Herzensthema Palliativmedizin

"Eigentlich arbeiten wir für das Leben"

Tania Pastrana ist in Kolumbien aufgewachsen und arbeitet in Aachen. Als Präsidentin der Lateinamerikanischen Gesellschaft für Palliative Care setzt sie sich für die Sterbeversorgung von Menschen in Süd- und Mittelamerika ein – und will eine Brücke zu Europa sein.

Von Katrin Berkenkopf Veröffentlicht:
Eine Lebensaufgabe: Dr. Tania Pastrana will die palliativmedizinische Versorgung in ihrer lateinamerikanischen Heimat verbessern.

Eine Lebensaufgabe: Dr. Tania Pastrana will die palliativmedizinische Versorgung in ihrer lateinamerikanischen Heimat verbessern.

© Christian Bellmann

KÖLN. Wenn Tania Pastrana lacht, muss man mitlachen. So herzlich und ansteckend ist ihre positive Ausstrahlung. Dabei ist ihr oft gar nicht zum Lachen zumute, wenn es um ihr Herzensthema Palliativmedizin geht. Sogar weinen musste sie anfangs, erzählt sie, als ihr damals klar wurde, wie es um die Situation in ihrer Heimat und den anderen Ländern Lateinamerikas bestellt ist.

Sie beschloss zu kämpfen, für eine bessere Versorgung der Menschen. Und am Ende wurde Pastrana, die promovierte Medizinerin und Medizin-Soziologin von der Uniklinik Aachen, Präsidentin der Lateinamerikanischen Gesellschaft für Palliative Care (ALCP).

Zwei Millionen Menschen in Lateinamerika sterben jährlich, ohne palliativmedizinisch versorgt zu werden, obwohl es ihre Leiden lindern würde. Doch nur ein Prozent der Bevölkerung hat Zugang zur entsprechenden Versorgung. Weitere zwei Millionen könnten als chronisch Kranke von Palliativmedizin profitieren.

Solche Zahlen sind es, die Tania Pastrana antreiben. "Die Leute denken, wir arbeiten für den Tod. Aber eigentlich ist es für das Leben", sagt die 50-Jährige. "Wenn es um globale Gesundheit geht, ist nichts auf der Welt ungleicher verteilt als der Zugang zu Palliativmedizin und Schmerzmitteln." Dabei war auch ihr lange nicht klar, welchen Nachholbedarf Lateinamerika bei diesem Thema hat.

Medizin allein reicht ihr nicht

Pastrana ist in Kolumbien aufgewachsen, studierte dort Medizin und arbeitete anschließend in einer Praxis. Dort habe sie Menschen auch palliativmedizinisch versorgt, aber rein intuitiv, nicht gegründet auf ihre Ausbildung. Denn an den Unis in Lateinamerika spielte palliativmedizinische Versorgung keine Rolle. Die Medizin genügte ihr aber bald nicht mehr. "Ich wollte die sozialen Prozesse verstehen."

Pastrana beschloss, Soziologie zu studieren, und zwar in Deutschland. Sie ging nach München, promovierte dort im Bereich medizinische Anthropologie und Psychosomatik. Dann wurde sie auf ein Forschungsprojekt an der Uniklinik Aachen aufmerksam und ging 2007 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an die dortige Klinik für Palliativmedizin.

Schnell kam sie auf internationalen Kongressen in Kontakt mit Kollegen aus Lateinamerika. "Das hat mir gezeigt, wie anders die Situation dort ist". Die Ärztin überlegte, wie sie die Forschung von ihrer neuen Arbeitsstelle in Deutschland aus unterstützen könnte. So kam sie zur Mitarbeit an einem Atlas der palliativmedizinischen Versorgung in Lateinamerika. "Manchmal habe ich beim Tippen geweint."

Weil Palliativmedizin in den Curricula der medizinischen Fakultäten keine Rolle spielt, wissen selbst die jungen Ärzte kaum Bescheid über das Thema. Dazu kommen gesetzliche Hürden: Entgegen allen gängigen Vorurteilen über die leichte Verfügbarkeit von Drogen auf dem Kontinent, sei der Zugang zu Opioiden für die Bevölkerung in Lateinamerika extrem eingeschränkt. In vielen Ländern gibt es keine Krankenversicherung, sodass die Medikamente außerdem für Normalverdiener fast unerschwinglich teuer sind.

Beispiele für die Not der Menschen kennt sie viele: In der ganzen Dominikanischen Republik sind Opioide nur in drei Kliniken erhältlich. In Ecuador gib es erst seit kurzem Morphin auch oral, vorher war es nur in Ampullen erhältlich, obwohl die noch teurer sind. Eine Ärztin aus Bolivien berichtete ihr unter Tränen, dass ihre onkologische Klinik seit einem Jahr nicht mehr an Opioide kommt, sie die Schmerzen ihrer Patienten nicht lindern kann.

Und auch in ihrer eigenen Familie konnte Pastrana die Probleme sehen: Trotz ihres Wissens und ihrer Verbindung gab es Schwierigkeiten, ihre Oma am Ende ihres Lebens mit Morphium zu versorgen. Der Hausarzt wollte damit nichts zu tun haben.

Auch der Papst hört ihr zu

Die ALCP gibt es bereits seit 2001, sie hatte aber lange kaum Einfluss, sagt Pastrana. 2016 übernahm sie als Kolumbianerin mit Wohnsitz in Deutschland die Präsidentschaft. Sie hatte sich selbst um den Posten beworben. Seitdem lenkt sie deren Geschicke von Aachen aus, und bei ihren Reisen in die Region – 14 Länder hat sie in den ersten zwei Jahren besucht.

"Ich fühle mich wie eine Brücke", erklärt sie ihre Rolle. Skeptiker gab es auf beiden Seiten, in Lateinamerika und in Aachen. Dort geht sie weiterhin ihrer täglichen Arbeit nach, betreut 14 Doktoranden, ist regelmäßig in der Klinik, weil sie den Kontakt zu den Patienten nicht verlieren will. Denn um die geht es schließlich.

Nebenbei muss sie auf der anderen Seite der Erde die nationalen Schmerzmedizin-Gesellschaften vernetzen und stärken, Politiker und Mediziner an einen Tisch bringen, Unterstützung der WHO einwerben.

Auch Papst Franziskus konnte sie ihr Herzensthema vortragen. "Er hat sich begeistert gezeigt und gesagt, das ist sehr wichtig", berichtet Pastrana. Sein Wort wiederum hilft in Lateinamerika, wo der Einfluss der katholischen Kirche groß ist und sie viele Krankenhäuser und Unis betreibt.

Bis 2020 läuft ihre ALCP-Präsidentschaft. Was ihre Pläne für die weitere Zukunft angeht, so will sie sich noch nicht festlegen. Sie fühlt sich wohl in Aachen. Aber Lateinamerika, die Heimat, lässt sie nicht los. Was, wenn dort eines Tages endlich eine Professur für Palliativmedizin eingerichtet wird, wäre das nicht ihr Traumjob? Sie lächelt.

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