Ernährung

Nordische Diät nützt offenbar nichts

Die nordische Diät ist offenbar keine gute Alternative zur mediterranen Diät. Wer viel Obst, Wurzelgemüse, Kohl und Vollkorn isst, senkt damit nicht sein Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko. Entscheidend könnte aber die Menge sein.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Eine nordische Diät enthält den Forschern zufolge viel Vollkorn, Beeren, Äpfel und Birnen.

Eine nordische Diät enthält den Forschern zufolge viel Vollkorn, Beeren, Äpfel und Birnen.

© HLPhoto / stock.adobe.com

POTSDAM-REHBRÜCKE Ernährungsstudien auf Kohortenbasis sind immer so eine Sache: Da werden Menschen nach ihrer Ernährung gefragt – vielleicht nur ein einziges Mal.

Aus den Angaben berechnen Forscher dann die Adhärenz zu einer bestimmten Ernährungsweise und schauen, wie häufig solche Menschen später bestimmte Erkrankungen entwickeln.

Daraus kausale Zusammenhänge abzuleiten, ist natürlich sehr gefährlich: Zum einen können die subjektiven Angaben schlicht falsch sein – wer erinnert sich schon so genau daran, wie häufig er welche Nahrungsmittel zu sich nimmt. Zum anderen ändern Menschen ihre Ernährungsgewohnheiten.

Einen Herzinfarkt auf eine Diät zurückzuführen, die einmalig vor zehn Jahren erfasst wurde, klingt nicht gerade plausibel. Viele Studien machen aber genau das.

Auch ist die Ernährung eng mit anderen Lebensstilfaktoren verknüpft: Wer sich gesund ernährt, lebt insgesamt gesünder, und das lässt sich trotz allerlei statistischer Kunstgriffe nicht klar voneinander trennen. Schließlich wird die Adhärenz zu einer bestimmten Ernährung oft auf abenteuerliche Weise berechnet.

Vor allem Letzteres könnte einer Analyse der EPIC (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition)-Studie zum Verhängnis geworden sein, die Forscher um Cecilia Galbete vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke publiziert haben (BMC Medicine 2018; 16: 99).

Nach diesen Daten erleiden Menschen mit einer "nordischen Diät" ähnlich häufig einen Herzinfarkt oder Schlaganfall wie Freunde von Pommes, Vanilleeis und Schweinesteaks.

Gesunde Ernährung mit lokalen Produkten

Die mediterrane Diät mit ihrem Fokus auf Obst, Nüssen, Fisch, Olivenöl und moderaten Mengen Rotwein mag inzwischen vielen vertraut sein. Sie geht mit einer reduzierten Rate kardiovaskulärer Ereignisse einher.

Dass eine solche Ernährung tatsächlich präventiv wirkt, darauf deuten neben den notorischen Kohortenuntersuchungen inzwischen auch einige Interventionsstudien. Allerdings ist die mediterrane Diät nicht unbedingt eine gute Vorlage für eine gesunde Ernährung im mittleren und nördlichen Europa, da viele der erforderlichen Lebensmittel entweder schwer verfügbar oder nicht Teil der vorherrschenden Ernährungskultur sind.

Wissenschaftler suchen daher nach einer gesunden Ernährung mit lokalen Lebensmitteln aus Mittel- und Nordeuropa. Eine solche "nordische Diät" sollte den Forschern zufolge viel Vollkorn, Beeren, lokales Obst wie Äpfel und Birnen, Fisch, Kohl- und Wurzelgemüse, Milchprodukte, Kartoffeln und pflanzliche Fette enthalten.

Aus diesen neun Lebensmittelkategorien bastelten die Ernährungswissenschaftler um Galbete einen Adhärenz-Score mit maximal 18 Punkten. Die Punkte wurden gemäß geschlechtsspezifischer Terzilen vergeben.

Wer sich mit seinem Beerenkonsum im oberen Drittel der EPIC-Population befand, bekam dafür also zwei Punkte, das mittlere Terzil führte zu einem, das untere zu keinem Punkt.

Punkte-Score verwendet

Einen ähnlichen 18-Punkte-Score verwendeten die Forscher für die mediterrane Diät. Kategorien waren hier Korn- und Mehlprodukte (Brot, Müsli, Pasta, Reis), Obst und Nüsse, Gemüse, Hülsenfrüchte, Fleisch, Milchprodukte, Alkohol sowie Olivenöl.

Die höchste Punktzahl gab es jedoch nicht für den höchsten Konsum, sondern den gesündesten, etwa zwei Punkte für einen Fleischkonsum im untersten Tertil. Interessanterweise wurde noch ein Alkoholkonsum bis 50 g/d (zweieinhalb Flaschen Bier) bei Männern und 25 g/d bei Frauen mit zwei Punkten belohnt.

