Russland

Sind Doping-Sanktionen eine Garantie für den Neuanfang?

IOC-Präsident Thomas Bach, oberster Funktionär des Weltsports, will einen Schlussstrich unter das leidige Thema Doping in Russland ziehen. Was steckt dahinter?

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Die Doping-Akte Russland: IOC-Präsident Bach würde sie gerne allmählich ad acta legeen.

Die Doping-Akte Russland: IOC-Präsident Bach würde sie gerne allmählich ad acta legeen.

© Valeriy - Fotolia

BERLIN. Der staatliche Boykott blieb aus. Dass unbelastete russische Athleten, wie von der IOC-Exekutive am Dienstag entschieden, vom 9. bis 25. Februar 2018 unter neutraler Flagge an den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang, Südkorea, teilnehmen, hat Staatspräsident Wladimir Putin inzwischen abgesegnet. Über den Ausschluss des Nationalen Olympischen Komitees Russlands und, wichtiger noch, die lebenslange Olympiasperre des ehemaligen russischen Sportministers Witali Mutko verlor Putin kein Wort. Reden, so weiß der Stratege, ist Silber, Schweigen Gold.

"Eine schädigende Episode"

Diese Lektion müssen andere erst noch lernen. IOC-Präsident Thomas Bach beispielsweise, der oberste Funktionär des Weltsports, der auf der Pressekonferenz, bei welcher er den Ausschluss der dopingbelasteten Wintersportler und Funktionäre aus Russland verkündete, wiederholt von "systemischem" Doping sprach und gerade dadurch die Aufmerksamkeit auf jenen Begriff lenkte, den er selbst strikt vermied: "Staatsdoping".

Darüber hinaus erklärte Bach, dass man nun "einen Strich unter diese schädigende Episode ziehen" wolle. Da wurde man erst recht hellhörig. Denn der Ruf nach einem Schlussstrich ertönt ja immer dann, wenn einer meint, jetzt habe man aber wirklich genug debattiert, ermittelt, prozessiert und bestraft. Einen Schlussstrich zu fordern, verfolgt ja nur den einen Zweck, nämlich künftige Debatten, Ermittlungen, Prozesse und Strafen im Keim zu ersticken.

Auch der Begriff Episode ist in diesem Kontext verräterisch. Gemeinhin versteht man darunter ein flüchtiges Ereignis, eine belanglose Begebenheit, eine Nebensächlichkeit. Nebensächlich wozu? Zur olympischen Idee? Zur Wiederwahl seines Freundes Putin als russisches Staatsoberhaupt im kommenden März? Zur Fußball-WM, dem weltweit bedeutendsten Sportspektakel, das ab Mitte Juni 2018 zufälligerweise in Russland stattfindet? Vielleicht war Bach nicht bewusst, dass man in der Medizin unter Episode einen periodischen Krankheitsverlauf versteht, der ohne wirksame Therapie progressiert und die Grunderkrankung auf kurz oder lang chronifiziert.

Beweise sind erdrückend

Witali Mutko, so hat man den Eindruck, wurde nach der IOC-Verkündung zum Schweigen verdammt. Noch wenige Tage zuvor hatte er in einer allseits als "Wutrede" bezeichneten Ansprache nachgebetet, was er schon seit Jahren predigt: "Es hat nie ein staatlich gelenktes Dopingsystem in Russland gegeben." Die Vorwürfe zielten bloß darauf ab, Russland zu diskreditieren. Kollektivstrafen führten zu nichts, und ohne Beweise gelte die Unschuldsvermutung.

Dabei sind die Beweise inzwischen offenbar erdrückend. Mutko selbst gilt dem IOC als zentraler Koordinator des Staatsdopings, auch wenn man das in Lausanne lieber anders nennt. Dennoch darf er, inzwischen Vize-Ministerpräsident, die Fußball-WM im eigenen Land organisieren. Als Präsident des russischen Fußballverbands genießt er auch bei Fifa-Präsident Gianni Infantino höchstes Ansehen. Von Mutko, sagte der Schweizer, könne "man noch viel lernen". Laut Chefermittler Richard McLaren sollen vom staatlich gelenkten Dopingsystem in Russland auch 34 Profikicker profitiert haben. Darunter der komplette WM-Kader von 2014.

Die Suspendierung der belasteten russischen Sportler und Funktionäre von Olympia sowie das Verbot, die russische Flagge zu hissen und die russische Hymne zu spielen, verbunden mit einem Millionen-Bußgeld für das russische olympische Komitee, ist die höchste Strafe, die das IOC jemals verhängt hat. Und doch hatten sich viele Menschen nach den Enthüllungen der vergangenen Jahre mehr erhofft: den Komplett-Ausschluss des russischen Teams, eine Entschuldigung von offizieller Seite, den Rücktritt Mutkos als Cheforganisator der Fußball-WM, von Seiten der Täter und Verantwortlichen wenigstens ein bisschen Scham oder Demut, wurden nachweislich saubere Athleten doch um Ruhm und Ehre gebracht und sportbegeisterte Zuschauer betrogen.

Jene russischen Athleten, die an den Winterspielen in Südkorea teilnehmen dürfen, werden ihr Land durchaus repräsentieren. "Olympischer Athlet aus Russland" steht auf ihrem Dress, eine sich nach der IOC-Entscheidung eigentlich widersprechende Formulierung. Und zur Abschlussfeier könnte das russische Team, sollte es sich bis dahin an die Auflagen halten, wieder unter russischer Fahne ins Stadion einlaufen.

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