinhold Horsch, ehemaliger Chefarzt der Urologie am Ortenau-Klinikum Offenburg und ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU). Der eingetragene Verein ist rein spendenfinanziert.

Mitglieder: Rund 280, darunter 150 Urologen, weitere Ärzte, Krankenschwestern, aber auch Techniker

Infos im Web: www.die-aerzte-fuer-afrika.de

"Als Chirurg war für mich klar, dass ich im Ruhestand die Hände nicht werde stillhalten können", erklärt Horsch auf Nachfrage der "Ärzte Zeitung", wie ihn sein Weg zur tatkräftigen medizinischen Hilfe nach Afrika geführt hat. 2008 habe er erstmals von DÄfA gehört und sei 2011 zum ersten Mal zum Einsatz nach Ghana gereist – nun ist er jährlich mindestens zweimal vor Ort.

Dass die mittlerweile 280 Mitglieder – Ärzte, darunter rund 150 Urologen, Kranken- und OP-Schwestern, Techniker, Sekretärinnen und Privatleute – ausgerechnet in Ghana und nicht in einem – teils noch viel ärmeren Land in Westafrika – tätig sind, ist laut Horsch ganz banal gesagt dem Zufall geschuldet.

Bereits vor der DÄfA-Gründung seien katholische Missionsschwestern aus Ghana an den Rotarier Engel herangetreten und hätten um Hilfe bei der urologischen Versorgung gebeten.

Heute sind die DÄfA-Mitglieder in sechs ghanaischen Krankenhäusern tätig – in besagtem in Jirapa im Nordwesten des Landes, die restlichen fünf Kliniken im Süden befinden sich im weiteren Dunstkreis der Hauptstadt Accra.

Wie Horsch betont, handelt es sich bei allen Häusern um ehemalige Missionseinrichtungen, die inzwischen gemischt betrieben würden.

So trüge die katholische Kirche GhanasMission die Investitionen zum Erhalt und Betrieb des jeweiligen Krankenhauses, der Staat sei für die Entlohnung des Personals und die Krankenversicherung zuständig – und komme dieser mit teils erheblicher Verspätung auch nach.

Einsatz dauert zweieinhalb bis drei Wochen

Konkret begeben sich laut Horsch kleine Einsatzteams – zumeist zwei Fachärzte für Urologie oder ein Urologe und ein Facharzt einer anderen Disziplin oder ein angehender Facharzt zusammen mit einer Krankenschwester – auf den Flug nach Accra.

Ein Einsatz dauere in der Regel zweieinhalb bis drei Wochen, pro Jahr würde jedes der sechs Missionskrankenhäuser zwei- bis dreimal von DÄfA-Experten besucht.

"Gehen wir in eines der fünf Häuser im Süden, so übernachten wir nach der Landung in Accra einmal dort und holen am nächsten Tag mit dem Pick-up des Krankenhauses unseren mobilen OP ab, der vor Ort gelagert wird", verdeutlicht Horsch die Einsatzroutine. Sei Jirapa das Ziel, erreichten die Teams dies mit einem Inlandsflug. Am St. Joseph's Hospital sei der DÄfA-OP dauerhaft installiert.

Als ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) habe er gute Kontakte in die Medizintechnik- und Pharmabranche, so Horsch.

Das habe bei der Ausstattung der OP des Vereins mit modernen Medizintechniklösungen, die Basis einer guten Versorgung seien, geholfen, wie er betont.

Knackpunkt der medizinischen Versorgung in Ghana sei das Niveau außerhalb der Unikliniken der vier medizinischen Fakultäten im Lande, die für die Landesverhältnisse sehr teuer und für Patienten mit teils jahrelangen Wartezeiten verbunden seien.

Die universelle Krankenversicherung in Ghana kostet jeden Einwohner laut Horsch umgerechnet rund 14 Euro im Jahr – das Leistungsniveau sei dementsprechend gering, Zuzahlungen die Regel.

Visite in Gottesdiensten angekündigt

In der Klinikambulanz melden sich die Patienten für die DÄfA-Sprechstunde an.

In der Klinikambulanz melden sich die Patienten für die DÄfA-Sprechstunde an.

