Vogelgrippe auf Weltreise - Chaos auf Rügen

Katastrophenalarm, Einsatz der Bundeswehr, Ausgehverbote für Katzen, Hunde und Hühner: Fast drei Monate hält die Vogelgrippe Deutschland in Atem - und offenbart vor allem ein beispielloses Kompetenzgerangel.

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Bundeswehreinsatz in Zeiten der Vogelgrippe: Soldaten tüten die Reste eines toten Schwans auf einem Feld bei Waase auf der Insel Rügen ein.

Bundeswehreinsatz in Zeiten der Vogelgrippe: Soldaten tüten die Reste eines toten Schwans auf einem Feld bei Waase auf der Insel Rügen ein.

© dpa

FEBRUAR 2006. Eigentlich war ja genug Zeit, sich auf den Ernstfall vorzubereiten: Sieben Jahre hat sich die Vogelgrippe nur für Südostasien interessiert, dort einige hundert Millionen Hühner und Enten getötet sowie einige hundert Menschen.

Dann bricht das Virus 2005 zu einer Weltreise auf, macht sich zunächst über den Rest von Asien her und ist zum Jahreswechsel 2006 am Bosporus.

In Deutschland gibt man sich zu dieser Zeit jedoch recht gelassen: Zwar hat man im Herbst 2005 eine Stallpflicht für Geflügel eingeführt, aus Angst, nach Süden ziehende Wildvögel könnten das Virus übertragen, aber kurz vor Weihnachten wird diese Maßnahme wieder aufgehoben, der Vogelzug ist ja vorbei.

Tote Schwäne in Gewässern um Rügen

So ahnt niemand etwas Böses, als Anfang Februar ungewöhnlich viele tote Schwäne in den Gewässern um Rügen dümpeln. Irgendwann wird mal auf H5N1 getestet, es dauert Tage, bis ein Ergebnis vorliegt, es dauert weitere Tage, bis die toten Tiere endlich eingesammelt werden, weil es an Schutzausrüstung mangelt.

Und es dauert im Nachhinein vielen viel zu lange, bis die Behörden endlich Katastrophenalarm auslösen - eine Voraussetzung dafür, dass der Bund Hilfe leisten kann.

Und die kommt dann ganz gewaltig: Ein Spezialtrupp der Bundeswehr riegelt alle Zufahrtswege zur verseuchten "Schutzzone" auf Rügen ab: Wer mit dem Fahrzeug raus will, muss erst die Reifen in Desinfektionswannen dekontaminieren. Soldaten in Vollschutzanzügen räumen endlich die Kadaver weg - Szenen wie aus einem Horrorfilm.

Großes Kino auch in der Politik: Zunächst in Form von Agrarminister Horst Seehofer, der sich persönlich auf Rügen ein Bild und die Seuche zur Chefsache macht, dabei mit dem Finger auf den Landesminister Till Backhaus zeigt, worauf dieser die zuständigen Landrätin als Hauptschuldige für das zögerliche Handeln identifiziert.

Es folgt ein beispielloses Kompetenzgerangel zwischen Landkreisen, Ländern und Bund, wer was tun darf und soll, zugleich wird das Federvieh wieder prophylaktisch eingesperrt, selbst Katzen und Hunde dürfen nicht mehr ohne Leine in befallenen Landkreisen herumstreunen, nachdem sich eine Katze an Vogelkadavern infiziert hat.

Die Menschen reagieren derweil gelassener als zunächst vermutet: Nur wenige Schnupfenkranke suchen einen Arzt auf, weil sie sich als Opfer der Seuche wähnen. Die Botschaft, nur ein direkter Kontakt mit kranken oder toten Tieren ist gefährlich, kommt an.

Leitfaden für Ärzte herausgegeben

Vorsorglich gibt das Robert Koch-Institut einen Leitfaden für Ärzte heraus, um die Diagnose zu erleichtern. In Deutschland erkrankt jedoch kein Mensch an H5N1, drei Geflügelzüchter begehen Suizid, angeblich, weil die Vorsorgemaßnahmen sie in den Ruin getrieben haben.

Im April verschwindet das Virus. Die Bilanz des Friedrich-Loeffler-Instituts, zuständig für Tierseuchen: Bei 305 Wildvögeln, drei Hauskatzen und einem Marder ließ sich H5N1 nachweisen, ein Geflügelbetrieb in Sachsen war befallen, in vielen weiteren wurde der Bestand vorsorglich gekeult.

Ende 2007 kommt es erneut zu lokalen Ausbrüchen, erst im Frühjahr 2008 gilt Deutschland als vogelgrippefrei - ein Jahr, bevor die Schweinegrippe für Angst und Behördenchaos sorgt. (mut)

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