UND SO SEH' ICH ES

Soll man über den ganzen Marathonlauf eher lachen oder weinen?

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Wir sind kurz vorm Endspurt - vorm Endspurt des Wahlmarathons. Und wir sind Zeugen, wie die im schwarzen Trikot startende fast hundertprozentige Favoritin, die bis zur Hälfte der Strecke mit Riesenabstand geführt hatte, jetzt plötzlich an Atemschwäche leidet und sich mit letzten Kräften ins Ziel schleppt.

Dabei schien sie so gut trainiert und so gut vorbereitet! Sie hatte frische, noch unverbrauchte Kräfte herangeholt, doch statt darauf zu achten, daß diese peu à peu herangeführt und nicht überfordert würden, ließ man den besten Läufer einfach so drauf los sprinten und wunderte sich dann, daß er trotz des guten Rufs, der ihm vorauseilte, und trotz aller schon geernteten Lorbeeren beim Publikum nicht ankam.

Aber anstatt laut und deutlich zu sagen, daß man jetzt neue Ideen braucht, um sich und alle anderen vorwärts zu bringen, nachdem alles, was man vorher versucht hatte, vergebens war, und nachdem alle alten Methoden versagt hätten, lamentierte die Favoritin ein übers andere Mal über den Konkurrenten, er habe "versprochen und gebrochen".

Und zu allem Überfluß schaute sie kurz vor den letzten Kilometern viel zu oft immer wieder nur nach hinten, schaute auf ihren Konkurrenten wie ein hypnotisiertes Kaninchen auf die Schlange, um zu sehen, ob er schon so nah wäre, daß sie seinen Atem im Nacken spüren könnte.

Die Konkurrenz in den roten Trikots freute das, war es doch ihrem Leader gelungen, sich allen Voraussagen zum Trotz mit seiner verbrauchten Mannschaft gut zu halten. Die Mannschaft war wirklich schlecht, hatte nicht auf ihren Chef gehört, ihre Trainingsmethoden waren falsch. Aber weil ihr die Mannschaft der Favoritin während des gesamten Laufs überhaupt keine ernsthaften Hürden in den Weg legte, hatte sie schon fast freie Bahn.

Die, die auch noch an den Start gegangen waren, sind eigentlich nur Mitläufer. Und selbst beim grünen Marathonspezialisten, der vor lauter Anfeuerungsrufen schon ganz heiser ist, läuft es diesmal nicht so wie noch vor drei Jahren.

Die Athleten, die sich in ihrem gelben Trikot immer so stolz präsentierten, scheinen jetzt völlig verunsichert, hatten sie doch zusammen mit der favorisierten Mannschaft an der Spitze mitlaufen wollen und müssen jetzt befürchten, daß es vielleicht doch nicht ganz klappen wird - trotz Mobilisierung ihrer letzten Kräfte.

Völliger Outsider ist die Mannschaft, zu der sich die beiden Versager zusammengetan haben. Sie wird zwar ganz gewiß nicht am Ziel ankommen, dafür aber wird sie üppige Startgelder einstreichen und bei allen Wettbewerben in den nächsten vier Jahren, gleich, wer gewinnen wird, stets der Spaßverderber sein.

Das Paradoxe an diesem ganzen Marathon ist: Auch wenn er am Sonntagabend zu Ende ist, könnte es unter Umständen sein, daß das Zielfoto vorerst noch unter Verschluß gehalten und erst in zwei bis drei Wochen entwickelt wird. Erst dann werden alle wirklich wissen, wer gewonnen hat.

Spannend ist das alles schon. Doch zugleich weiß man nicht, ob man über diesen ganzen Lauf eher lachen oder weinen sollte - meint

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