Studie veröffentlicht

"Wie ernsthaft wurde der Kampf gegen Doping betrieben?"

Die Geheimniskrämerei um die lange unter Verschluss gehaltene Studie zum Doping in der Bundesrepublik Deutschland hat ein Ende. Auf Druck der Öffentlichkeit ist am Montagnachmittag der brisante Abschlussbericht auf der Homepage des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) publiziert worden.

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EPO, Anabolika oder Testosteron: Nicht nur in der DDR, sondern auch in der BRD sollen Sportler laut einer Studie systematisch gedopt haben.

EPO, Anabolika oder Testosteron: Nicht nur in der DDR, sondern auch in der BRD sollen Sportler laut einer Studie systematisch gedopt haben.

© Hans Wiedl / dpa

Von Andreas Schirmer, Matthias Bosaller und Christoph Fuhr

BERLIN. Die Geschichte des Dopings in der Bundesrepublik begann nicht erst 1970, sondern bereits 1949 - das ist eine der Kernthesen des Berichts der Berliner Humboldt-Universität über Doping in Westdeutschland, der am Montag veröffentlicht wurde.

"Die vielfach formulierte These, das Dopingproblem in der Bundesrepublik sei erst mit dem Konsum von Anabolika in den 1960er Jahre offen zutage getreten, lässt sich eindrucksvoll widerlegen", heißt es in dem 117-seitigen inhaltlichen Abschlussbericht der Berliner Humboldt-Universität.

Bis 1960 seien im deutschen Sport Amphetamine "systematisch zum Einsatz gekommen". Auch die Elite des deutschen Fußballs hätte die aufputschenden Amphetamine genommen. Meistens ohne klare Namensnennung wird auch die Mitwisserschaft von damaligen Verantwortlichen im Sport angeprangert.

"Es stellt sich mithin die Frage, wie ernsthaft Verantwortliche in der deutschen Sportlandschaft den Kampf gegen das Doping tatsächlich betrieben haben und mit welcher Ausdauer sie die (zum Teil sich selbst gesetzten) Grundsätze und Ziele in dieser Hinsicht verfolgt haben", hieß es. "Nach den Projektergebnissen zu urteilen, erscheint dies zweifelhaft."

Zwei Lager im Deutschen Leichtathletik-Verband

So sei zum Beispiel der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) in der Anabolika-Frage in mindestens zwei Lager zerfallen.

"Während die damals beteiligten Sportmediziner (Manfred Steinbach, Harald Mellerowicz) sich gegen den Anabolika-Einsatz aussprachen, hatte DLV-Präsident Max Danz, ebenfalls ein Mediziner, gegen die Anwendung nichts einzuwenden.

Die Studie sorgte schon vor ihrer Veröffentlichung am Montag für heftige Diskussionen: Der Sportausschuss des Deutschen Bundestages will den Bericht bei einer möglichen Sondersitzung Anfang September beraten.

Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) Thomas Bach wies darauf hin, dass er die Studie 2008 initiiert habe, "damit die Doping-Vergangenheit auch im westdeutschen Sport aufgearbeitet wird." Die Studie werde intensiv analysiert und "gegebenenfalls Konsequenzen" gezogen."

Frühere DDR-Doping-Opfer haben sich unterdessen für die Gründung eines Fonds für geschädigte Athleten aus dem Westen ausgesprochen.

"Einen solchen Fonds für den Westen könnte ich mir gut vorstellen. Allerdings müssten wir erst einmal wissen, wie groß der Handlungsbedarf ist", sagte Uwe Trömer, Vorstandsmitglied im Dopingopfer Hilfeverein DOH, am Montag.

"Einheit gab es schon in den 70er Jahren"

Auch für die frühere DDR-Sprinterin und Anti-Doping-Aktivistin Ines Geipel würde ein Hilfsfonds West Sinn machen. "Wenn es Geschädigte im Westen gibt, muss man Ost und West zusammen denken", sagte die 53-Jährige, die mit zur Einrichtung eines Fonds für DDR-Dopinggeschädigte beitrug.

Geipel ist "heilfroh", dass die Dopingstudie vorliegt. "Endlich werden die Fragen an den Sport erneuert", meinte sie und fügte mit Blick auf die Doping-Praktiken in Ost und West hinzu: "Die Einheit hat es bereits Anfang der 70er Jahre gegeben." Dass es nach der Wende keinen Bruch gegeben habe, sei sehr traurig.

