Kandidat für den Springer Medizin CharityAward 2012: MediNetz Düsseldorf

Medizinische Hilfe für "Illegale"

Veröffentlicht:

Sie haben keine gültige Aufenthaltserlaubnis und trauen sich daher nicht, zum Arzt zu gehen. Sonst droht ihnen die Abschiebung. MediNetz Düsseldorf kümmert sich ehrenamtlich um die medizinische Versorgung von Menschen ohne Papiere.

Von Jonas Tauber

Mit Plakaten wirbt MediNetz um Spenden.

Mit Plakaten wirbt MediNetz um Spenden.

© Flüchtlingsinitiative Stay! e.V.

Die Frau aus Zentralafrika ist zwischen 45 und 49 Jahren alt gewesen und Ende 2010 in der Sprechstunde von MediNetz aufgetaucht.

Sie litt schon länger an einer Augenerkrankung. Aber aus Angst davor, dass die Düsseldorfer Ausländerbehörde auf ihre Spur kommen könnte, war sie bisher nicht zum Arzt gegangen.

Der MediNetz-Arzt schickt sie zu einer Augenärztin, die mit der Initiative zusammenarbeitet. Die Diagnose: Grauer Star. Die Patientin musste dringend operiert werden, sonst drohte die Erblindung.

Um die Kosten von 2500 Euro aufzutreiben, initiierte die Fachärztin eine Spendenaktion unter Freunden und Bekannten. Mit Erfolg: Die Patientin wurde operiert und wieder gesund.

Eine Sprechstunde für "Papierlose"

MediNetz bietet seit 2009 jeden Dienstagabend eine zweistündige medizinische Sprechstunde für Menschen ohne Aufenthaltsrecht an. Ein Team aus einem Arzt, einem Medizinstudenten und einer Krankenschwester untersucht die Patienten und vermittelt sie an niedergelassene Ärzte und Kliniken.

MediNetz macht keine Behandlungen. Gehen "Papierlose" einfach in eine öffentliche Klinik, riskieren sie eine Abschiebung. Denn das Sozialamt als ihr Kostenträger muss die Ausländerbehörden über Identität und Aufenthaltsort von "Illegalen" informieren.

Entsprechend große Hemmungen haben Betroffene, zum Arzt zu gehen. Das merkt auch MediNetz. "Die Leute kommen leider sehr spät zu uns", sagt Dr. Alex Rosen, der MediNetz Düsseldorf mit gegründet hat.

"Bei Armbrüchen etwa ist die Verletzung oft drei Monate alt, frische Verletzungen oder gerade ausgebrochene Krankheiten sehen wir kaum."

15 bis 20 Ärzte, Medizinstudierende und Krankenschwestern bilden die Kernmannschaft von MediNetz. Sie kooperieren mit vier Kliniken, 30 Arztpraxen, einigen Physiotherapeuten, Hebammen und Psychotherapeuten. Rosen zufolge vermittelte MediNetz 2011 rund 200 Bedürftige zur Behandlung. Überdurchschnittlich häufig waren es Schwangere.

Für die Vermittlung füllen die Mitarbeiter eine Bescheinigung aus, die ähnlich wie eine Überweisung funktioniert. Darauf steht, welche Beschwerden der Patient hat, wer sich bei MediNetz um ihn gekümmert hat und an welchen Arzt er sich wenden soll.

"Das ist für uns eine Kleinigkeit, aber für Menschen in dieser Situation die Rettung", sagt Rosen. "Mit diesem Papier können sie ohne Furcht zum Arzt gehen und bekommen eine Behandlung."

Die meisten Ärzte helfen auch ohne Bezahlung

MediNetz Düsseldorf

Das MediNetz Düsseldorf entstand 2009 unter dem Dach der Flüchtlingsinitiative "Stay". Damals wussten Medizinstudenten von ähnlichen Angeboten in Deutschland und stellten Bedarf für die eigene Region fest.

MediNetz bietet Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung Zugang zu medizinischer Behandlung, ohne dass ihnen dadurch die Abschiebung droht. Dafür vermittelt die Initiative sie an kooperierende Ärzte, Physiotherapeuten und Hebammen, die ihre Arbeitszeit nicht berechnen.

So konnten 2011 die für MediNetz ehrenamtlich tätigen Ärzte, Medizinstudenten und Krankenschwestern 200 "Papierlosen" helfen. MediNetz sucht Partner aus Chirurgie und Gynäkologie.

www.stay-duesseldorf.de

Nach den Erfahrungen der Initiative scheitert die Behandlung von Menschen ohne Versicherungsschutz in den meisten Fällen nicht am Arzt, sondern an der Klinikverwaltung oder der Sprechstundenhilfe in der Praxis.

"Wenn ein bedürftiger Mensch vor einem Arzt steht, würde der in den meisten Fällen helfen - egal, ob er bezahlt wird oder nicht", sagt Rosen. "Aber die meisten Papierlosen scheitern an der Verwaltungshürde."

Der Grund: ohne Kostenträger keine Behandlung. MediNetz hilft diese Hürde zu nehmen, indem die Ärzte die Betroffenen an Kollegen vermitteln, die auf ihre Bezahlung verzichten und sonstige Kosten, wie für Material oder Laboruntersuchungen, günstig berechnen.

Mittellosen Patienten hilft MediNetz mit Spendengeldern. "Wenn Menschen nicht in der Lage sind, zu bezahlen, verhandeln wir mit dem Arzt oder der Klinik oder wir machen einen Spendenaufruf", erklärt Rosen. So sei das nötige Geld immer schnell und zuverlässig zusammengekommen.

Laut Rosen zielt MediNetz eigentlich darauf, sich überflüssig zu machen. Die Arbeit der Anlaufstelle sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein, letztlich sei eine politische Lösung notwendig. "Die grundlegende Lösung wäre, dass diese Leute einen legalen Status bekommen", sagt Rosen.

"Unsere Gesellschaft profitiert von diesen Menschen, die Arbeiten erledigen, die bei uns niemand machen will." Dazu gehörten Beschäftigungen in der Altenpflege, der Gastronomie, der Kinderbetreuung oder am Flughafen.

Eine denkbare Übergangslösung für die medizinische Versorgung von Menschen ohne Aufenthaltsrecht ist ein anonymer Krankenschein, sagt Rosen. Den könnten Betroffene bekommen, wenn bei einer Untersuchung akuter Bedarf festgestellt wird.

Die Kosten könnte dann eine zentrale Stelle mit Landesmitteln finanzieren. MediNetz spricht derzeit mit Landtagspolitikern aus Nordrhein-Westfalen über ein entsprechendes Pilotprojekt für Düsseldorf, Bochum und Bonn.

Schlagworte:
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.

© Rolf Schulten

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System