Studie

Gemeinschaftssinn bei Kindern nimmt stark ab

Andere auszugrenzen, das ist für viele Kinder offenbar normal, zeigt eine Umfrage. Für die Gesellschaft kann das fatale Folgen haben. Die Solidargemeinschaft droht zu kippen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Jedes vierte Kind hat Erfahrung mit Mobbing gemacht.

Jedes vierte Kind hat Erfahrung mit Mobbing gemacht.

© pololia / stock.adobe.com

BERLIN. Mobbing, fehlendes Mitgefühl, Gleichgültigkeit. Die Gemeinwohlorientierung in der Gesellschaft droht zu bröckeln. Einem Drittel der Jugendlichen zwischen zwölf und 16 Jahren fehlt der Gemeinschaftssinn. Auch Kinder zwischen sechs und elf Jahren offenbaren zu mehr als einem Fünftel (22 Prozent) bedenkliche soziale Defizite beim Umgang mit anderen Menschen. Das geht aus einer Studie der Universität Bielefeld im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung hervor.

Mädchen sind empathischer

Unterschieden nach Geschlechtern haben die Mädchen besser abgeschnitten, berichtete Studienleiter Professor Holger Ziegler bei der Vorstellung der Untersuchungsergebnisse in Berlin. Während die männlichen Jugendlichen zu 44 Prozent auf Werte wie Gemeinschaftssinn pfeifen, tun dies nur 21 Prozent der Mädchen.

„Die Daten deuten darauf hin, dass wir es hier nicht mit einem Randgruppenphänomen zu tun haben“, sagte Ziegler. Das Prinzip der Solidargemeinschaft als Grundlage für eine gelingende Gesellschaft laufe Gefahr zu kippen.

Themen wie Inklusion, Diversität und Nachhaltigkeit drohen ins Hintertreffen zu geraten. Anderen Kindern oder Jugendlichen zu helfen oder etwas mit ihnen zu teilen, ist demnach nicht mehr selbstverständlich. 36 Prozent der Jugendlichen lehnte es zum Beispiel ab, etwas zu teilen. „Selbst schuld“ lautete eine Standardantwort von 70 Prozent der Befragten, wenn sie mit Problemen anderer konfrontiert wurden. „Wenn ein anderes Kind Probleme hat und ich nicht schuld bin, ist mir das egal“, hieß es dann zum Beispiel.

Es nimmt daher nicht wunder, dass „mobbingartige Ausprägungen von Verhalten“ schon im Kindesalter auftreten. Ein Viertel der Befragten gab an, mit mobbingähnlichen Situationen Erfahrungen zu haben.

Die Kinder und Jugendlichen sollten zum Beispiel auf Aussagen wie: „Es nimmt mich mit, wenn ein Tier verletzt wird“ oder „Es macht mich traurig, wenn jemand niemanden zum Spielen findet“ reagieren. 76 Prozent der Jungen ließen diese Aussagen weitgehend kalt, bei Mädchen blieben dagegen nur 31 Prozent empathielos.

Chauvinismus und das Abwerten von Randgruppen grassieren schon in jungen Jahren. „Wir nehmen in unserer Gesellschaft zuviel Rücksicht auf Versager“, lautete eine häufig geäußerte Ansicht. Offen sprachen die jungen Menschen auch vom unterschiedlichen Wert von Bevölkerungsgruppen. 36 Prozent der Jungen und 22 Prozent der Mädchen äußerten sich dahingehend.

Laut Studie entwickeln sich Empathie und solidarisches Verhalten der Befragten unabhängig vom sozioökonomischen Status ihrer Familien. Blicke man aber nur auf negative Entwicklungen, zeigten sich Unterschiede. So neigen 50 Prozent der Jugendlichen aus armen Familien stärker dazu, Minderheiten abzuwerten. Jugendliche von reicher Herkunft taten dies nur zu 16 Prozent.

Armut macht härter

„Kinder und Jugendliche, die in einem belasteten Umfeld aufwachsen, lernen möglicherweise das gesellschaftliche Wertesystem nicht kennen, können weder adäquat an ihm teilhaben noch es selbst in ihrem jetzigen und späteren Leben anwenden“, kommentierte Bernd Siggelkow, Gründer des Kinder- und Jugendhilfswerks „Arche“. Für die Studie wurden von Dezember 2018 bis Februar 2019 618 Kinder und 353 Jugendliche befragt.

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