Abstimmung

So will die EU Plastikmüll bekämpfen

Die EU versinkt im Plastik: Zum einen vermüllt der Kunststoff die Umwelt, zum anderen steigt der Handlungsdruck durch eine neue Mikroplastik-Studie. Das EU-Parlament hat heute über Maßnahmen abgestimt – die Reaktionen darauf sind unterschiedlich.

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Plastik droht insbesondere die Meere zu verschlingen. Die EU will jetzt handeln.

Plastik droht insbesondere die Meere zu verschlingen. Die EU will jetzt handeln.

© Arpad Nagy-Bagoly / stock.adobe.com

STRAßBURG. Cocktails trinken mit Plastikstrohhalm? Picknicken mit Plastikbesteck? Das dürfte bald der Vergangenheit angehören – denn die EU will zum Schutz von Umwelt und Meerestieren bestimmte Kunststoffprodukte verbieten. Dazu legte die EU-Kommission im Mai einen Vorschlag vor. Darin enthalten sind auch noch zahlreiche andere Ideen, mit denen die Plastikflut eingedämmt werden soll.

Das EU-Parlament verschärfte diese Ideen in einer Abstimmung am Mittwoch nun zum Teil – etwa mit einer längeren Verbotsliste.

Nun muss ein Kompromiss mit den Mitgliedstaaten gefunden werden. Klappt das, wie geplant, im kommenden Jahr, träten die neuen Regeln spätestens 2021 in Kraft. Aus den Reihen der Mitgliedstaaten gibt es bislang keinen grundsätzlichen Widerstand. Das Parlament und die EU-Kommission schlagen neben Verboten noch eine ganze Palette an anderen Ideen vor, mit denen die Plastikflut eingedämmt werden soll.

Nur knapp ein Drittel des Plastikmülls wird nach Angaben der EU-Kommission eingesammelt und wiederverwertet. Ein Großteil des Rests landet auf Müllkippen oder in der Umwelt. Plastik zerfällt aber sehr langsam und häuft sich besonders im Meer und an Stränden.

Die vorgeschlagenen Maßnahmenn

Für Vögel, Fische und andere Meerestiere ist Plastik eine große Gefahr. Sie fressen es oder verheddern sich darin. Plastikspuren in Fischen gelangen auch auf Teller von Menschen. Die EU-Kommission und der Umweltausschuss im Parlament haben nun eine Reihe an Maßnahmen ins Rennen gebracht, um Plastikmüll einzudämmen.

  • Am deutlichsten spürbar für Verbraucher wären wohl geplante VERBOTE VON WEGWERF-PLASTIKPRODUKTEN, die nur einmal benutzt werden. Darunter fallen Strohhalme, Plastikgeschirr und -besteck, Wattestäbchen und Ballonhalter. Verbannt werden sollen dabei nur Gegenstände, für die es aus Sicht der EU-Kommission bereits Alternativen gibt. Als Ersatz für Plastik-Trinkhalme kommen zum Beispiel solche aus Papier oder wiederverwendbare aus härterem Kunststoff in Frage. Das EU-Parlament fügte dieser Liste noch weitere Produkte hinzu: Fastfood-Boxen aus aufgeschäumtem Kunststoff und das sogenannte Oxoplastik, das als biologisch abbaubar vermarktet wird, aber Kritikern zufolge in Mikroplastik zerfällt. Verbannt werden sollen dabei nur Gegenstände, für die es aus Sicht der EU-Kommission bereits Alternativen gibt. Als Ersatz für Plastik-Trinkhalme kommen zum Beispiel solche aus Papier oder wiederverwendbare aus härterem Kunststoff in Frage. Wattestäbchen gibt es auch mit Holz oder Pappe, Ballonhalter aus Metall, Einmal-Besteck aus Holz.
  • Die EU-Staaten sollen MINDERUNGSZIELE für Plastikprodukte einführen, die bislang nicht ohne Weiteres durch andere Materialien ersetzbar sind. Das betrifft vor allem Behälter für Lebensmittel: zum Beispiel Boxen für Sandwiches sowie Verpackungen für Früchte, Gemüse, Desserts oder Eis. Alle Mitgliedstaaten sollen zudem bis 2025 mindestens 90 Prozent der Plastikgetränkeflaschen zur Wiederverwertung sammeln, etwa mit Hilfe eines Einwegpfands wie in Deutschland. Das Parlament fordert, dass der Verbrauch solcher Verpackungen bis 2025 um ein Viertel sinkt. Wie das geschafft wird, bleibt den Mitgliedstaaten überlassen. Ein Ansatz wäre, dass Einweg-Plastikverpackungen künftig nur noch gegen Geld abgegeben werden. Die Mitgliedstaaten könnten auch für Alternativen werben.
  • Ein weiterr Ansatz ist die AUFKLÄRUNG DER VERBRAUCHER. Dazu sollen künftig auf vielen Verpackungen Hinweise stehen: zur richtigen Entsorgung und zu den potenziellen Schäden, die das Produkt anrichten könnte, wenn es in der Umwelt landet. Zum Beispiel könnten Verbraucher künftig per Schild darum gebeten werden, keine Luftballons mehr aufsteigen zu lassen. Das aber lehnt der CDU-Abgeordnete Peter Liese ab. Luftballons machten einen statistisch nicht messbaren Anteil an der Verschmutzung der Weltmeere aus, sagt er. "Ich finde es deshalb unverhältnismäßig, wenn wir den Menschen, insbesondere den Kindern, den Spaß verderben". Auch für Tampons könnte ein Umwelthinweis gelten.
  • Der Umweltausschuss will zudem ZIGARETTENABFALL REDUZIEREN. In den Filtern ist oft Kunststoff enthalten, ein einziger Stummel kann bis zu 1000 Liter Wasser verschmutzen. Die Abgeordneten wollen, dass die Müllmenge aus plastikhaltigen Zigarettenfiltern bis 2030 um 80 Prozent sinkt. Es gibt auch Filter ohne Plastik.
  • Zudem ist eine KOSTENBETEILIGUNG DER HERSTELLER für das Säubern der Umwelt vorgesehen. Bisher zahlen dafür vor allem der Steuerzahler oder die Tourismusbranche.

