Beleidigtes IOC?

Die Spielverderberin Julia Stepanowa darf nicht zu Olympia

Kein generelles Startverbot für russische Athleten bei Olympia: Doch ausgerechnet Leichtathletin Julia Stepanowa, die den Dopingskandal ans Licht, brachte, darf nicht starten. Ein Skandal.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Im Fokus: Julia Stepanowa ist Kronzeugin im russischen Staats-Dopingskandal. Doch das IOC hat ihr die Teilnahme in Río verboten.

Im Fokus: Julia Stepanowa ist Kronzeugin im russischen Staats-Dopingskandal. Doch das IOC hat ihr die Teilnahme in Río verboten.

© dpa

NEU-ISENBURG. Nicht die Verursacher, sondern die Überbringer schlechter Nachrichten werden bestraft. An diese mittelalterliche Praxis halten sich die Mächtigen dieser Welt auch in unseren vermeintlich aufgeklärten Zeiten. Jüngster Beleg dafür sind die IOC-Entscheidungen zum Staatsdoping in Russland.

Während das Internationale Olympische Komitee trotz nachgewiesenen Staatsdopings keine generelle Olympia-Sperre für russische Athleten aussprach, verweigerte es ausgerechnet der Whistleblowerin Julia Stepanowa, die den Dopingskandal an Licht brachte, die Starterlaubnis für Rio. Ein fatales Signal.

Vor einer Woche hatte der kanadische Jurist Richard McLaren im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) einen Bericht vorgelegt, der das systematische, vom Staat gelenkte und vom Geheimdienst gedeckte Dopingsystem im russischen Sport belegt (wir berichteten).

Nur ein absurdes Feigenblatt

IOC-Präsident Thomas Bach kündigte daraufhin "härtest mögliche Sanktionen" gegen Russland an. Die sehen jetzt so aus: Das Russische Olympische Komitee darf an den Olympischen Spielen teilnehmen und auch jene seiner Athleten, die von den 28 olympischen Weltverbänden (und anschließend vom IOC) als sauber erachtet werden.

Für die Überprüfung russischer Sportler haben die Verbände von heute an gerechnet noch zehn Tage Zeit. Allein hierin zeigt sich die Absurdität der Entscheidung. Auch dass die russischen Athleten in Rio verstärkt kontrolliert werden sollen, ist ein Feigenblatt.

Wer es geschickt anstellt, kann sich mit Hilfe verbotener Substanzen optimal auf Olympia vorbereiten, ohne im Wettkampf eine positive Probe zu riskieren.

Einige internationale Verbände haben bereits angekündigt, dass sie die Teilnahme russischer Sportler begrüßen, unter anderen der Tennis-, Ringer- und Judoka-Verband.

In vielen Verbänden haben Sportfunktionäre das Sagen, denen enge Verflechtungen mit dem russischen Sport oder der russischen Staatsführung nachgewiesen werden können. Auch IOC-Präsident Bach gilt als Vertrauter von Präsident Wladimir Putin.

IOC-Chef in der Kritik

Enttäuscht bis entsetzt reagierten Athleten, Funktionäre und Anti-Doping-Kämpfer hierzulande auf die IOC-Entscheidung.

Der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt, der durch seine Recherchen zur Aufdeckung des staatlich gelenkten Dopings in Russland beigetragen hat, nannte sie eine "Bankrotterklärung des internationalen Anti-Doping-Kampfes" und einen "weiteren Sargnagel für die Glaubwürdigkeit des IOC und seines Präsidenten Thomas Bach".

Olivier Niggli, Generalsekretär der WADA, zeigte sich vor allem betroffen über das Schicksal Julia Stepanowas: Die Botschaft, die ihr Startverbot an alle künftigen Whistleblower aussende, "bereitet der WADA große Sorgen".

Tatsächlich wiegt die Entscheidung der vermeintlich unabhängigen IOC-Ethik-Kommission, Stepanowa von den olympischen Spielen auszuschließen, mindestens so schwer wie der Entschluss des IOC, kein generelles Startverbot für russische Sportler zu verhängen.

Stepanowa floh aus Russland – wofür nun?

Die 800-Meter-Läuferin war 2013 wegen Blutdopings für zwei Jahre gesperrt worden. Ein Jahr später spielten sie und ihr Mann Witali Stepanow, ein ehemaliger Angestellter der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada, dem ARD-Journalisten Seppelt und seinem Team heimlich gedrehte Aufnahmen zu, die das staatlich unterstützte Dopingsystem in Russland belegen.

Damit riskierten sie hohe Gefängnisstrafen, denen sie durch ihre Flucht ins Ausland entgingen. Ihre Sperre hat Julia Stepanowa inzwischen abgebüßt. Dennoch erfüllt sie nach Aussage der IOC-Ethik-Kommission nicht "die ethischen Anforderungen" für Olympia in Rio.

Dagegen darf der US-Sprinter Justin Gatlin, einer der prominentesten Dopingsünder des vergangenen Jahrzehnts, nach Ablauf seiner Sperre in Rio starten. Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, spricht von einer Lex Julia Stepanowa: "die Whistleblowerin will man in Rio nicht laufen sehen".

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