Fischer stolpert über BSE - Schmidt wird Ministerin

Im Januar 2001 begann die gesundheitspolitische Ära der Ulla Schmidt. Kein Gesundheitsminister vor ihr blieb so lange im Amt wie die Aachenerin. Sie hat einiges bewegt. Nicht immer zur Freude der Ärzte.

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Bilder, die Bände sprechen: Das Amt schüchterte Andrea Fischer ein, Ulla Schmidt ließ sich von niemandem einschüchtern.

Bilder, die Bände sprechen: Das Amt schüchterte Andrea Fischer ein, Ulla Schmidt ließ sich von niemandem einschüchtern.

© dpa

Berlin, 12. Januar 2001. Aus den Händen von Bundespräsident Johannes Rau nimmt Ulla Schmidt ihre Ernennungsurkunde zur Bundesgesundheitsministerin in Empfang.

Einer größeren Öffentlichkeit ist die 51 Jahre alte Aachenerin zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Das wird sich in den folgenden acht Jahren ändern.

Kein Gesundheitsminister vor ihr war so lange im Amt, wie die gelernte Sonderpädagogin. Schmidt hatte sich aber in der SPD-Fraktion bereits einen Namen als Rentenexpertin gemacht und war so auch Bundeskanzler Gerhard Schröder aufgefallen.

Schmidts Ernennung war der Rücktritt der Grünen Andrea Fischer vorausgegangen. Ihr waren Fehler im Umgang mit der BSE-Krise vorgeworfen worden.

Mit Fischer schied auch Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke aus dem Kabinett aus, der im Zusammenhang mit BSE die weitaus schlechtere Figur abgegeben hatte.

Für die damals 40 Jahre alte Volkswirtin war der Abschied aus dem Amt ein Karriereknick, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat, wie sie erst kürzlich in der Fernsehdokumentation "Schlachtfeld Politik" berichtete.

Fischer wurde vor der Amtsübernahme als stets lächelnde, unbefangene und offene Politikerin beschrieben. Von der Härte, die sie im politischen Geschäft erlebt hat, ist sie bis heute gezeichnet.

Davon konnten sich auch Zuschauer der Sendung "Hart aber fair" kürzlich überzeugen. Wegweisende gesundheitspolitische Entscheidungen verbinden sich mit ihrer Amtszeit kaum.

Schmidt hat an den Grundfesten gerüttelt

Vielleicht wäre das Leben der Grünen ganz anders verlaufen, wenn nach der Bundestagswahl im Jahr 1998 der SPD-Sozialexperte Rudolf Dressler Gesundheitsminister geworden wäre.

Der lag aber nicht auf Schröder-Linie. Andrea Fischer fehlte aber auch in ihrer eigenen Fraktion die gesundheitspolitische Expertise und der Rückhalt.

Im Laufe der Jahre entwickelte ihre Nachfolgerin ein ganz anderes Format und rüttelte an Grundfesten des Gesundheitssystems. Sie lehrte Ärzte schon bald das Demonstrieren. Unter Ulla Schmidt bekam das Kollektivvertragssystem erste Löcher.

Hausarztverträge wurden massiv forciert, Selektivverträge für Fachärzte möglich, die Zahl der integrierten Versorgungsverträge flaute nach dem Auslaufen der Anschubfinanzierung zwar wieder etwas ab, aber eine ganze Reihe erfolgreicher Verträge gibt es immer noch.

Ulla Schmidt führte Disease Management Programme für chronisch Kranke ein und ließ die Gründung Medizinischer Versorgungszentren zu, in denen angestellte Ärzte ambulant arbeiten können.

Für viele junge Ärzte, die nicht das wirtschaftliche Risiko der Freiberuflichkeit eingehen wollen, eine Alternative. Praxen fürchteten eher Konkurrenz.

Mit der Rheinländerin verbindet sich auch die Einführung des Mammografie-Screenings sowie der Aufbau des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Medizin. (chb)

Die Rinderseuche BSE in Deutschland

Juni 2000. Der EU-Lenkungsausschuss erklärt Deutschland zum BSE-Risikogebiet. Das Bundeslandwirtschaftsministerium erklärt, Deutschland sei BSE-frei.

1. Oktober. Risikomaterial aus Rindern, Ziegen und Schafen darf EU-weit nicht mehr verwertet werden. Dazu zählen Gehirn, Rückenmark, Augen und Mandeln. Deutschland hatte sich bei der Abstimmung im Ministerrat der Stimme enthalten.

November 2000. BSE-Krise in Frankreich. Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) erklärt wiederholt, deutsches Fleisch sei sicher und Deutschland BSE-frei.

24. November. Erstmals wird bei einem deutschen Rind BSE entdeckt.

26. November. EU-Kommissar David Byrne wirft Deutschland vor, wichtige Maßnahmen gegen BSE blockiert zu haben.

1. Dezember. Bundestag und Bundesrat stimmen einem Eilgesetz für ein Tiermehlverbot zu. Gesundheitsministerin Andrea Fischer schreibt in einer Verordnung Pflichttests an allen geschlachteten Rindern über 30 Monaten vor.

19. Dezember. Andrea Fischer hält Wurst für sicher. Einen Tag später empfiehlt die Gesundheitsministerin eine Rückrufaktion älterer Wurstprodukte, da sie Risikomaterial enthalten könnten. Bis zu diesem Zeitpunkt sind fünf BSE-Fälle bestätigt.

29. Dezember. Schröder beauftragt die Präsidentin des Bundesrechnungshofs, Hedda von Wedel, mit einer Schwachstellenanalyse zur BSE-Krise.

5. Januar 2001. Streit um die Zukunft der Landwirtschaft. Funke lehnt radikale Wende in der Agrarpolitik ab.

8. Januar. Bayern will bei einem BSE-Fall nicht mehr automatisch alle Tiere der Herde töten. Der sechste BSE-Fall in Bayern wird bestätigt.

9. Januar. Die Minister Funke und Fischer treten zurück. Zum zehnten Mal wird BSE bei einem Rind in Deutschland nachgewiesen.

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