© Horsch / dpa

Für viele Ghanaer bedeute der Gang zum Arzt zudem ein teils mehrtägiges Unterfangen. Denn auf die Gesamtbevölkerung von 28 Millionen Einwohnern kämen nur rund 4000 Ärzte – 4000 Ärzte aus Ghana seien auch alleine im Großraum New York tätig, so Horsch.

Die Arztdichte entspricht in Ghana laut Statistischem Bundesamt weniger als eins zu 10.000 – in Deutschland liegt der Wert bei 41 zu 10.000. Urologen gebe es in Ghana landesweit gerade einmal 30 bis 40 – fast sämtlich an Kliniken angestellt, da eine Niederlassung als Einzelkämpfer mit zu hohen Investitionen verbunden sei, wie Horsch ergänzt.

Treffe das DÄfA-Team vor Ort in einem der sechs Kliniken ein, so stünden die ersten zwei oder drei Tage erst einmal Sprechstunden an – im Vorfeld werde der Besuch der Ärzte aus Deutschland in lokalen und regionalen Radiosendern, in Zeitungen, Aushängen an Polikliniken auf dem Lande, aber auch zum Beispiel in den Gottesdiensten angekündigt.

In den Sprechstunden werde auch das weitere Vorgehen abgesprochen und die individuellen Op-Termine vereinbart.

Mit Blick auf das Indikationsspektrum erläutert Horsch, dass rund 30 Prozent der von ihm und seinen Kollegen vorgenommenen Eingriffe bei einer benignen Prostatahyperplasie erfolgten.

Gonorrhö weit verbreitet

Die Harnröhrenstriktur hänge auch mit dem Sexualhabitus vor Ort zusammen. Fast jeder Ghanaer sei im Laufe seines Lebens mit Gonorrhö konfrontiert gewesen, so Horsch.

Bei den Frauen – besonders im Norden – dominiere hingegen die Indikation der Blasenscheidenfistel. "Aufgrund ihres steten Uringeruchs werden diese Frauen – auch junge – geradezu vom häuslichen und gesellschaftlichen Leben isoliert", verdeutlicht Horsch.

Bei mittelgroßen Operationen, wie sie manche onkologische Indikation erfordere, stießen die medizinischen Helfer dann aber definitiv an ihre Grenzen, so Horsch.

"Unsere Maxime lautet, dass wir keinem Patienten eine notwendige Op verweigern, wenn er das Geld für den Eingriff nicht aufbringen kann", erläutert er – in der Vergangenheit seien rund 20 Prozent der Patienten zum vereinbarten Op-Termin nicht erschienen.

Grund: Das Geld müsse Vorkasse entrichtet werden, was manchen Patienten finanziell überlastet hätte.

"Es ist auch schon passiert, dass ein Vertreter von der Krankenhausverwaltung einen Mann aufforderte, den Op-Tisch zu verlassen, da er noch nicht bezahlt habe", erzählt Horsch von seinen Erlebnissen. Der spendenfinanzierte Verein habe vor einiger Zeit dann einen eigenen Fonds für mittellose Patienten eingerichtet – rund jeder fünfte Patient müsse Mittel daraus in Anspruch nehmen.

Hintergrund sei, dass den Kliniken für die Eingriffe der DÄfA-Experten Materialkosten entstünden, die sich je nach Op auf umgerechnet rund 200 Euro belaufen könnten, so Horsch.

"Wichtig ist, die Patienten darüber aufzuklären, dass sie mit dem Geld nicht unsere Arbeit bezahlen" – alle Mitglieder arbeiteten ehrenamtlich.

Startschwierigkeiten mit Papieren

Klinikpersonal schaut bei einem Eingriff zu.

Klinikpersonal schaut bei einem Eingriff zu.

© Horsch / dpa

Über die Jahre hat sich der Verein vor Ort auch gut vernetzt. So habe sich zum Beispiel ein Operateur in Jirapa beim Eingriff bei einem HIV-positiven Mann gestochen.

Da nur in Accra entsprechende Medikamentenlösungen parat gestanden hätten, habe sich die von einem Österreicher gegründete Organisation West African Rescue Association bereit erklärt, für den Kollegen die Medikamente für die notwendige sechswöchige Prophylaxe zeitnah zu besorgen – der Fall sei zum Glück glimpflich ausgegangen.

