10 Jahre nach der Einheit - "Optimal ist es im Leben nie..."

Wie haben Menschen, vor allem aus Ostdeutschland, die ersten zehn Jahre nach der Wiedervereinigung erlebt und gemeistert? Das wollte die "Ärzte Zeitung" im Jahr 2000 wissen. Fazit: Es ist nicht alles rund gelaufen, aber die positiven Urteile überwiegen deutlich.

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Bilanz nach zehn Jahren deutscher Einheit: Betroffene sagen ihre Meinung.

Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung ist die Zahl spannender Geschichten und Lebensläufe unermesslich. Die "Ärzte Zeitung" will wissen, wie bekannte und weniger bekannte Ärzte den Wandel erlebt haben, der ihr vorheriges Leben auf den Kopf stellte.

Und die Bereitschaft über die Erfahrungen zu berichten - in eigenen Texten, Interviews oder redaktionellen Gesprächen - ist riesengroß.

So beschrieb unter anderem Dr. Sabine Bergmann-Pohl - bis 1990 Lungenfachärztin in der DDR - wie schnell sie ihre Hoffnung begraben musste, gleichzeitig Ärztin und Politikerin sein zu können.

 "Die Abgeordneten wählten mich im April 1990 zur Volkskammerpräsidentin. Meine Hoffnung, trotz Präsidentenamts wenigstens einen Tag in der Woche in meiner Praxis weiter arbeiten zu können, zerplatzte bereits am zweiten Tag meines parlamentarischen Daseins in der Turbulenz der Ereignisse. Die Arbeit der Volkskammer war von einem ungeheuren Tempo und Arbeitspensum geprägt. In kürzester Zeit mussten die Rahmenbedingungen für die Wiedervereinigung Deutschlands geschaffen werden", schrieb Bergmann-Pohl in einem Gastbeitrag für die Sonderausgabe der "Ärzte Zeitung". Sie war nach den ersten gesamtdeutschen Wahlen Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium geworden.

Einigungsprozess im Gesundheitswesen kommt gut voran

Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung zeigt sich die CDU-Politkerin überzeugt: "Es gibt wenige gesellschaftliche Bereiche, in denen der Einigungsprozess solche Erfolge gezeitigt hat wie im Gesundheitswesen."

Zu einer ganz anderen, wenn auch sehr differenzierten Einschätzung kommt dagegen der habilitierte Arzt und Biochemiker Jens Reich in seinem Beitrag für die "Ärzte Zeitung". Seiner Auffassung nach befindet sich das deutsche Gesundheitswesen im Jahr 2000 "in einem desaströsen organisatorischen Zustand", so Reich.

"Die großen Player der Gesundheitspolitik, Regierung und Pharmaindustrie, die Kassen, Träger und die ambulanten und klinischen Ärzteverbände, sind in hartnäckigem Clinch und arbeiten vorwiegend gegeneinander", bilanziert der ehemalige Bürgerrechtler.

"Und trotzdem: Wer wollte ernsthaft bestreiten, dass das technische und pflegerische Versorgungsniveau ungleich besser ist als zu DDR-Zeiten. Hier wäre es angebracht, die allzu lauten Klagen mit den Eingaben zu vergleichen, in denen sich im Herbst 1989 die Empörung von Ärzten und Pflegepersonen Luft machte, als im ganzen Land der desolate Zustand von Kliniken offenbar wurde."

Hildebrandt bedauert das Aus der Polikliniken

Ein gleichfalls sehr differenziertes Bild vom Stand des Gesundheitswesens zehn Jahre nach der Einheit zeichnet im Interview mit der "Ärzte Zeitung" Regine Hildebrandt, die neun Jahre in Brandenburg Gesundheitsministerin war.

"Wären das tolle Versorgungssystem der BRD und das Betreuungssystem der DDR für Diabetiker zusammengekommen, wäre das optimal gewesen. Aber optimal ist es im Leben offensichtlich nie...", sagte Hildebrandt, die nur ein Jahr später einem Krebsleiden erlag.

"Es war für mich ganz schwierig und belastend, dass wir es nicht geschafft haben, die Polikliniken in einem breiten Maße zu erhalten. Wir hatten knapp 20 Polikliniken in Brandenburg, darunter einige wirklich zukunftsträchtige", so Hildebrandt.

Mit der Gesundheitsreform 2003 lebten die Idee einer stärkeren Kooperation und die Integration angestellter Ärzte in die vertragsärztliche Versorgung auf: mit der Schaffung von Medizinischen Versorgungszentren.

Aber anders als in der DDR nicht in Hand von Staat und Kommunen, sondern in der Trägerschaft von Ärzten und Kliniken. (chb)

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