Technik

Mumien in neuem Licht

Ein Team aus Medizinern, Altertumsforschern und IT-Spezialisten hat das weltweit erste frei im Raum schwebende, dreidimensionale Hologramm einer Mumie entwickelt. Doch das soll erst der Anfang sein.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Dr. Roman Sokiranski mit Mumie am Computertomographen.

Dr. Roman Sokiranski mit Mumie am Computertomographen.

© Sokrinaski

Die Mumie von Ta-cheru, "die Syrerin", in Binden gehüllt und in ihren Sarkophag gebettet.

Die Mumie von Ta-cheru, "die Syrerin", in Binden gehüllt und in ihren Sarkophag gebettet.

© Sokiranski

Als Radiologen 1968 erstmals die sterblichen Überreste des berühmten Tutanchamun durchleuchteten, machten sie eine sensationelle Entdeckung: Zwei Knochenfragmente im Schädel des Pharaos wiesen eindeutig darauf hin, dass der ägyptische Regent einem Mord zum Opfer gefallen war!

Knapp 30 Jahre später revidierte der Kairoer Radiologe Ashraf Selim den auf einer Röntgenaufnahme basierenden Befund mittels einer am 6. Januar 2005 angefertigten Computertomografie.

Damit konnte Selim belegen, dass die Knochensplitter weder von Balsamierungsflüssigkeit umgeben waren, noch von der Schädelkalotte stammten, sondern von einem Defekt am ersten Halswirbel, die Verletzung mithin erst während der Einbalsamierung des jungen Pharaos oder bei der Entfernung seiner goldenen Totenmaske durch die Entdecker um Howard Carter 1922 verursacht worden sein musste.

Tatsächlich sei der Pharao, der sein Reich zwischen 1332 und 1323 vor Christus regierte, an den Folgen einer offenen Femurfraktur im Bereich der Epiphysenfuge oberhalb des Knies gestorben, so Selim.

Eine weitere, 2013 vorgenommene CT-Untersuchung stützte Selims Conclusio eines Unfalltods, präzisierte jene sogar dahingehend, dass der gottgleiche Tutanchamun wahrscheinlich bei einem Wagenrennen verunglückt sei.

Seit Entdeckung der Röntgenstrahlen Ende des 19. Jahrhunderts unterstützen bildgebende Verfahren Mediziner bei ihrer Diagnose von Krankheiten und Verletzungen.

Nahezu ebenso lang machen sich Biologen, Geologen, Mineralogen und Archäologen Verfahren zur Sichtbarmachung verborgener Strukturen zunutze, und in neuerer Zeit kommen sie zunehmend auch in der Materialprüfung und Sicherheitstechnik zum Einsatz.

Die eigentliche Revolution steht uns jedoch noch bevor, glaubt man Experten wie dem Heidelberger Radiologen Dr. Roman Sokiranski. Danach wird man altertümliche Exponate künftig durch CT-basierte Holografien ersetzen – zumindest, wenn es um Mumien oder ähnlich fragile Artefakte geht.

4000 Bilder pro Scan

Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team aus Medizinern, Altertumsforschern und IT-Spezialisten hat Sokiranski für das Roemer-Pelizaeus-Museum in Hildesheim das weltweit erste frei im Raum schwebende, dreidimensionale Hologramm einer Mumie entwickelt: Ta-cheru („die Syrerin“), eine im siebten Jahrhundert vor Christus in Theben gestorbene Ägypterin, deren Leichnam mit großem Aufwand einbalsamiert wurde und auf diese Weise mumifizierte.

Unter Sokiranskis Leitung wurde die Mumie im Radiologischen Zentrum am Agaplesion Bethanien Krankenhaus in Heidelberg untersucht, wobei man Ta-cheru samt Sarkophag in einen Dual-Source-CT-Scanner schob, der pro Scan 4000 Bilder anfertigte.

Aus insgesamt 60.000 Aufnahmen entstand schließlich das revolutionäre Mumienhologramm, das nun in jedem Museum der Welt präsentiert werden kann (siehe Interview nächste Seite).

In der Ausstellung „Mumien – Geheimnisse des Lebens“, die bis zum 31. März 2019 im Museum Zeughaus in Mannheim läuft, ist eine 500 Jahre alte Mumie aus Peru zu sehen, die zwei Milchzähne in ihrer Faust hält – ein Geheimnis, das ebenfalls erst durch eine Computertomografie ans Licht kam.

Eine in eine Kriegertunika der Inka gehüllte Mumie deutete solange auf einen Kämpfer hin, bis man durch bildgebende Verfahren entdeckte, dass sich unter der Kutte ein mit angezogenen Beinen mumifizierter Junge verbarg.

Fälschungen entlarvt

Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg nutzt bereits seit 1971 ein hauseigenes Röntgengerät zur Untersuchung historischer Exponate. Seit einigen Jahren arbeitet man zudem mit dem Fraunhofer Institut in Fürth zusammen, wo man beispielsweise die Materialbeschaffenheit kostbarer Instrumente bestimmt.

