GKV-Strukturreform - kein Gesetz gegen Ärzte

Nach mehr als einem Jahr gründlicher Vorarbeiten legt das Bundesarbeitsministerium einen umfassenden Entwurf für eine erste Strukturreform der GKV vor. Der Plan: weitreichende Änderungen im Kassenarztrecht - und der erste wirksame Schlag gegen die Pharma-Industrie.

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Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) bringt im Dezember 1987 die erste GKV-Strukturreform auf den Weg. Für ihn wird daraus der Slogan: "Die Pflege kommt!"

Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) bringt im Dezember 1987 die erste GKV-Strukturreform auf den Weg. Für ihn wird daraus der Slogan: "Die Pflege kommt!"

© dpa

Bonn. 3. Dezember 1987. Bundesarbeitsminister Norbert Blüm und sein für die Krankenversicherung zuständiger Abteilungsleiter Ministerialdirektor Karl Jung stellen in Bonn den Referentenentwurf für das Gesundheitsreform-Gesetz (GRG) vor.

Es ist die erste echte Strukturreform für das deutsche Gesundheitssystem seit den 50er Jahren, aber auch ein knallhartes Kostendämpfungsgesetz, mit dem Anspruch, 14,3 Milliarden DM binnen drei Jahren einzusparen.

Und noch eine Neuerung: Das gesamte Krankenversicherungsrecht, das seit 75 Jahren in der Reichsversicherungsordnung (RVO) geregelt war, wird in einem eigenen Sozialgesetzbuch V, dem SGB V, neu kodifiziert.

Weniger Norbert Blüm als vielmehr seine rechte Hand Karl Jung haben mit dieser Reform deutsche Sozialgeschichte geschrieben.

Einstieg in die Pflegeversicherung: Erstmals enthält das Gesetz Leistungen bei Pflegebedürftigkeit; dafür sind insgesamt bis zu sechs Milliarden DM vorgesehen. Im ersten Schritt sollen ambulante Pflegeleistungen von den Krankenkassen als Teil-Kasko-Versicherung finanziert werden. Für Blüm wird das zum Slogan der folgenden Jahre: "Die Pflege kommt."

Reformen für Ärzte: Steigenden Arztzahlen will die Bundesregierung durch eine Änderung der Kapazitätsverordnung entgegenwirken; die Zahl der Medizinstudenten soll sinken. Auf eine Zwangspensionierung von Kassenärzten wird verzichtet. Aber Seiteneinsteiger, etwa aus Behörden, sollen keine Zulassung mehr erhalten. Die einjährige Vorbereitungszeit nach der Approbation für angehende Kassenärzte bleibt erhalten.

Außerdem sollen den Kassenärzte für die Verordnung von Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln sowie für Kuren und Fahrtkosten globale Orientierungsdaten vorgegeben werden. Werden diese verfehlt, folgen Wirtschaftlichkeitsprüfungen.

Festbeträge für Arzneimittel: Sie sind das "Herzstück der Reform", wie das Norbert Blüm immer wieder betont hat. Aus der Sicht von Karl Jung beginnt für die pharmazeutische Industrie damit "die Vertreibung aus dem Paradies" - die Branche selbst wähnt sich auf dem Höllentrip.

Die Festbeträge für Arzneimittel sind bis heute ein Rekord-Sparmodell für die gesetzlichen Krankenkassen: Die Einsparungen kumulieren sich seit ihrer ersten Realisierung Mitte 1989 bis heute auf rund 42 Milliarden Euro.

Der Hintergrund: Im Laufe der 80er Jahre war nach Patentablauf von Originalarzneimitteln ein Markt für Nachahmer entstanden. Obwohl diese Generika billiger waren als die Originale, bleiben viele Ärzte den alten Marken treu.

Diese Preisunterschiede wollte Karl Jung zugunsten der Kassen egalisieren. Der Bundesausschuss sollte bestimmen, welche Arzneimittel mit welchen Wirkstoffen in einer Gruppe zusammengefasst werden können; die Kassen sollten gemeinsam und einheitlich den Festbetrag festsetzen.

Alle juristische Gegenwehr der Industrie war letztlich vergeblich: 2002 scheiterten Klagen von Herstellern von dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof. Späte Genugtuung für Karl Jung.

Kurze Beine hatte allerdings das Kostendämpfungskonzept des GRG. Gerade einmal ein Jahr - 1989 - hellten sich die GKV-Bilanzen auf.

Dann brachen alle Dämme. Nicht zuletzt auch wegen der bewussten Förderung billiger Festbetragsarzneien, die es ohne Zuzahlung gab. Blüms Erbe trat 2001 Horst Seehofer an - der Exekutor der Budgets. (HL)

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