Von der Ärzteschwemme zum Ärztemangel

Über viele Jahre galt vor allem für junge Ärzte ein Motto: Durchhalten. Die Konkurrenz war groß und die Arbeitsbedingungen waren schlecht. 2001 wendete sich das Blatt. Der Ärztemangel nahm konkrete Formen an. Um Ärzte wird heute geworben.

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Praxisnachfolger werden leider oft vergeblich gesucht.

Praxisnachfolger werden leider oft vergeblich gesucht.

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Berlin, September 2001. Jahrelang war von der Ärzteschwemme die Rede, jetzt schlägt plötzlich zunächst "Der Spiegel" mit der Schlagzeile "In den neuen Bundesländern werden die Ärzte knapp" Alarm und kurz darauf der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Jörg-Dietrich Hoppe.

In vier Jahren werde es zu wenig Hausärzte, Orthopäden, Neurologen und Dermatologen geben.

Einer der Gründe: Ältere Ärzte scheiden in immer größerer Zahl, auch wegen der beruflichen Belastung aus, immer weniger junge Ärzte finden die Arbeit in der ambulanten Patientenversorgung attraktiv.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung warnte Hoppe davor, den Sicherstellungsauftrag der ärztlichen Selbstverwaltung zugunsten von Wettbewerb auszuhöhlen.

"Wenn Ärzte knapp werden, dann bestimmen sie die Bedingungen. Das kann die soziale Gesundheitsversorgung gefährden."

Die Indizien dafür, dass sich die Verhältnisse am ärztlichen Arbeitsmarkt fundamental wandeln, verstärkten sich: Die Zahl der Studenten hatte um 10.000 auf 95.000 abgenommen, die der Ärzte im Praktikum war binnen fünf Jahren um ein Viertel auf 14.300 gesunken.

Attraktivität verloren

Die Zahl der neu approbierten Ärzte von 13.000 sechs Jahre zuvor auf 9000 im Jahr 2000 zurückgegangen; und davon arbeiteten nur noch 6000 in der Patientenversorgung. Gleichzeitig hatten die Engpässe in der Weiterbildung zugenommen.

Die Bundesärztekammer befürchtete, dass es Defizite bei der Versorgung von chronisch Kranken geben könnte.

Hoppe schloss nicht aus, dass ab dem Jahr 2005 die flächendeckende Versorgung gefährdet sein könnte, vor allem in jenen Fachgruppen, die für die Versorgung chronisch Kranker und für die Geriatrie zuständig seien.

Während Krankenkassen und Politiker weiter glaubten, es gebe immer noch eine Ärzteschwemme und daraus schlussfolgerten, die Zahl der Ärzte müsste weiter begrenzt werden, hatte sich der Trend längst umgekehrt.

Viele Einflüsse wirkten dabei in die gleiche Richtung: Der Arbeitsmarkt für Ärzte hatte sich fundamental gewandelt. Der Medizinerberuf generell an Attraktivität verloren: Binnen sechs Jahren sank die Zahl der Studenten von 95.000 auf 85.000, die der Approbationen war von 13.000 im Jahr 1994 auf 9000 im Jahr 2000 zurückgegangen.

Davon waren mit etwa 6000 Ärzten weniger Mediziner als je zuvor in der Patientenversorgung tätig geworden. Erstmals wurde damit der Ersatzbedarf nicht mehr ganz gedeckt.

Fehlender Nachfolger

Zu erahnen war schon damals, dass sich das Problem schnell verschärfen würde. Denn der Anteil der Ärzte, die zwischen 50 und 60 Jahre alt waren und in den nächsten zehn bis 15 Jahren in den Ruhestand gehen wollten, war groß.

Dass die Situation vor allem in den ländlichen Gebieten der ostdeutschen Bundesländer dramatisch werden würde, war abzusehen. Viele Ärzte, die mit 50 Jahren oder noch älter unter dem Zwang des Wandels nach der Wende in die freie Niederlassung gegangen waren, standen bereits am Ende ihres Berufslebens.

Der Nachwuchs fehlte, weil der Umsatz der Praxen nie ausreichte, Weiterbildungsassistenten zu beschäftigen.

Konsequenz daraus: die Praxen sind bis heute unverkäuflich, weil es keine entsprechend qualifizierten (Fach-)Ärzte gibt oder weil junge Ärzte nicht nur die ostdeutschen ländlichen Regionen meiden, sondern auch nicht in die Eifel oder in den Bayerischen Wald wollen.

Hoppe prophezeite im Jahr 2001, dass ab Mitte des Jahrzehnts Ärzte für Allgemeinmedizin, Dermatologie Neurologie und Orthopädie fehlen würden. Dabei ist es nicht geblieben.

In vielen ländlichen Regionen Deutschlands fehlen heute Ärzte jeglicher Fachrichtung, Hausärzte allerdings im besonderen. Und auch von den Krankenkassen wird längst nicht mehr bestritten, dass es in vielen Regionen Deutschlands zu wenig Ärzte gibt.

Neue Lösungen gegen den Ärztemangel

Mittlerweile ist einiges passiert, um den Ärztemangel in den Griff zu bekommen. Zum Teil haben Krankenhäuser, Landkreise oder Kassenärztliche Vereinigungen kreative Ideen entwickelt, zum Teil wurde auf politischer Ebene nach Lösungen gesucht.

Zuletzt mit dem zum Jahresbeginn 2012 in Kraft getretenen Versorgungsstrukturgesetz.

Nun kann zum Beispiel für Ärzte in unterversorgten Gebieten die Mengenbegrenzung entfallen. Zudem können Preiszuschläge für besonders förderungswürdige Leistungen in strukturschwachen Gebieten vereinbart werden.

Gefördert werden können auch mobile Versorgungskonzepte sowie Vernetzungen und Kooperationen von Ärzten. Bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Arznei- und Heilmittelbereich soll verstärkt der Grundsatz Beratung vor Regress gelten.

Um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erreichen, können sich Vertragsärztinnen nach einer Entbindung zwölf statt sechs Monate vertreten lassen.

Flexibilisiert wurde außerdem die Bedarfsplanung. Planungsbereiche müssen seit Jahresbeginn nicht mehr unbedingt Stadt- und Landkreisen entsprechen.

Die Opposition kritisierte das Versorgungsgesetz scharf. Nur finanzielle Anreize würden nicht dazu führen, Ärzte aufs Land zu locken, so Sozialdemokraten und Grüne. (chb)

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