Tatsächlich entscheiden solche Untersuchungen darüber, ob ein Cembalo oder eine Violine überhaupt noch gespielt werden dürfen, da manchmal feinste Risse entdeckt werden, die man von außen nie hätte wahrnehmen können.

Röntgenbilder und CT-Scans spüren nicht nur Materialfehler an Exponaten auf, sondern entlarven auch deren mögliche Fälschung.

So konnte in der Krone einer hölzernen Madonna aus dem Bodenseeraum, angeblich das Werk eines mittelalterlichen Meisters, mithilfe einer Computertomografie ein maschinengefertigter Nagel sichtbar gemacht werden, der sich klar von den üblichen, bis ins 19. Jahrhundert verwendeten handgeschmiedeten Nägeln unterschied.

Eine digitale Radioskopie enttarnte den Mantel einer Madonna aus Peru, der nicht aus demselben Holz geschnitzt war wie ihr Leib, sondern aus Leinen bestand, das mit feinen Nägeln sowie einer Harzlösung fixiert und dann bemalt wurde. Auf diese Weise konnte der Fälscher die aufwendige Faltenstruktur des Mantels wenig meisterlich nachbilden.

Holografische Ausstellungen

Am häufigsten werden Gemälde durchleuchtet, um Originale zu bestätigen oder Fälschungen zu entlarven. Die entscheidenden Hinweise geben etwa blei- oder zinkhaltige Farben, Bildschichten, Bindemittel, Leinwandfasern, Holzmaserungen, Befestigungen und nicht zuletzt die Signatur.

Auch historische Münzen werden geröntgt, um sie auf ihre Echtheit zu prüfen. Schon im 6. Jahrhundert vor Christus ließ Polykrates, Tyrann von Samos, Münzen aus Blei gießen, die, mit einer hauchdünnen Goldschicht überzogen, beträchtlichen Profit versprachen.

Röntgenanalytik, Computertomografie, Oberflächenscans und 3D-Rekonstruktionen – nach Ansicht des Radiologen Sokiranski sind die Verwendungsmöglichkeiten bildgebender Verfahren im Kontext kultureller Rezeption noch lange nicht ausgeschöpft.

Bei dem von ihm und seinem Team entwickelten, frei schwebenden Hologramm der 2700 Jahre alten Mumie Ta-cheru sieht der Besucher staunend dabei zu, wie sie sich Schicht für Schicht entblößt und unter dem doppelten Sarkophag und den zur Balsamierung genutzten Binden zunächst die Haut und die Muskeln und am Ende das Skelett zum Vorschein kommt.

Künftig könnte es holografische Ausstellungen ganzer Mumien-Sammlungen geben, ist Sokiranski überzeugt. Gemeinsam mit dem Roemer-Pelizaeus-Museum in Hildesheim plant der Radiologe derzeit eine animierte Darstellung historischer Seuchen von der Pest über die Pocken bis hin zu Fleckfieber, Typhus und Cholera.

Neue Ära musealer Präsentation

Der Heidelberger Radiologe Dr. Roman Sokiranski im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“ über die Möglichkeiten der Radiologie bei der Mumienforschung.

Ärzte Zeitung: Als Radiologe beschäftigen Sie sich seit mehr als zwanzig Jahren mit der Erforschung von Mumien. Eine ungewöhnliche Leidenschaft …

Dr. Roman Sokiranski: Die Faszination liegt darin, sehr alte Mumien mit hochmodernen Methoden zu erforschen und dadurch neue Erkenntnisse zu gewinnen – und das, ohne die Mumien zu berühren.

Für das Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim haben Sie kürzlich eine 2700 Jahre alte Mumie untersucht, die bereits seit 1821 im Besitz der Universität Aberdeen ist. Welche neuen Erkenntnisse haben Sie über sie gewonnen?

Sokiranski: Ta-cheru, eine aus Syrien stammende Ägypterin aus dem siebten vorchristlichen Jahrhundert, hatte Osteoporose, eine extreme Atrophie der Kiefergelenke und wahrscheinlich eine Tuberkulose. Wir vermuten, dass sie mindestens ein Kind bekommen hat. Auffallend waren überdies ihre völlig intakten Gelenke, was darauf hindeutet, dass sie sich in ihrem Leben körperlich nicht besonders anstrengen musste.

Und das alles lesen Sie aus den Bildern einer Computertomografie heraus?

Sokiranski: Tatsächlich haben wir mit dem Scan von Ta-cheru die beste Rekonstruktion einer Mumie bekommen, die es je gab. Und das in nur 17 Sekunden Strahlenexposition.

Das müssen Sie mir erläutern.

Sokiranski: Mit dem Dual-Source-CT-Scanner haben wir einen Computertomografen der neuesten Generation eingesetzt. Dank 4D-Bildgebung und Dual-Energy-CT erhalten Sie bei niedriger Strahlendosis und hoher Geschwindigkeit qualitativ hochwertige Bilder mit extrem hoher Detailgenauigkeit. Die Schichtdicke beträgt 0,4 Millimeter, und die Technik ist so weit vorangeschritten, dass sich die verschiedenen Stoffe wie die Knochen, die Haut und die Tücher sehr scharf voneinander trennen lassen.

