Ein LDL-Wert von 100 mg / dl ist bei KHK noch nicht das Optimum

Daß die Senkung erhöhter LDL-Cholesterinwerte mit einer Abnahme kardiovaskulärer Ereignisse korreliert, haben viele Studien gezeigt. Unklar ist, ob diese Korrelation - und damit der klinische Nutzen der Lipidsenkung - auch dann noch gegeben ist, wenn sehr tiefe Zielwerte angepeilt werden. Anders gefragt: Wo stößt der Grundsatz "je tiefer, um so besser" in der Lipidsenkung an seine Grenzen? Und sind diese Grenzen für alle Patienten gleich? Antworten auf diese Fragen sind in der TNT-Studie gesucht und gefunden worden.

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Peter Overbeck

Welcher Cholesterinwert kann bei welchen Personen als normal gelten? Praktisch mit jeder klinischen Studie, in der die Senkung des LDL-Cholesterins zu einer Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse geführt hatte, ergab sich auch eine neue Definition dessen, was "normale" Cholesterinwerte sind. So konnte schon vor Jahren bei KHK-Patienten mit durchschnittlichen LDL-Cholesterinwerten durch eine weitere Senkung das Risiko für KHK-Komplikationen verringert werden - was die anfänglich als normal geltenden Werte nachträglich als immer noch zu hoch erscheinen läßt.

Ist ein LDL-Cholesterinwert von 100 mg / dl schon das Optimum?

Um das Risiko möglichst gering zu halten, wird mittlerweile bei Risikopatienten mit KHK oder "KHK-Äquivalenten" (Diabetes, AVK), die ebenfalls ein hohes Risiko signalisieren, ein LDL-Cholesterinwert von 100 mg / dl als das Maß empfohlen, an dem sich der Arzt bei der lipidsenkenden Therapie orientieren sollte. Bevor nicht untersucht worden ist, ob sich auch eine noch tiefere Senkung klinisch auszahlt, bleibt jedoch die Ungewißheit darüber, ob damit der bestmögliche Schutz für Herz und Gefäße bei diesen Risikopatienten bereits erreicht worden ist.

In der PROVE-IT-Studie wollte man sich darüber Klarheit verschaffen. In dieser Studie sind erstmals zwei Therapieregime von unterschiedlicher lipidsenkender Intensität in ihrer klinischen Effizienz verglichen worden. Bei 4162 Patienten ist wenige Tage nach akutem Koronarsyndrom (instabile Angina pectoris/Myokardinfarkt mit und ohne ST-Hebung) eine Behandlung mit 80 mg Atorvastatin (intensive Therapie, erreichtes mittleres LDL-Cholesterin: 62 mg / dl) oder 40 mg Pravastatin (Standardtherapie, erreichtes mittleres LDL-Cholesterin: 95 mg / dl) begonnen worden.

Aggressive Lipidsenkung schon in PROVE-IT überlegen

Im Widerspruch zur Ausgangshypothese einer Wirkungsäquivalenz erwies sich die intensive Lipidtherapie mit Atorvastatin als überlegen: Die Inzidenz primärer Endpunkte (Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall, instabile Angina pectoris, Revaskularisation) wurde um 16 Prozent stärker im Vergleich zur Behandlung mit Pravastatin gesenkt.

Auch die in der HPS-Studie gemachte Beobachtung, daß selbst Patienten mit Ausgangs-LDL-Werten um oder unter 100 mg / dl noch von einer weiteren Lipidsenkung mit 40 mg Simvastatin profitierten, schien dafür zu sprechen, neue Zielwerte ins Auge zu fassen.

Dies taten - wenn auch in zunächst vorsichtiger Weise - die kardiologischen Fachgesellschaften in den USA. Sie empfehlen - unter Beibehaltung von 100 mg als Zielwert - als "optionales" Ziel bei Hochrisikopatienten die Senkung des LDL-Cholesterins auf 70 mg / dl.

Weitaus größer als die Gruppe der Patienten mit akutem Koronarsyndrom ist Gruppe mit stabiler Koronarkrankheit. Daß es auch bei diesen Patienten im Hinblick auf das kardiovaskuläre Risiko einen Unterschied ausmacht, ob ihr LDL-Cholesterin eher bei 75 mg / dl oder bei 100 mg / dl liegt, war die der TNT-Studie (Treating to New Targets) zugrundeliegende Hypothese.