Wie Horsch erläutert, mussten die Vereinsmitglieder auch erst einmal mit der Routine vertraut werden, den Einsatz vor Ort zu organisieren. "Anfangs verstanden wir nicht, wieso die erforderlichen vorübergehenden Arbeitsbewilligungen nicht bei uns eintrafen", resümiert er.

Da es sich bei DÄfA nicht um eine Nichtregierungsorganisation (NGO) handle, benötigten die Ärzte und Krankenschwestern aus Deutschland für die jeweils avisierten drei Wochen eben diese vorübergehenden Arbeitsbewilligungen. "Die Kliniken müssen diese vor Ort in Ghana beantragen und bezahlen", so Horsch.

Da eine Erstbewilligung 500 US-Dollar koste, seien die Krankenhäuser aber schlicht nicht bereit oder fähig gewesen, für die Summe aufzukommen.

Einsatzkosten zur Hälfte selbst übernommen

Seit die Vereinsmitglieder die Gebühren selbst trügen, funktioniere das Procedere reibungslos – eine Folgebewilligung koste nur noch rund 60 Dollar, womit die finanzielle Hürde für die freiwilligen Helfer im Wiederholungsfalle sinke. Generell bestritten die Ärzte und Krankenschwestern ihre Einsatzkosten zur Hälfte selbst.

Für die Zukunft der medizinischen Versorgung in Ghana sieht Horsch wenig Anzeichen für Hoffnung. Ein großes Problem für das ghanaische Gesundheitssystem stelle der Brain-Drain dar.

So verließen rund 30 Prozent der in Ghana ausgebildeten Ärzte und anderen Akademiker ihr Heimatland spätestens fünf Jahre nach Studienabschluss, um im Ausland ihr berufliches Glück zu suchen.

Die DÄfA versuchten nun, die urologische Versorgung vor Ort zu stärken – einen Kandidaten für die Weiterbildung zum Urologen gebe es bereits. "Bedingung ist aber, dass er dies mit unserer Unterstützung in seiner Heimat macht, um auch dort zu bleiben", verdeutlicht Horsch.

Angesichts der durchschnittlichen Gehälter ist dies aber mehr als fragwürdig. Denn ein angestellter Arzt verdiene in der Klinik meist umgerechnet zwischen 600 und 800 Euro, ein Chefarzt rund 1000 Euro.

So sei schon die Konkurrenz zwischen den Kliniken in Ghana groß. Da jährlich nur ein oder zwei Urologen – "eine teure Disziplin" – ausgebildet würden, sei kein Silberstreif am Horizont zu sehen.

Lohnende Herausforderung

Um Aufmerksamkeit in der Ärzteschaft für die Tätigkeit der DÄfA zu schaffen, nutzt der Verein das Angebot von Takeda, alljährlich bei drei Urologenkongressen auf dem Stand der deutschen Tochter des japanischen Pharmaunternehmens präsent zu sein – die Resonanz sei überwältigend, führten viele Gespräche zu Spenden oder auch Interesse an einer Mitgliedschaft und einem Einsatz vor Ort.

"Dass wir mit dem Verein ‚Die Ärzte für Afrika‘ unsere gesellschaftliche Verantwortung auf Entwicklungsländer ausweiten können, freut uns", verdeutlicht Jasmin Roth, Communications Manager bei Takeda, auf Nachfrage der "Ärzte Zeitung".

Die ehrenamtliche Arbeit sei durchaus eine persönliche Herausforderung, lohne sich aber, so Horsch. Ihn freut es, dass auch viele Mediziner bereits in der Facharztausbildung zum Verein stießen.

Wichtig sei auf jeden Fall die Offenheit für eine kulturelle Konfrontation, wie das eingangs erwähnte Beispiel zeige: Die weibliche Genitalverstümmelung sei zwar verboten, aber von den meisten Eltern gewünscht.

Die Mädchen fänden sonst im Heiratsalter keinen Kandidaten für den Ehemann, so die Befürchtung, die Horsch auch im konkreten Fall von der Mutter der Elfjährigen gehört hatte.

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