Wie viele Bilder erhalten Sie pro Scan?

Sokiranski: Von dieser Mumie haben wir je Scan 4000 Bilder angefertigt. Mit Dual-Energie-Technik kamen wir auf insgesamt 60.000 Bilder. Um diese Datenmenge zu verarbeiten, brauchten wir eine spezielle Software. Daher haben wir mit der Heidelberger Firma Volume Graphics kooperiert, die normalerweise für Unternehmen der Automobil- und Elektroindustrie Software zur Analyse und Visualisierung großer Datenmengen entwickelt.

Priv.-Doz. Dr. Roman Sokiranski

Facharzt für Radiologie

Studium der Medizin in Berlin

Facharztausbildung in Berlin und Tübingen

Wissenschaftlicher Leiter und Gesellschafter des Radiologischen Zentrums im Agaplesion Bethanien Krankenhaus Heidelberg

Für die Ausstellung in Hildesheim haben Sie gemeinsam die weltweit erste Holographie einer Mumie entwickelt – was war dabei die größte Herausforderung?

Sokiranski: Das Problem ist, dass ein CT nur Grauwerte produziert. Wenn man diesen Grauwerten, die ja unterschiedliche Gewebe-Dichten abbilden, Farben zuordnet, wirken 3D-Rekonstruktionen oft unrealistisch, weil man die eigentlichen Farben gar nicht erfasst. Wir haben jedoch Oberflächenscans benutzt und diese den CT-Rekonstruktionen überlagert.

Dadurch ist es uns gelungen, die realistische Form des Objektes darzustellen, dreidimensional zu erfassen und holografisch zu präsentieren. Unsere Mumie schwebt im Raum und hat dadurch für den Betrachter eine völlig andere emotionale Wirkung als das reale Objekt. Sie wirkt extrem echt.

Der Beginn einer neuen Ära musealer Präsentation?

Sokiranski: Davon bin ich hundertprozentig überzeugt. Da sind zum einen die Kosten. Allein der Transport unserer Mumie von Innsbruck nach Heidelberg hat 5000 Euro gekostet. Diese Mumien, das sollte man nicht vergessen, sind Menschen, weshalb es bei Ausstellungen auch immer um Fragen der Totenruhe geht. Zudem werden viele Mumien nicht verliehen, weil die Besitzer Angst haben, sie könnten beschädigt werden. Dabei bleiben der Wissenschaft oft wichtige Erkenntnis versagt.

Wie bei der Erforschung der Gletschermumie Ötzi.

Sokiranski: Gutes Beispiel. Der Ötzi wurde nie ausgeliehen, und die Leute, die ihn untersuchten, stammten aus verschiedenen medizinischen und technischen Disziplinen und mussten die geeigneten Methoden wie zum Beispiel die angemessene Kühlung bei diesem Unikat zum Teil neu erfinden. So hat es zehn Jahre gebraucht, um die todbringende Pfeilspitze zu entdecken! Eine einfache Diagnose, für die wir nur wenige Sekunden gebraucht hätten und das, ohne die Mumie jemals berühren zu müssen.

Ihre Vision ist es, möglichst viele Mumien zu scannen, um sie für die Wissenschaft zu erhalten.

Sokiranski: Und um sie den interessierten Besuchern zu zeigen. Stellen Sie sich vor, Sie entwickeln kompakte Datensätze, die Sie als Holografien in jedem Museum der Welt präsentieren können. Und die Informationen, die der Betrachter dabei mitnimmt, sind ungleich vielfältiger, als wenn er vor dem Sarkophag steht und sich die echte Mumie ansieht, in die er ja nicht hineinsehen kann.

Als Radiologe diagnostizieren Sie in erster Linie Krankheiten lebender Menschen – kommt Ihre museale Arbeit auch Ihrer ärztlichen Tätigkeit zugute?

Sokiranski: Tatsächlich entwickeln wir zurzeit die Visualisierungs-Techniken der Zukunft. Beim Röntgen hatten Sie eine einzige Aufnahme, die Sie gegen das Licht gehalten und betrachtet haben. Wenn Sie vor 20 Jahren ein CT gemacht haben, hatten Sie vielleicht maximal 60 Bilder. Heute sind es 3000 bis 4000! Wie schaffen wir es, diese Unmengen von Daten möglichst rationell und effektiv an den Chirurgen weiterzugeben?

Allein die ungeheuren Datenmengen zu komprimieren und weiterzuleiten, ist schon eine Herausforderung. Aber auch diese Daten zu visualisieren, ist sehr anspruchsvoll, damit der Chirurg sie als 3D-Rekonstruktion zum Beispiel für eine navigierte Operation verwenden kann. In dieser Dynamik stecken wir noch mittendrin.

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