In dieser Studie sind alle Teilnehmer mit Atorvastatin (Sortis®) in einer von zwei Dosisstärken (10 mg versus 80 mg pro Tag) behandelt worden. Nach einer Washout-Phase erhielten zunächst alle 15 464 KHK-Patienten in einer offenen Studienphase acht Wochen lang 10 mg Atorvastatin.

In dieser Zeit wurde der mittlere LDL-Cholesterinspiegel durch 10 mg Atorvastatin von initial 152 mg / dl um 35 Prozent auf 98 mg / dl gesenkt. Von den Teilnehmern an der Run-in-Phase wurden 5463 Patienten von der Aufnahme in die anschließende Doppelblindphase ausgeschlossen. Grund dafür war zumeist (85 Prozent) die nicht erreichte Senkung des LDL-Cholesterins unter 130 mg / dl.

Rate kardiovaskulärer Ereignisse um 22 Prozent gesenkt

Insgesamt 10 001 Patienten, bei denen dieser Zielwert erreicht worden war, wurden randomisiert zwei Gruppen zugeteilt und entweder weiterhin mit 10 mg (LDL-Zielwert: 100 mg / dl) oder 80 mg Atorvastatin (LDL-Zielwert: 75 mg / dl) behandelt. Der mediane Beobachtungszeitraum betrug 4,9 Jahre.

Primärer Studienendpunkt war das erstmalige Auftreten eines schwerwiegenden kardiovaskulären Ereignisses (tödliche KHK, nicht tödlicher Myokardinfarkt, Reanimation nach Herzstillstand, tödlicher und nicht tödlicher Schlaganfall).

Beide Atorvastatin-Dosierungen senkten das LDL-Cholesterin erwartungsgemäß auf ein deutlich unterschiedliches Konzentrationsniveau. Mit 80 mg Atorvastatin wurde im Mittel ein Wert von 77 mg / dl und mit 10 mg Atorvastatin ein Wert von 101 mg / dl erreicht.

Dieser Unterschied wirkte sich klinisch aus: Auch die Zahl der als primärer Endpunkt kombinierten kardiovaskulären Ereignisse war in der intensiver behandelten Gruppe deutlich niedriger als in der Vergleichsgruppe mit moderater Lipidsenkung. So wurden im Beobachtungszeitraum bei Behandlung mit 10 mg Atorvastatin 548 Ereignisse (10,9 Prozent), bei Behandlung mit 80 mg Atorvastatin dagegen nur 434 (8,7 Prozent) Ereignisse registriert.

Im Vergleich konnte somit durch die stärkere Lipidsenkung mit 80 mg die Inzidenz kardiovaskulärer Komplikationen nochmals signifikant um 22 Prozent verringert werden, so das von Studienleiter Professor John LaRosa aus New York präsentierte Hauptergebnis.

Auch bei Betrachtung der einzelnen Komponenten des primären Endpunkts ergab sich ein konsistenter Unterschied zugunsten der stärkeren Lipidsenkung. So war die Rate für die kardiovaskuläre Mortalität um 20 Prozent (nicht signifikant), die Myokardinfarktrate um 22 Prozent und die Schlaganfallrate um 25 Prozent (beides signifikant) niedriger als in der Vergleichsgruppe.

Die Gesamtmortalitätsrate war in beiden Gruppe nahezu gleich. LaRosa sieht darin kein Manko der Studie. Denn es sei nicht das Ziel gewesen, Unterschiede in der Wirkung beider Therapieregime auf die Gesamtsterblichkeit aufdecken zu können. Um diesen Nachweis statistisch solide führen zu können, hätte es nach seinen Angaben der Aufnahme von fast 35 000 Patienten in die Studie bedurft.

Atorvastatin hat sich in den geprüften Dosierungen auch als gut verträglich erwiesen, betonte LaRosa. Nach seiner Ansicht markieren die TNT-Ergebnisse den Beginn einer "neuen Ära" in der KHK-Behandlung.

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