Massage, Laser und Laufband

Was macht eigentlich ein Tierphysiotherapeut?

Immer häufiger suchen Tierbesitzer nach dem Tierarzt noch einen Tierphysiotherapeuten auf. Was lange eine Nische war, nähert sich nun dem Standard der Humanmedizin an.

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Tierärztin Barbara Esteve Ratsch (rechts) behandelt in der Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität zusammen mit Hundehalterin Christine Hirschberger im Zentrum für Tiermobilität Rosi: Die Hündin hat einen Nervenschaden.

Tierärztin Barbara Esteve Ratsch (rechts) behandelt in der Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität zusammen mit Hundehalterin Christine Hirschberger im Zentrum für Tiermobilität Rosi: Die Hündin hat einen Nervenschaden.

© Sven Hoppe / dpa

MÜNCHEN. Auf den ersten Blick ähnelt der Raum einer normalen Praxis für Physiotherapie: Auf dem Boden liegt eine Gymnastikmatte, daneben bunte Bälle in verschiedenen Größen und Formen, zwei Wackelbretter, in der Ecke ein Laufband. Doch neben den Gerätschaften liegen hier Leckerli parat, im Gang duftet es nach Stroh, und aus den Nachbarräumen hört man Hunde bellen und Katzen miauen.

Sie sind die Patienten, für die dieser Raum in München geschaffen wurde. In einem deutschlandweit einzigartigen Pilotprojekt werden sie mit allen Möglichkeiten der Tierphysiotherapie behandelt – und damit ganz ähnlich wie ein kranker oder verletzter Mensch.

Bei der Physiotherapie hinken die Fachleute in Deutschland hinterher. „Das ist eine relativ junge Spezialisierung“, berichtet Tierärztin und Tierphysiotherapeutin Barbara Esteve Ratsch vom Zentrum für Tiermobilität der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. In den USA, Skandinavien oder den Niederlanden sei man da schon viel weiter, auch in Portugal, Spanien und Italien sei die Behandlung durch Tierphysiotherapeuten wesentlich verbreiteter als hierzulande.

Die Medizinische Kleintierklinik der LMU will deshalb aufholen – und bindet die Tierphysiotherapie erstmals in Deutschland ganz eng an die anderen Disziplinen der Veterinärmedizin an. So werden die Tiere von einem Team an Spezialisten unterschiedlichster Fachrichtungen versorgt – und bei Bedarf auch von Physiotherapeuten behandelt.

Beispielfall: Rosi

So auch Rosi, ein elf Jahre alter Labrador-Mischling. Sie bekam nach ihrer Operation noch auf der Intensivstation Physiotherapie, wie Besitzerin Christine Hirschberger erzählt. Der Familienhund war bei einem Ausflug in den Englischen Garten in einen Bach gesprungen – und nicht mehr aus eigener Kraft hinausgekommen. „Da hat mein Mann sie aus dem Wasser geholt. Beine und Schwanz hingen ganz schlapp hinunter“: ein Rückenmarksinfarkt.

Es folgte das ganz große Programm: Kernspin, Operation, Medikation, Rehabilitation. Mit Erfolg: Rosi behielt nur einen vergleichsweise leichten Nervenschaden zurück. Er äußert sich unter anderem darin, dass sie mit dem linken Hinterbein manchmal falsch auftritt, die Körperwahrnehmung undifferenziert ist und der Muskel unkontrolliert zuckt. Auch kann sie sich mit dem linken Bein nicht mehr hinterm Ohr kratzen – weshalb sie Hirschberger vertrauensvoll den Kopf hinhält, wenn es juckt. Die 42-Jährige fängt daraufhin sofort das Kraulen an.

Die beiden sind ein eingespieltes Team und verstehen sich ähnlich instinktiv wie eine Mutter mit ihrem Kind. „Das war von Anfang an eine ganz innige Beziehung. Und über die Zeit wurde das enger und enger“, schildert die Juristin, die viel zu Hause arbeitet und den Hund daher meist um sich hat.

Für Hirschberger und ihren Mann stand deshalb nie zur Debatte, dass Rosi die Behandlung bekommt, die sie benötigt, auch wenn die junge Familie inzwischen schon viele Tausend Euro für Op, Physio und die Behandlung auf einem Unterwasserlaufband bezahlt hat. Aktuell wird Rosi nur vorbeugend mit Physiotherapie behandelt, was im Münchner Zentrum ungefähr 80 Euro pro einstündiger Einheit kostet. „Die Rosi gehört genauso dazu wie alle anderen, deshalb ist es uns so wichtig, dass sie auch im Alter fit bleibt“, erklärt Hirschberger.

Berufsbild nicht geschützt

Der Trend, ältere Hunde präventiv gegen Altersbeschwerden zu behandeln, spiegelt sich deutlich in der Branche wider, auch wenn diese sonst sehr uneinheitlich ist.

„Im Prinzip kann sich jeder ein Schild an die Tür nageln und sagen, ab morgen bin ich Tierphysiotherapeut“, schildert Brigitte Wiedemann vom Bundesverband zertifizierter Tierphysiotherapeuten. Das Berufsbild ist gesetzlich nicht geschützt. Es gibt weder einen einheitlichen Ausbildungsplan noch bundesweit verbindliche Prüfungsinhalte.

So reicht die Qualifikation eines Tierphysios von einem Kurs mit zwölf Wochenenden über Online-Lehrgänge ohne Tierkontakt bis hin zu international anerkannten Ausbildungen, die berufsbegleitend über drei Jahre hinweg andauern und wochenlange Praxiseinheiten vorschreiben. „Heutzutage ist es so, dass die ganze Bandbreite der Physiotherapie, die man auch beim Menschen kennt und anwendet, auch beim Tier angewendet wird“, erläutert Wiedemann die lange Dauer. So werden unter anderem Laser, Ultraschall und Stoßwellen eingesetzt, aber auch Akupunktur sowie manuelle Techniken.

Entsprechend wichtig ist es, dass der Behandelnde weiß, was er tut. „Bei vielen Behandlungsmethoden fehlt es noch an untermauernden Studien“, erläutert Esteve Ratsch. Sie und ihre Kollegen von der LMU hoffen deshalb, dass sich ihre Erkenntnisse nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre rasch niederschlagen – und damit der Standard der Tierphysiotherapie in Deutschland gehoben wird. (dpa)

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