Foodwatch-Studie

Jede zweite Lebensmittelwarnung erfolgt zu spät

Harte Kritik am staatlichen Portal lebensmittelwarnung.de: Rückrufaktionen erreichten die Bevölkerung oft zu spät, so eine Studie der Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch.

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BERLIN. Gesundheitsschädliche Stoffe im Bio-Säuglingstee, Metallsplitter in Netto-Würstchen. Hunderte Male wurden in den vergangenen Jahren Lebensmittel zurückgerufen. Allerdings erreichen Warnungen vor möglicherweise gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln die Menschen in Deutschland aus Sicht von Verbraucherschützern oftmals zu spät oder gar nicht.

Fast jeder zweite Rückruf auf dem staatlichen Portal lebensmittelwarnung.de erscheine verzögert, heißt es in einem Report "Um Rückruf wird gebeten" der Organisation Foodwatch.

Tag bis Wochen Verspätung

Es gehe wie im Fall des Bio-Säuglingstees um drei Tage, aber mitunter gar um Wochen Verspätung. Foodwatch hatte gut 90 Rückrufaktionen ausgewertet. Die Kritik geht noch weiter: Es gebe bei dem Thema auch gesetzliche Schwachstellen, Mängel in der Informationspolitik von Unternehmen und zu wenig Warnungen etwa in Supermärkten, hieß es.

"Es kann nicht sein, dass Verbraucher bei lebensgefährlichen Produkten wochenlang warten müssen, bis sie bundesweit informiert werden", sagt Martin Rücker, Geschäftsführer von Foodwatch Deutschland, der "Süddeutschen Zeitung". Der Bund müsse für die Stellungnahme der Hersteller Fristen definieren". Die staatliche Infoseite im Internet sei eine gute Idee, funktioniere aber in der jetzigen Form nicht, so das Resümee Rückers.

Das Freitagsproblem und seine Folgen

Für das verspätete Einstellen der Warnungen sei unter anderem das sogenannte "Freitagsproblem" verantwortlich, zitiert die "Süddeutsche Zeitung" einen Privatmann aus Nordrhein-Westfalen der auf seinem privatbetriebenen Portal produktrueckrufe.de oft schneller sei als die Behörden.

Viele Warnungen würden am Freitagnachmittag oder Abend versendet. Zu diesem Zeitpunkt seien die Beamten in den zuständigen Behörden allerdings bereits im Wochenende. Die Folge: Die Warnungen erreichten die Verbraucher oft erst frühestens am Montag – nach den Wochenendeinkäufen.

Als Beispiele nennt der private Lebensmittelwarner laut SZ einen Fall von mit E.-coli-Bakterien befallenem Käse im März. Das Verbraucherschutzministerium Baden-Württemberg teilte dem Vebraucherverein Foodwatch dazu mit: "Zwischen der Unternehmenswarnung und dem behördlichen Hinweis hierauf lag das Wochenende."

Wie läuft ein Rückruf ab?

Betroffene Chargen werden nicht weiter ausgeliefert und der Verkauf gestoppt, die Ware wird aus den Regalen und Lagern von Händlern geräumt, Kunden werden informiert und zur Rückgabe gekaufter Ware aufgerufen. So sollte es jedenfalls sein. Die öffentliche Warnung gebe es aber nicht immer, berichtet Foodwatch - es komme "immer wieder zum Rechtsbruch". Genaue Zahlen liefert die Organisation dazu aber nicht, sie beruft sich auf Angaben anonymer Branchenexperten. Je nach Fall kann es auch reichen, wenn ein Unternehmen nur Verzehrhinweise herausgibt - zum Beispiel, dass belastetes Hackfleisch gut durchgegart werden sollte.

Was tun die Behörden?

Ihnen seien oftmals die Hände gebunden, so Foodwatch. Denn Risikoeinschätzung und öffentliche Warnung seien vorrangig Aufgabe der Unternehmen. Behörden würden in der Regel überhaupt nur informiert, wenn ein Hersteller sich für Rückruf oder Rücknahme entschieden hat, so Foodwatch. Hinzu kommt: Behörden-Warnungen bergen die Gefahr, dass betroffene Unternehmen Schadenersatz fordern.

Wie erfährt man als Verbraucher von Rückrufen?

Eigentlich gibt es viele Möglichkeiten: Medien, Aushänge, soziale Netzwerke, Firmenwebseite, Newsletter - doch diese werden aus Sicht der Verbraucherschützer längst nicht ausgeschöpft. Unternehmen legen dem Report zufolge weitgehend selbst fest, wie und in welchem Umfang sie warnen.

Was bestimmt die Informationspolitik von Unternehmen?

Die Verbraucherschützer sehen Firmen in einem "unauflösbaren Interessenkonflikt" - es gehe um die Angst vor Umsatzeinbrüchen und vor einem Imageschaden. Entsprechend werde zum Beispiel von einer Information über breitenwirksame, aber für Werbebotschaften gedachte Kanäle wie Facebook tendenziell eher abgesehen. Einheitliche Vorgaben zu den zu Informationskanälen gebe es nicht, beklagt Foodwatch.

Gibt es auch positive Beispiele?

Foodwatch schildert einen Fall, in dem eine Firmenchefin sogar ihre Handynummer veröffentlicht habe, um Verbrauchern bei Fragen zur Verfügung zu stehen. So etwas sei aber die Ausnahme. Dabei betont die Organisation, dass etwa vorsorgliche Rückrufaktionen zunehmend als Zeichen verantwortlichen Handelns von Kunden honoriert würden. Über den vorsorglichen Eier-Ruckruf großer Discounter im Zuge des Fipronil-Skandals hatte ein Marketing-Experte zum Beispiel kürzlich der dpa gesagt: "Sie signalisieren den Kunden damit, wir kümmern uns, wir tragen Sorge für Euch." (dpa/sts)

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