WSG bringt Morbi-Orientierung

Gesundheitsfonds, Morbi-RSA, zentralisierte Honorarverhandlungen, weitere Aushöhlung des KV-Monopols - selten wurde eine Reform derart schmerzhaft geboren wie das Wettbewerbs-Stärkungsgesetz 2007.

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Angela und Edmund - nur Narren im Karneval hatten Spaß an der Reform.

Angela und Edmund - nur Narren im Karneval hatten Spaß an der Reform.

© dpa

15. JANUAR 2007. Es ist vollbracht: Nach etlichen Nachtsitzungen ist ein Kompromiss zwischen den beiden Parteien der großen Koalition für eine gemeinsame Gesundheitsreform gefunden.

Den vier Sitzungen der Koalitionsspitzen ging ein wahrer Sitzungsmarathon im Jahr 2006 voraus.

Am Ende sieht sich jeder als Sieger: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck wertet den Gesundheitsfonds als "Einstieg in die Bürgerversicherung", nach Meinung von CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla der "Einstieg in die Prämie".

Für die Betroffenen im Gesundheitswesen ist der Fonds dagegen ein noch unbekanntes bürokratisches Monster.

Fonds mit zwei Kernaufgaben

Der Kern und der Wert der Reform bleiben zunächst weitgehend unerkannt und von den Reformern ob des schmerzhaften Entscheidungsprozesses auch kaum erklärt.

Erst im Krisenjahr 2009, in dem der 2007er Finanzcrash in die Realwirtschaft durchbricht, werden die Vorteile des Gesundheitsfonds sichtbar: Er schützt das Gesundheitswesen und die medizinische Versorgung vor dem schärfsten Konjunktureinbruch der Nachkriegszeit.

Zwei Kernaufgaben hat der Fonds: Er sammelt von den Kassen die Beiträge, die nun nach einem Einheitssatz erhoben werden, und den staatlichen Steuerzuschuss, der Jahr für Jahr steigen soll, und verteilt diese Mittel erstmals auch nach der bei den Kassen versicherten Morbidität.

Das wird es im Krisenjahr 2009 ermöglichen, zusätzliche Steuern systematisch ins Kassensystem einzuschleusen und damit die Gesamtwirtschaft zu stabilisieren.

Morbiditätsorientierung

Zugleich wird damit der politische Paradigmenwechsel deutlich: Der Gesetzgeber hat sich von der einnahmenorientieren Ausgabenpolitik gelöst - zugunsten einer Morbiditätsorientierung.

Das gilt im Prinzip auch für die Vertragsärzte: Bis zur letzten Minute des Gesetzgebungsverfahrens hat die KBV unter der Verhandlungsführung von Andreas Köhler für den Ausbruch aus dem Honorardeckel gekämpft.

Auf der Habenseite stehen: ein prospektiv vereinbarter Punktwert, eine Gesamtvergütung, deren Weiterentwicklung sich nach der Morbidität bemisst (als Regelleistungsvolumen) und nicht gedeckelte Vergütungen. Der Nachteil: alles zentralisiert.

Die Konsequenz: erhebliche regionale Verwerfungen, die in der Folgezeit mühselig korrigiert werden müssen.

Apropos Stärkung des Wettbewerbs: Ulla Schmidt setzte durch, dass die Verhandlungsposition der Hausäzte gestärkt wurde.

Bis spätestens Mitte 2009 sollten die Kassen flächendeckend Hausarztverträge abschließen, und zwar primär mit dem Hausärzteverband. Der KBV KVen schmeckte das gar nicht. (HL)

Eckpunkte der Gesundheitsreform

Gesundheitsfonds: Der Fonds ist das Kernstück der Reform. Ab 2009 soll er als Sammelstelle der GKV-Beiträge werden. Dazu kommt ein Steuerzuschuss von zunächst drei Milliarden Euro. Der Beitragssatz wird per Rechtsverordnung vom Ministerium festgelegt. Die Kassen erhalten Zuweisungen aus dem Fonds entsprechend der Morbidität ihrer Versicherten.

Honorarreform: Bis 2009 muss das Honorarsystem reformiert sein. Elemente: prospektiv vereinbarte Punktwerte, morbiditätsbedingte Gesamtvergütung, freie Leistungen.

Kosten-Nutzen-Bewertung: Die seit 2004 geltende Nutzenbewertung von Arzneimitteln wird zur Kosten-Nutzen-Bewertung erweitert.

Basistarif in der PKV: Ab 2009 muss die PKV einen Basistarif anbieten, der im Leistungsumfang vergleichbar mit der GKV ist. Ziel: eine bezahlbare Versicherung für ehemalige PKV-Versicherte, die keinen Schutz haben.

Spitzenverbände: Die verschiedenen Spitzenverbände der Krankenkassen auf Bundesebene werden zum Spitzenverband Bund zusammengefasst. Er schließt bundesweite Verträge ab und vertritt die Kassen im GBA. Kassenübergreifende Fusionen werden möglich.

Gemeinsamer Bundesausschuss: Der Vorsitzende und die beiden unparteiischen Stellvertreter arbeiten künftig hauptamtlich. Auch ändert sich der Beratungsmodus.

Vertragsvielfalt: Mit dem Gesetz wird klar, dass der Kollektivvertrag weiter ausgehöhlt wird. Nicht nur die KV, auch Verbände können mit Kassen verhandeln.

Neue Leistungen: Die spezielle ambulante palliativmedizinische Versorgung wird GKV-Leistung. Die Einzelheiten bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss.

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