Trömer, der selbst ein anerkanntes DDR-Doping-Opfer ist, appellierte an die Sportler, deren Gesundheit wegen Dopingmissbrauchs Schaden genommen hat: "Meldet euch bei uns! Geht an die Öffentlichkeit! Es geht auch darum, künftig den Nachwuchs zu schützen."

Trömer forderte zudem ehemalige Westsportler auf, "reinen Tisch zu machen. Ich würde es begrüßen, wenn die westlichen Sportler zugeben würden: Okay, wir haben dieses und jenes Mittel genommen."

Nach der jüngsten Veröffentlichung über die Doping-Praktiken in der Bundesrepublik "muss die Sportgeschichte Ost und West neu geschrieben werden", meinte Trömer.

Dazu müsste laut Geipel die Vergangenheit lückenlos aufgearbeitet werden. "Wenn so viele Leute involviert waren, stellt sich die Frage: Um welche Sportler und Funktionäre handelt es sich", gab die Buchautorin zu bedenken und hinterfragte auch die Rolle des IOC-Präsidentschaftskandidaten Thomas Bach: "Inwieweit ist zum Beispiel auch Thomas Bach involviert? Wenn keine Namen genannt werden, bleibt alles anonym."

"Es gab damals kaum Unrechtsbewusstsein"

Auch der ehemalige DDR-Weltklassehochspringer Rolf Beilschmidt forderte mehr Transparenz in der Doping-Aufarbeitung. "Mich überrascht das nicht. Unter uns DDR-Athleten war bekannt, dass auch im Westen gedopt wurde", bemerkte der heutige Hauptgeschäftsführer des Landessportbundes Thüringen (LSB).

"Es gab damals kaum Unrechtsbewusstsein, was Doping angeht. In der Aufarbeitung wurde nach der Wende lange mit zweierlei Maß gemessen."

Die frühere Eisschnellläuferin und Olympiasiegerin Daniela Anschütz-Thoms empfand die Unterscheidung zwischen Ost und West ebenfalls als unfair. Man müsse schon sehr naiv sein, um überrascht zu reagieren: "Was, im Westen wurde ähnlich verfahren wie im Osten?"

Der ehemalige DOSB-Leistungssportdirektor Ulf Tippelt betonte, dass das Staatsdoping in der ehemaligen DDR "im Wesentlichen aus den Stasiunterlagen ermittelt" wurde. Nun gäbe es einen wissenschaftlichen Beleg, dass in der alten BRD "auch staatlich geförderte Dopingforschung betrieben wurde".

Der Generalsekretär des Landessportbundes Sachsen (LSB) machte sich in einem Interview der "Leipziger Volkszeitung" (Montag) daher für eine Aufklärung mit allen Konsequenzen stark.

Ecker-Rosendahl zeigt sich überrascht

"Das wird vermutlich dem einen oder anderen nicht gefallen. Verwerflich wäre es, wenn es Leute wären, die nach der deutschen Wiedervereinigung sehr schnell auf das selbstverständlich zu verurteilende Dopingsystem der DDR gezeigt haben", erklärte Tippelt.

Gerade bei geschädigten Personen müsse klar sein, wer "aus medizinisch-ethischer Sicht dafür Verantwortung trägt".

Heide Ecker-Rosendahl, Doppel-Olympiasiegerin von 1972, hat sich von den Enthüllungen über systematisches Doping in der Bundesrepublik überrascht gezeigt. "Ich habe nie von systematischem Doping in meiner Zeit gehört", sagte sie am Montag in einem Interview mit WDR 2.

Man hat munkeln gehört, dass es irgendetwas gibt - da gab es die Skandale schon damals um die Radfahrer - aber wenn man etwas nicht weiß, heißt es ja nicht, dass es das nicht gegeben hat."

Die heute 66-jährige Leverkusenerin hatte nach ihrem Doppelerfolg von München im Weitsprung und Fünfkampf ihre Laufbahn beendet. Ich habe 1972 aufgehört, und danach hat man sich häufiger gefragt, ob die irgendetwas mit Mitteln machen, die nicht erlaubt sind", sagte Ecker-Rosendahl.

"Aber ich kann nicht sagen, dass da systematisch ausprobiert wurde, um vielleicht Aufbaumittel wie Steroide einzusetzen. Das habe ich aus späteren Zeiten gehört, aber nie zu dieser Zeit." (mit Material von dpa)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Kommentar: Licht im Doping-Dickicht

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