Unterschiedliche Reaktionen

Über Fraktionsgrenzen hinaus bekamen die Abstimmungsergebnisse viel Applaus. „Diese EU-Gesetzgebung wird sichtbare Verbesserungen bringen und dabei helfen, dass weniger Wegwerfplastik in den Weltmeeren landet“, sagte der SPD-Abgeordnete Jo Leinen. Der CDU-Parlamentarier Karl-Heinz Florenz sagte, nun werde die Industrie zu Innovationen gedrängt, damit alternative Materialien auf den Markt kämen.

Auch der Kommunalverband VKU zeigte sich zufrieden - unter anderem damit, dass auch Plastikhersteller an den Entsorgungskosten beteiligt werden sollen. Bislang zahlen dafür laut Verband die Bürger - über Straßenreinigungsgebühren.

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Judith Skudelny sprach von Symbolpolitik. „Mit Makkaroni statt Plastik-Strohalmen trinkende EU-Bürger machen das Meer nicht sauberer“, erklärte sie. Sinnvoller wäre es beispielweise, Mülldeponien für Plastik in der EU zu verbieten.

Greenpeace für breitere Definition

Greenpeace sieht vor allem einen gravierenden Mangel in den Vorschlägen. Die Definition von Einwegplastik sei viel zu eng, kritisiert Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack. Damit öffne sich ein Schlupfloch für die Plastikindustrie: "Die Konzerne könnten nach aktuellem Vorschlag die Reduktionsziele schlicht ignorieren, wenn sie ihre Produkte, sei es ein Wegwerf-Plastikbecher oder ein Strohhalm, als wiederverwendbar kennzeichnen."

Die Plastikindustrie hingegen warnt vor Schnellschüssen. Hier würden wichtige Gesetze durchgepeitscht, ohne die Folgen abzuschätzen, erklärte der europäische Verpackungsverband pack2go. Es drohten Einbußen im Lebensmittel-Sektor oder Probleme bei der Lebensmittelhygiene, wenn der Plastikverbrauch drastisch gesenkt werde. Bislang nutzten Millionen von Europäern täglich Verpackungen für Essen oder Getränke zum Mitnehmen, betonte der Verband.

Die Diskussion könnte durch eine gestern veröffentlichte Studie angefacht werden, die Mikroplastikspuren in menschlichen Stuhlproblemen gefunden hat. Grünen-Vorsitzender Robert Habeck forderte die EU inzwischen dazu auf, Mikroplastiken in Kosmetika oder Pflegeprodukten zu verbieten. "Keiner braucht Mikroplastik in der Zahnpasta", so Habeck gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auf Wegwerfprodukte aus Plastik solle es eine spezielle Steuer geben – und ab 2030 sollten alle Kunststoffprodukte in der EU entweder komplett abbaubar, wiederverwendendbar oder zumindest günstig recyclebar sein. (ajo zum Teil mit dpa-Material)

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