Internationaler Tag der Linkshänder

Zurück zur starken Hand

Wenn Linkshänder mit rechts schreiben, kann das schwerwiegende Folgen haben, wie etwa Konzentrationsschwierigkeiten oder Depressionen. Eine Rückschulung auf links kann aus Expertensicht helfen – auch noch im hohen Alter.

Von Anja Sokolow Veröffentlicht:
7-Jährige schreibt mit links: Der Tag der Linkshänder ist am 13. August.

7-Jährige schreibt mit links: Der Tag der Linkshänder ist am 13. August.

© Harald07 / stock.adobe.com

BERLIN/MÜNCHEN/BEELITZ. An die Schulzeit hat die Linkshänderin Marina Neumann keine guten Erinnerungen. „Es hieß damals: Alle schreiben mit rechts. Wer das nicht tat, bekam eine Ohrfeige“, erzählt die 67-jährige gebürtige Bielefelderin. So wie ihr ging es vielen anderen Linkshändern. Das Umschulen auf die vermeintlich richtige rechte Hand war üblich. „Ich quälte mich jahrzehntelang mit rechts durchs Leben“, sagt Neumann.

Vor fast 20 Jahren dann die Wende: Der Bericht einer Betroffenen über eine Rückschulung auf links motivierte die Psychotherapeutin, es selbst zu wagen. „Ich habe mir mein eigenes Programm zusammengestellt und ganz behutsam und langsam mit links schreiben gelernt. Das war unglaublich gut, hilfreich und entspannend. Die Rückschulung war für mich eine körperliche und psychische Befreiung“, erzählt sie. Das Thema wurde zu ihrer Berufung. Seit Jahren bietet Neumann nun schon Rückschulungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene an.

Noch bis in 1990er gelebte Praxis

„Noch bis in die 1990er Jahre wurden viele linkshändige Kinder auf rechts umgeschult“, berichtet die Leiterin der Ersten deutschen Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder in München, Johanna Barbara Sattler. Heute sei eher das Nachahmungsverhalten von Kindern, die von ihrer rechtshändigen Umwelt lernen und versuchen, sich anzupassen, ein Thema. Dadurch könne es passieren, dass sich Linkshänder selbst auf rechts umschulen.

Zudem gelte in einigen islamischen Ländern die linke Hand als unrein. „Damit darf man sich zwar den Po abwischen, aber nicht essen oder schreiben“, so Sattler. Kinder aus solchen Familien würden oft umgeschult. Problematisch sei auch, dass das Wissen, wie man Linkshändigkeit erkennt und fördert, bei Erziehern und Pädagogen oft fehle, so die Psychotherapeutin.

Genaue Zahlen über den Linkshänderanteil in der Bevölkerung gibt es nicht. „Die statistischen Angaben schwanken stark und reichen von niedrigen Prozentsätzen bis zur Hälfte der Bevölkerung“, sagt Sattler, die davon ausgeht, dass Linkshändigkeit genetisch bedingt ist.

„Massiver Eingriff ins Gehirn“

Bei Linkshändern sind Teile der rechten Hirnhälfte stärker ausgeprägt, bei Rechtshändern der linken. Wenn Linkshänder die rechte Hand und damit die linke Hirnhälfte stärker nutzen, kann das auch psychische Folgen haben, sagt Sattler, die seit den 1980er Jahren zum Thema forscht. Die Umschulung der angeborenen Händigkeit beschreibt die Autorin zahlreicher Bücher und Lehrmaterialien als „einen der massivsten Eingriffe in das menschliche Gehirn ohne Blutvergießen“. Zu den direkten Folgen können demnach starke Erschöpfung, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten, oder auch Links-Rechts-Unsicherheit, feinmotorische Störungen und Sprachstörungen zählen. „Diese Probleme setzen sich bei vielen Menschen in unterschiedliche weitere Dinge um, zum Beispiel Minderwertigkeitskomplexe, Verhaltensstörungen, den Drang zur Überkompensation, Rückzug und emotionale Probleme wie Depressionen bis ins Erwachsenenalter“, so die Psychologin.

Der Internationale Tag der Linkshänder am 13. August soll auf die Probleme von Linkshändern aufmerksam machen und Verständnis für die oft unter Vorurteilen leidenden Betroffenen wecken. Von Problemen weiß auch der 55-jährige Christian Dausien aus dem brandenburgischen Beelitz zu berichten. „Ich kannte jahrelang keine Pause, habe immer nur gearbeitet und gearbeitet.“ Er sei einfach nicht zur Ruhe gekommen. Vor sieben Jahren ließ er sich von Marina Neumann auf Links zurückschulen. Sein Leben hat sich seitdem verändert: Der ehemalige Kaufmann lebt jetzt als Holzkünstler seine Kreativität aus. „Ich kann davon leben und bin insgesamt viel zufriedener und entspannter“, freut er sich.

„Viele finden nach einer Rückschulung zu ihren wahren Interessen. Ich habe bei ganz vielen Erwachsenen miterlebt, dass sie noch einmal studiert oder den Beruf gewechselt haben, weil sie plötzlich wussten, wo sie hinwollten“, so Neumann. Dies sei aber oft ein längerer Prozess. Bei Kindern stellten sich oft schnell Erfolge ein: „Sie können sich besser konzentrieren, werden viel ruhiger und leistungsstärker in der Schule“, berichtet die Therapeutin. Ihr bislang ältester Klient war 77 und kam extra aus Hannover angereist. „Er wollte mehr mit sich ins Reine kommen“, erzählt sie. Bei dem Mann hätten sich die Schlafstörungen gelegt.

Barbara Sattler empfiehlt nicht jedem eine Rückschulung. „Das hängt stark vom Einzelfall ab. Menschen mit Multipler Sklerose oder Epilepsie würde ich beispielsweise nicht zurückschulen“, sagt sie. Die Krankheiten könnten sich noch vertiefen. Sie habe schon Fälle gehabt, in denen eine Rückschulung nicht geglückt sei. „Ich empfehle immer auch, während der Rückschulung der Händigkeit eine Psychotherapie zu machen, denn die Veränderungen sind sehr komplex.“ Sattler hat ein Netzwerk von Linkshänder-Beratern in ganz Deutschland aufgebaut, die nach einer von ihr entwickelten Methode arbeiten.

„Anfangs war auch ich sehr vorsichtig. Aber wenn die erzwungene Rechtshändigkeit die Ursache der Probleme ist, sollte man sie angehen“, ist hingegen Marina Neumann überzeugt. Mit ihrem Buch „Natürlich mit links“ will sie anderen Menschen Mut machen.

Auf jeden Fall muss man sich Zeit nehmen - da sind sich beide einig. „Sonst bleibt es etwas Halbes, die Automatisierung der Schrift und des Denkens wird nicht genügend gefestigt“, betont Sattler. (dpa)

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