Viraler Tweet

Rassismus im Pflasterformat?

Die Emotionen kochen bei einem tausendfach kommentierten Tweet über ein Pflaster für Schwarze hoch: Sind die unscheinbaren Medizinprodukte Symbol für Rassismus?

Alexander JoppichVon Alexander Joppich Veröffentlicht:
Ein weißes Pflaster zeichnet sich deutlich auf dunkler Haut ab.

Ein weißes Pflaster zeichnet sich deutlich auf dunkler Haut ab.

© RealVector / stock.adobe.com

NEU-ISENBURG. Ein Mann postet bei Twitter ein Bild von seiner Hand; er schreibt, dass er gerade Tränen zurückhalten müsse. Was fast nur in der Vergrößerung erkennbar ist, ist der Grund für den Aufruhr: ein kleines, unscheinbares Pflaster. Genauer gesagt: ein dunkel gefärbtes Pflaster. Der Autor Dominique Apollon ist schwarz und berichtet davon, wie er zum ersten Mal ein Pflaster trägt, dass zu seiner Hautfarbe passt.

Apollon erzählt, dass er kürzlich die eigentlich triviale Entscheidung getroffen habe, dunkle Pflaster zu kaufen. Er habe nicht erwartet, dass ein Pflaster ihn emotional bewege: „Das fühlt sich an, als ob man dazugehört. Als ob man wertgeschätzt wird“, schreibt er zu seinem Tweet.

Seine persönliche Erkenntnis scheint vielen aus der Seele zu sprechen – oder sie zumindest zu berühren. 107.000 Mal wurde der Beitrag bisher geteilt, 556.000 Mal „Gefällt mir“ gedrückt – und unter den Hashtags #MoreThanAPlaster (zu Deutsch: Mehr als ein Pflaster) sind lebhafte Diskussionen entstanden. Schauspieler John Boyega (Finn aus „Star Wars: Das letzte Erwachen“ und „Die letzten Jedi“) berichtet in einem Kommentar unter dem Original-Tweet, dass Visagisten seine hellen Pflaster am Set mit brauner Farbe kaschieren.

Innovation oder Rassismus?

In den 3100 Kommentaren unter dem Tweet treffen mit der Zeit mehrere Meinungsfraktionen aufeinander: Manche Nutzer – ob mit dunkler oder heller Haut – finden unterschiedliche Pflasterfarben gut, einige hellhäutige Konsumenten verstehen die emotionale Aufregung um ein dunkles Pflaster nicht, einige dunkelhäutige Konsumenten sehen in dem „Standard-Pflaster“ in weiß den Beweis für strukturellen Rassismus.

Auch Autor Dominique Apollon – Doktor der Political Science* und Mitglied der Gleichberechtigungsorganisation „Race Forward“ – greift diese Lesart auf und spricht in einem ergänzenden Tweet von der „Vorherrschaft der Weißen“, die es zu besiegen gelte.

Erfolgreiches Nischenprodukt?

Die Pflaster, um die es in dem Apollon-Tweet geht, stammen vom Hersteller Tru-Colour-Bandages. Nach eigenen Angaben bietet dieser seit 2013 Pflaster für verschiedene Hauttypen nach der Fitzpatrick-Skala an – derzeit in den Farben oliv, braun, und dunkelbraun.

Das Unternehmen wolle noch differenziertere Farbtöne in der Zukunft anbieten, schreibt Tru-Colour-Bandages auf seiner Webseite. Getreu dem Slogan: Diversity in Healing (im Deutschen etwa: Verschiedenheit beim Heilen).

Begeistert sei Tru-Colour-Bandages von der Diskussion, die Apollons Tweet ausgelöst hat, postete der Hersteller bei Facebook. Der Produzent sei ein kleines Unternehmen in einer „Industrie, die sich in fast einem Jahrhundert kaum verändert hat“ und man zelebriere „die Schönheit in der Verschiedenheit“.

Eine Frage der Definition

Inzwischen gibt es auch hierzulande Verbände und Pflaster für andere Hautfarben, doch diese sind seltener, insbesondere im stationären Einzelhandel. „Hautfarben“ oder “Nude-Look“ – ob bei Medizinprodukten oder in der Kosmetik – bedeutet auch in Deutschland meistens weiß beziehungsweise pastell-rosa.

So hat der in Deutschland bekannte Hersteller Hansaplast derzeit nur eher auf helle Haut ausgelegte Pflaster im Sortiment. „Das Hansaplast-Portfolio umfasst aktuell transparente, weiße, hellbraune und bunte, verspielte Pflaster“, so der Hersteller auf Anfrage der „Ärzte Zeitung“. Auch konnte der Pflasterproduzent bisher „keine breite Nachfrage nach Pflastern, die speziell auf die große Vielfalt der Hauttöne abgestimmt sind, feststellen“. Konzernmutter Beiersdorf betont aber, dass diese Tatsache nicht mangelnder Toleranz zu Grunde liege, sondern der mäßigen Nachfrage geschuldet sei.

Ebenso außerhalb Europas: In Nordamerika hat Johnson & Johnson seine Band-Aid-Pflasterserie eingestellt, die verschiedene Hauttypen zu treffen versucht hat. Als Grund gab der US-Hersteller gegenüber NBC News – wie Hansaplast – mangelndes Kundeninteresse zum damaligen Zeitpunkt an.

Politische Dimension: Ethnien werden nicht erfasst

Die deutschen Hersteller haben ein generelles Problem: Sie wissen nicht, wie viele Menschen mit dunkleren Hautfarben in Deutschland leben – und können damit auch nicht abschätzen, wie groß der Markt ist. Die Regierung sperrt sich dagegen, Ethnien statistisch zu erfassen. Eine UN-Gruppe forderte 2017 ein Umdenken und Deutschland dazu auf, die Daten zu erfassen: Ihr Ziel: Rassismus sichtbar machen.

Was können Menschen mit anderen Hautfarben hierzulande beim Pflasterkauf also tun? Bislang nur online die Nischenprodukte kaufen oder einfach einmal vor Ort nachfragen, ob der Apotheker Pflaster in anderen Farben ins Sortiment nehmen könnte. In jede Drogerie wird das nicht weiße Pflaster aber wahrscheinlich nicht Einzug halten.

*Die US-amerikanische Political Science sieht politische Aktivitäten auch im Alltäglichen und sollte nicht mit der deutschen Politikwissenschaft verwechselt werden. So tragen auch Mode, Musik und eben auch Medizinprodukte politische Aussagen mit sich.

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