IM GESPRÄCH

Sahnetorte so gesund wie Gemüseauflauf? Ergebnis einer Megastudie überrascht, hat aber kaum Aussagekraft

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

"Fettarme Kost schützt nicht vor Krebs und Herzkrankheiten" - das konnte man vergangene Woche in vielen Zeitungen lesen. Anlaß der Schlagzeile: In einer der größten und teuersten Studien zu diesem Thema bekamen Frauen, die sich bewußt gesund ernährten, ebenso häufig eine Koronare Herzkrankheit (KHK), Brust- und Darmkrebs wie Frauen, die nicht auf ihre Ernährung achteten.

Braucht man sich jetzt also nicht mehr mit Obst und Gemüse zu quälen und kann man stattdessen wieder mit Herzenslust Sahnetorte und Schweineschnitzel verschlingen? Wohl kaum! Denn die Studie ist nur wenig aussagekräftig.

Dabei sollte gerade die Womens Health Initiative (WHI) Dietary Modification Study eines besser als andere Studien klären - nämlich ob eine fettarme, Vitamin- und Ballaststoff-reiche Ernährung das Risiko für die drei Krankheiten senkt. Hinweise, daß viel Grünes und wenig Fett die Raten von KHK und bestimmten Krebserkrankungen senken, haben zumindest viele älteren Studien geliefert.

Diese Fall-Kontroll- oder Kohortenstudien haben jedoch alle eine Schwachstelle: Damit läßt sich nicht klar ermitteln, ob die Ernährung tatsächlich die Ursache für unterschiedliche Erkrankungs-Raten ist. So kann es etwa sein, daß Menschen, die besonders viel Obst und Gemüse essen, auch sonst sehr auf ihre Gesundheit achten, etwa viel Sport treiben, und deswegen seltener Krebs und KHK bekommen.

Die Teilnehmer sollten ihre Ernährung freiwillig umstellen

Mehr Klarheit könnten Interventionsstudien bringen. Das Problem dabei: Man kann Menschen schlecht über Jahre oder Jahrzehnte eine ganz bestimmte Ernährung vorsetzen. Interventionsstudien wie sie bei Medikamenten Standard sind, sind bei Fragen zur Ernährung schlicht unmöglich. Die WHI-Studie versuchte daher einen Zwischenweg: Mit Hilfe eines Schulungsprogramms sollten ein Teil der Frauen ihre Ernährung freiwillig umstellen, der andere Teil diente als Kontrollgruppe.

Insgesamt nahmen knapp 49 000 gesunde Frauen an der Studie teil, alle waren über 50 Jahre alt. Die knapp 20 000 Frauen in der Interventionsgruppe nahmen im ersten Studienjahr an 18 Gruppensitzungen teil - danach nur noch an vier pro Jahr. Während dieser Treffen wurden sie über gesunde Ernährung informiert und aufgefordert, weniger Fett, und dafür mehr Obst und Gemüse zu essen. Sie sollten nur noch 20 Prozent ihres Energiebedarfs über Fett aufnehmen und täglich mindestens fünf Portionen Obst und Gemüse sowie sechs Portionen Getreideprodukte essen. Den anderen 29 000 Frauen wurden keine Ernährungsvorschläge gemacht (JAMA 295, 2006, 629-666).

Nach acht Jahren verglichen die Studienärzte die Raten von Brust- und Darmkrebs sowie KHK in den Gruppen - und siehe da: Es gab keine signifikanten Unterschiede! 3,4 Prozent der Frauen in der Diät- und 3,6 Prozent in der Kontrollgruppe bekamen Brustkrebs, jeweils ein Prozent erkrankten an Darmkrebs, jeweils fünf Prozent an einer KHK.

"Dieses Resultat ist revolutionär", kommentiert der Ernährungsmediziner Professor Jules Hirsch von der Rockefeller-Universität in New York das überraschende Null-Ergebnis der Studie. Und sein Kollege, Dr. Michael Thun von der Amerikanischen Krebsgesellschaft, lobt das mit über 100 Millionen Dollar Staatsgeldern finanzierte Projekt als "Rolls-Royce" unter den Ernährungsstudien.

      Die Frauen in beiden Gruppen ernährten sich sehr ähnlich.
   

Doch auf den zweiten Blick gleicht die Studie eher einem Rolls-Royce ohne Motor: groß und teuer, aber kaum zu gebrauchen. So ähnlich sehen es zumindest zwei andere US-Ernährungsexperten, Professor Cheryl Anderson und Professor Lawrence Apple aus Baltimore, in einem Kommentar zu der Studie (JAMA 295, 2006, 693). Aus der Studie ließen sich keineswegs gesicherte Aussagen ableiten - dazu seien die Ernährungsunterschiede bei Frauen mit und ohne Schulung zu klein gewesen.

So nahmen die Frauen in der Diätgruppe 29 Prozent ihrer Energie über Fett auf, bei den Frauen ohne Schulung waren es 37 Prozent. Die Frauen in der Diätgruppe schafften im Schnitt fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag, die Frauen ohne Diät aßen mit vier Portionen aber auch sehr viel Grünes. Und in beiden Gruppen wurden ähnlich viel Getreideprodukte verzehrt (5,5 versus 5 Portionen pro Tag).

Nicht nur in der Diätgruppe, auch in der Kontrollgruppe aßen die Frauen viel Obst, Gemüse und Ballaststoffe. Daher überrasche es nicht, so Apple und Anderson, daß es kaum Unterschiede bei den kardiovaskulären Risikofaktoren gab, die sich am ehesten durch Ernährung beeinflussen lassen: Die LDL-Werte waren nach drei Jahren ähnlich gering gesunken (minus 10 mg/dl in der Diätgruppe versus 6 mg/dl in der Kontrollgruppe), der Blutdruck blieb in beiden Gruppen unverändert, und die Frauen in der Diätgruppe hatten im Studienverlauf nur 400 Gramm mehr abgenommen als diejenigen in der Kontrollgruppe.

Immerhin: Einen indirekten Hinweis darauf, daß der hohe Obst- und Gemüsekonsum in beiden Gruppen das kardiovaskuläre Risiko reduzierte, gab es auch in dieser Studie. So kam es in acht Jahren nur bei knapp sieben Prozent der Frauen zu einer Gefäßerkrankung - ein ungewöhnlich niedriger Wert, meinen die beiden Ernährungsexperten.

Heute wird empfohlen, viel ungesättigte Fettsäuren zu essen

Übrigens: Die Empfehlungen, möglichst wenig Fett zu essen, sind inzwischen längst überholt. Solche Empfehlungen seien 1993, als die Studie begonnen wurde, zwar üblich gewesen. Inzwischen wisse man aber, daß es nicht nur auf die Fettmenge, sondern auch auf die Fett-Zusammensetzung ankomme, berichten Apple und Anderson. Die Empfehlungen lauten heute, möglichst wenig gesättigte Fettsäuren und viel herzschützende ungesättigten Fettsäuren zu konsumieren - also besser Fisch und Oliven als Sahnetorte und Schweineschnitzel.



FAZIT

In der WHI-Studie mit knapp 50 000 Frauen sollte ein Teil der Frauen wenig Fett und viel Obst, Gemüse sowie viele Ballaststoffe essen, dem anderen Teil wurden keine Vorschriften gemacht. Nach acht Jahren waren in beiden Gruppen die Raten von KHK, Brust- und Darmkrebs ähnlich hoch. Allerdings stellte sich heraus, daß sich die Frauen in der Diätgruppe kaum anders ernährt hatten als die Frauen ohne Diätvorschriften.

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