Herzchirurgen unter Generalverdacht

Kurz vor einer politischen Entscheidung über Sonderentgelte von Herzkliniken lanciert der VdAK einen üblen Verdacht in die Medien: Herzchirurgen sollen Schmiergeld für überteuerte Herzklappen genommen haben.

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Bonn/Siegburg, im Frühjahr 1994. Am 30. Mai 1994 berichtet das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" über einen Schmiergeldskandal an deutschen Herzzentren. Danach sollen fast alle Chefärzte für den Einsatz von Herzklappen Geld von den Herstellern erhalten haben.

Ausgelöst hat den Bericht der Ersatzkassenverband, federführend für den Krankenhaussektor. In einem Schreiben an Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer fordern die Kassen, die Fallpauschalen für Operationen um zehn Prozent zu senken. Eine Entscheidung soll der Bundesrat am 10. Juni treffen.

So werden Spekulationen in Gang gesetzt, wonach aufgrund überhöhter Preise bei Medikalprodukten und Schmiergeldzahlungen an Ärzte ein Schaden von insgesamt 1,5 Milliarden DM entstanden sein könnte. Bei den Herzklappen wird ein Durchschnittspreis von 6300 DM angegeben, 3000 DM zu viel.

Der "Herzklappenskandal" dominiert in den Folgetagen die Schlagzeilen. BÄK-Präsident Karsten Vilmar, bleibt gelassen und fordert den VdAK auf, Ross und Reiter zu nennen. Die angegriffenen Herzkliniken dementieren heftig.

Namhafte Herzchirurgen wie Peter Satter aus Frankfurt, Bruno Reichart aus München oder Roland Hetzer aus Berlin weisen den anonymen Vorwurf der Bestechlichkeit energisch zurück.

Vorwürfe kaum glaubwürdig

Bereits zwei Tage nach der "Spiegel"-Veröffentlichung beschäftigt sich der Gesundheitsausschuss des Bundestages mit der Affäre. Die "Ärzte Zeitung" startet eine Serie und leuchtet dabei auch die juristischen Konsequenzen aus: "Approbation weg, Kündigung, Gefängnis - wer die Hand aufhält, riskiert die Existenz."

Vor dem Gesundheitsausschuss präsentieren die Kassenverbände schließlich insgesamt zwölf Fälle, in denen Geld oder geldwerte Vorteile an Herzchirurgen geflossen sein sollen. Das Papier, das zum allergrößten Teil aus Schwärzungen besteht, wird auch der Presse in Bonn vorgestellt.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt gelten die Vorwürfe der Kassen als kaum noch glaubwürdig.

Auch politisch geraten die Kassen ins Abseits. Das geht aus dem Wortprotokoll der Ausschusssitzung vom 1. Juni 1994 hervor. Daran nimmt auch Ministerialdirigent von Bülow aus dem Justizministerium teil, der bei Staatsanwaltschaften recherchiert hat, die nach Kassenangaben Ermittlungen im Herzklappenskandal eingeleitet haben sollen.

Das Ergebnis: Die Kassen haben in keinem Fall den Staatsanwaltschaften Erkenntnismaterial geliefert, das den Korruptionsverdacht stützt. Direkt geht von Bülow den AOK-Vorstandsvorsitzenden Gert Nachtigal an: "Sowohl Sie als auch Herr von Stackelberg (damals AOK-Abteilungsleiter, heute Vize-Chef des GKV-Spitzenverbandes, Red.) haben erklärt, es sei nicht Aufgabe der Kassen, die Staatsanwaltschaften zu unterstützen. Wenn tatsächlich solche Vorwürfe belegbar wären, dann wäre es für unseren Rechtsstaat unerträglich, wenn hier Millionendelikte ungesühnt blieben."

Vom Skandal, in den die Herzchirurgen verwickelt sein sollen, ist am Ende wenig geblieben. Allerdings: Die Hersteller von Herzklappen haben am Jahresende 1994 die Preise um rund 30 Prozent gesenkt. (HL)

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