"Als Arzt hatte man damals noch Renommee"

1982: Die Niederlassung auf dem Land war ohne die Segnungen der modernen Technik tatsächlich noch abenteuerlich. Wirtschaftlich allerdings war das Risiko geringer als heute.

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Der Start vor 30 Jahren: Allgemeinarzt Dr. Ernst Reiser schraubt das neue Praxisschild an (links). Die Patienten in Isny akzeptierten "den Neuen" schnell.

Der Start vor 30 Jahren: Allgemeinarzt Dr. Ernst Reiser schraubt das neue Praxisschild an (links). Die Patienten in Isny akzeptierten "den Neuen" schnell.

© privat

Manchmal fallen Entscheidungen, die für das weitere Leben bestimmend sind, auf etwas skurrile Art: "Sind Sie Raucher?"

Mit dieser Frage wurde Allgemeinarzt Dr. Ernst Reiser schon an der Haustür konfrontiert, als er sich im Frühjahr 1982 in Isny im Allgäu bei einem Hausarzt um die Praxisnachfolge bewarb.

Reisers Antwort: "Nein, Nichtraucher!" Das war entscheidend, denn vor allem die Ehefrau des Vorgängers sei nicht gut auf Raucher zu sprechen gewesen und wollte nicht, dass die Praxis an einen Raucher verkauft wird.

"Ich wollte unbedingt da hin"

Notarzt kommt vor Hausarzt

Dr. Ernst Reiser

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Als Dr. Ernst Reiser 1982 seine Praxistätigkeit als Facharzt für Allgemeinmedizin aufnahm, gab es in Isny noch kein Notfallsystem. Da er zuvor in Ellwangen als Krankenhausarzt auch bereits im Notarztwagen gefahren war, bot er seine Dienste auch im Allgäu dem Roten Kreuz an. "Wenn der Piepser anschlug, musste es schnell gehen", berichtet Reiser. Und zwar zur Sprechstundenzeit. Da sei es durchaus vorgekommen, dass 20 Patienten im Wartezimmer für eine Stunde oder mehr warten mussten, bis er wieder zurückkam.

Erst acht Jahre später wurde dann ein Notarztsystem eingeführt. Mittlerweile fährt Reiser keine Noteinsätze mehr. Denn auch das war Teil der Arbeitszeit. (ger)

Der Allgemeinarzt war auf eine Anzeige hin mit dem Auto den damals noch beschwerlichen Weg von Ellwangen an der Jagst nach Isny gefahren, um dort auszuloten, ob er die Praxis übernehmen wolle. "Die Gegend und die Stadt sind so schön, ich wollte unbedingt da hin", erinnert sich Reiser.

Es folgten schwierige Verhandlungen und eine Urlaubsvertretung. Der Zulassungsausschuss war damals noch kein Problem. Schließlich passte alles: Am 1. Oktober 1982, der zugleich der erste Erscheinungstag der "Ärzte Zeitung" war, übernahm Reiser die Hausarztpraxis des ausscheidenden Kollegen.

Der weitere Verlauf ist typisch für Praxisübernahmen: 600 "Scheine" hatte der Vorgänger im Quartal. Schnell konnte Reiser die Patientenzahl fast verdoppeln.

Das wirtschaftliche Risiko der Niederlassung habe er stark empfunden, erzählt er, eigentlich aber waren die Sorgen unnötig, wie er im Rückblick sagt: "Damals waren wir in Isny halb so viele Ärzte. Außerdem waren mit der Einzelleistungsvergütung zum festen Punktwert von zehn Pfennig die Honorare viel besser zu kalkulieren als heute."

Die Kosten blieben im Rahmen: Für den Goodwill zahlte Reiser damals 35.000 DM, hinzu kamen die Geräte, allein das Sono 40.000 DM. Insgesamt habe er sich 1982 mit etwa 125.000 DM verschuldet. Eigenkapital habe er damals "keinen Pfennig" gehabt, aber das sei "kein Problem" gewesen.

Präsenzpflicht von Montag früh bis Samstag früh

"Als Arzt hat man damals noch Renommee gehabt, der Bank reichte eine Lebensversicherung als Sicherheit." Der größere Finanzierungsbrocken kam einige Jahre später, als er die Praxisimmobilie übernehmen musste. Reiser: "Vor zwei Monaten war endlich alles abbezahlt, jetzt ist das Haus schuldenfrei."

Bei Hausbesuchen hatte sein Vorgänger Standards gesetzt: "Fast die Hälfte der Arbeitszeit" sei er auf Besuch gewesen, in Altersheimen, aber auch in abgelegenen Tälern. Und das war manchmal richtig abenteuerlich: Unten im Tal stellte er das Auto ab und stapfte im Winter mit Stöcken schon mal 15 Minuten durch hohen Schnee, bis er beim Patienten war.

Auch sonst brachte die Tätigkeit als Hausarzt 1982 noch manche Unannehmlichkeit mit sich, zum Beispiel die Präsenzpflicht: "Wir mussten von Montag früh bis Samstag früh erreichbar sein, da hat die KV keine Kompromisse zugelassen, das war eine absolute Verpflichtung."

Und das zu Zeiten, als es noch keine Handys gab. Schließlich legte Reiser sich eine Funkanlage zu, damit er wenigstens unterwegs erreichbar war. Erst später habe man sich unter Kollegen auf eine Vertretung an Abenden geeinigt. "Da konnte man dann auch mal ins Kino gehen." (ger)

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