Von der "Missgeburt" zum Rettungsschirm

Der Gesundheitsfonds spaltet die Akteure im Gesundheitswesen: Kann die neue kollektive Geldsammelstelle die Finanzierung der gesetzlichen Kankenkassen lösen? Die Kritiker der ersten Stunde sind inzwischen verstummt -  der Fonds zeigt in der Krise Wirkung.

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7. OKTOBER 2008: 15,5 Prozent - diesen einheitlichen Beitragssatz für die gesetzliche Krankenversicherung hat das Bundeskabinett festgesetzt.

Mit den Geldern wird künftig der Gesundheitsfonds gespeist, der ab dem 1. Januar 2009 starten soll. Neun von zehn GKV-Mitgliedern werden damit zum Teil deutlich höhere Beiträge als bisher zahlen müssen.

Die Idee zu dem Fonds wurde in den Verhandlungen der großen Koalition zur Gesundheitsreform 2007 vom Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Kauder geboren.

Damit sollten unter anderem die grundsätzlich unterschiedlichen Vorstellungen von Union und SPD zur Zukunft der GKV -  Kopfpauschale und Bürgerversicherung -  unter einen Hut gebracht werden.

Rürup: "Missgeburt"

Schon in einer ersten Erklärung sagte ein damals sehr junger FDP-Bundestagsabgeordneter: "Die schwarz-rote Koalition geht den Weg einer massiven Steuererhöhung."

Und: Der Gesundheitsfonds ist "bürokratisch" -  das sagte Daniel Bahr, damals noch gesundheitspolitischer Sprecher auf der Oppositionsbank.

Die Attribute, die den Fonds seit der Idee, bei der Festlegung des Beitragssatzes und auch in der Folgezeit begleiten, sind wenig schmeichelhaft.

"Missgeburt" -  so beschimpfen sich sonst nur Rüpel auf dem Schulhof. Doch ehrenwerte Professoren wie der einstige Wirtschaftsweise Bert Rürup griffen zu dieser Bewertung - dabei war das Modell ein neuer Schritt in der GKV-Finanzierung.

Während Rürup vor allem die wenig wettbewerbsfördernden Effekte der Härtefallregelung kritisierte, befürchteten Politiker aus Bayern und Baden-Württemberg eine Umverteilung von Mitteln aus ihrer Region in den mit einer höheren Morbidität belasteten Nordosten der Republik.

Doch die große Koalition zur Finanzreform blieb trotz massiver Kritik aus Kassenkreisen standhaft. Danach legt die Bundesregierung in einer Rechtsverordnung einen einheitlichen Beitragssatz fest. Der beträgt insgesamt 15,5 Prozent, wovon die Arbeitgeber 7,3 Prozentpunkte übernehmen.

Die paritätische Finanzierung ist damit endgültig perdu. Über die Kassen, die weiterhin den Beitragseinzug besorgen, fließt alles Geld an den Gesundfonds. Die Beiträge werden im Fonds mit einem Bundeszuschuss angereichert.

Dieser soll jedes Jahr um 1,5 Millionen Euro steigen, so der Plan des Wettbewerbsstärkungsgesetzes. Die 25 Mitarbeiter, die den Gesundheitsfonds von Bonn aus verwalten, weisen den Krankenkassen anhand der Morbidität ihrer Versicherten Gelder zu.

Zusatzbeiträge bleiben die Ausnahme

Doch was passiert, wenn das Geld nicht reicht? Dann - so erlaubt es das Wettbewerbsstärkungsgesetz -  können Krankenkassen Zusatzbeiträge erheben. Der - auch "kleine Kopfpauschale" genannt" -  darf allerdings nur maximal ein Prozent des Einkommens eines Versicherten betragen.

Die ersten Kassen müssten 2010 einen Zusatzbeitrag erheben, darunter auch die DAK. Anders als von vielen Wissenschaftlern prognostiziert, bleibt die Erhebung von Zusatzbeiträgen die Ausnahme.

Zum Leidwesen der Kassen, deren Liquidität eng war. Bei diesen Kassen sorgten auch kleine Zusatzbeiträge für Kündigungen.

Seinen Härtetest bestand der Fonds gleich im ersten Jahr seiner Existenz: 2009 schlug die Finanzkrise von 2007 in die Realwirtschaft in - das Sozialprodukt sank um fast fünf Prozent.

Die damalige große Koalition reagierte darauf mit kühler Vernunft: Sie senkte den Beitragssatz vorübergehend, um Wirtschaft und Konsumenten zu entlasten und schleuste über den Fonds fehlendes Geld aus dem Bundeshalt in die Gesundheitswirtschaft.

Konjunkturell wirkte das stabilisierend. Nicht zuletzt die Vertragsärzte haben davon profitiert. Das Krisenjahr 2009 war der Start einer Vergütungsreform, die den niedergelassenen Ärzte ein teils zweistelliges Plus brachte. (bee/HL)

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