In ähnlicher Weise verwendeten die Forscher eine zweite Skala zur mediterranen Diät, basierend auf 15 Lebensmittelkategorien. Dieser MedPyramid-Score beruht nicht auf Terzilen, sondern auf täglichen oder wöchentlichen Portionen nach aktuellen Ernährungsempfehlungen.

Das Team um Galbete konzentrierte sich auf die Potsdamer Kohorte der EPIC-Studie mit rund 27.500 Teilnehmern. Diese wurden eingangs einmalig zu ihren Ernährungs- und Lebensgewohnheiten befragt. Anschließend sollten sie den Forschern alle zwei bis drei Jahre über neu auftretende Erkrankungen berichten.

Aufnahme in die Studie erfolgte in den Jahren 1994 bis 1998. Zu diesem Zeitpunkt waren die Teilnehmer 35 bis 65 Jahre alt.

Mehr Dicke in Gruppe mit guter Adhärenz

Personen mit einer hohen Adhärenz (11–18 Punkte) zu der nordischen Diät waren im Schnitt etwas älter und dicker als solche mit geringer Adhärenz (0–8 Punkte), dafür rauchten sie seltener, waren gebildeter und trieben etwas mehr Sport.

Ein ähnliches Bild zeigte sich bei Teilnehmern mit einer hohen Adhärenz gemäß der beiden Scores zur mediterranen Diät – es dürfte sich also zu einem großen Teil um dieselben Personen handeln.

Allerdings war das Bildungsniveau bei den Anhängern der mediterranen Diäten etwas höher: 45 Prozent hatten einen Universitätsabschluss, aber nur 39 Prozent derer mit guter Adhärenz zur nordischen Diät. Auch waren Freunde der mediterranen Diät etwas dünner.

Der etwas höhere Anteil der Dicken bei guter Adhärenz zur nordischen Diät lässt sich schlicht damit erklären, dass wer viel von allem isst, auch eher viel vom Gesunden konsumiert.

Dagegen wird beim MedPyramid-Score nicht die Quantität in Gramm, sondern die Häufigkeit der Mahlzeiten mit entsprechenden Lebensmitteln bewertet. Hier waren Personen mit guter Adhärenz auch etwas dünner als solche mit schlechter.

Im Laufe von rund elf Jahren registrierten die Forscher 312 Herzinfarkte, 321 Schlaganfälle und 1376 Diabetes-Neudiagnosen. Wurden sämtliche bekannten Begleiterkrankungen und Lebensstilfaktoren berücksichtigt, so ergab sich für Teilnehmer mit hoher Adhärenz im Vergleich zu solchen mit einer geringen Adhärenz für eine nordische Diät eine um 12 Prozent geringere Rate von Herzinfarkten und eine um 3 Prozent reduzierte Rate von Schlaganfällen sowie eine leicht erhöhte Diabetesrate. Alle Unterschiede waren aber nicht signifikant.

Dagegen ging eine gute Adhärenz zur mediterranen Diät nach dem MedPyramid-Score mit einer signifikanten, um 20 Prozent reduzierten Diabetesrate einher.

Kaum signifikante Unterschiede

Herzinfarkt und Schlaganfallraten waren bei guter Adhärenz ebenfalls etwas reduziert, aber nicht signifikant. Noch dürftiger waren die Resultate bei der Krebsrate: Hier zeigten sich für keine der Ernährungsweisen auch nur nennenswerte numerische Unterschiede.

Schauten sich die Forscher die Resultate für Männer und Frauen getrennt an, so fanden sie auch eine um rund 20 Prozent geringere Herzinfarktrate bei Frauen mit mediterraner Diät, ansonsten gab es keine weiteren signifikanten Differenzen.

Dass die nordische Diät nichts nützt, lässt sich aus diesen Daten jedoch auch nicht ableiten. Das größte Problem dürfte die quantitative Konstruktion des Scores sein.

Wer besonders viel Essen in sich hineinschaufelt, hat gute Chancen, als adhärent zu gelten. Besonders viele Kalorien aufzunehmen, ist jedoch eher ungesund, egal aus welchen Lebensmitteln diese letztlich stammen. Das könnte die Resultate verzerrt haben.

Mehr zum Thema

Unabhängig vom BMI

Frauen mit Bauchspeck häufiger infertil

Klimawandel

Fruchtsaft schadet Nieren bei großer Hitze

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Weniger Rezidive

Hustenstiller lindert Agitation bei Alzheimer

Lesetipps
Ulrike Elsner

© Rolf Schulten

Interview

vdek-Chefin Elsner: „Es werden munter weiter Lasten auf die GKV verlagert!“

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen forderte am Mittwoch beim Gesundheitskongress des Westens unter anderem, die dringend notwendige Entbudgetierung der niedergelassenen Haus- und Fachärzte müsse von einer „intelligenten“ Gebührenordnung flankiert werden.

© WISO/Schmidt-Dominé

Gesundheitskongress des Westens

KBV-Chef Gassen fordert: Vergütungsreform muss die Patienten einbeziehen