Zeitzeugen berichten: Professor Ludwig Georg Braun

Neue Technik für effiziente Abläufe und bessere Medizin

Innovative Medizintechnik und Medizinprodukte sind die Voraussetzung dafür, dass gute Medizin für die breite Bevölkerung bezahlbar bleibt. Welche Rolle der Wettbewerb dabei spielt, erläutert Professor Ludwig Georg Braun, langjähriger Vorstand von B.Braun Melsungen, im Interview.

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Professor Ludwig Georg Braun

Neue Technik für effiziente Abläufe und bessere Medizin

© B.Braun Melsungen AG

Aktuelle Position: Aufsichtsratsvorsitzender des Medizinprodukte-Herstellers B.Braun Melsungen, zahlreiche Ehrenämter.

Werdegang/Ausbildung: geb. 1943, Ausbildung zum Bankkaufmann, betriebswirtschaftliche Studien, Eintritt ins Unternehmen.

Karriere: ab 1977 Vorstandsvorsitzender im Familienunternehmen, DIHK-Präsident 2001-2009.

Privates: verheiratet, 5 Kinder, Braun ist praktizierender Christ.

Ärzte Zeitung: Herr Professor Braun, von 1977 bis 2010 haben Sie das Unternehmen B.Braun Melsungen geleitet und damit über eine ganze Generation hinweg. Was hat sich in der Medizintechnik- und Medizinprodukte-Industrie in dieser Zeit verändert?

Ludwig Georg Braun: Es gab eine Revolution in der Leistungsfähigkeit der medizinischen Apparate: Ende der 70er Jahre waren die Medizintechnik-Hersteller noch sehr an die Mechanik gebunden, es gab in der Produktion bei B.Braun einen hohen Anteil exzellenter Glasbläserkunst, um die nötige Präzision zu erreichen.

Das alles ist abgelöst worden von moderner Elektronik, Leiterplatten, Chips in verschiedenen Stufen. Kunststoffe lösten Glas als Werkstoff bei den Medizinprodukten ab, der Trend hin zu Einmalprodukten begann. Dazu kommen Trends wie Miniaturisierung, Schlüsselloch-Chirurgie, neue bildgebende Verfahren - es hat sich unglaublich viel verändert.

Ärzte Zeitung: B.Braun hat den Umsatz seit 1982 von 460 Millionen auf 4,6 Milliarden Euro vervielfacht. Woher dieses Wachstum?

Braun: Die Produktionsprozesse sind in den vergangenen 30 Jahren stark automatisiert worden. Dadurch wurde die Produktion kapitalintensiv, was wiederum entsprechende Mengenstrukturen verlangt. Das hat letztlich zu einer Konzentration auf wenige große Wettbewerber geführt - denen aber auch eine Konzentration durch Einkaufskooperationen, Klinikketten und Beschaffungsportale gegenübersteht.

B.Braun hatte in den 70er Jahren ein Durchschnittsalter im Vorstand von 37 Jahren, wir haben damals sehr früh auf neue Technik gesetzt und investiert. Dadurch konnten wir so stark wachsen. Vieles wird immer noch in Melsungen produziert, aber wir können sagen, dass unser Heimatmarkt Europa ist.

Ärzte Zeitung: Sie leben als Medizinproduktehersteller von Innovationen. Dabei entstehen Innovationen doch eher in kleineren Strukturen. Wie bringen Sie beides zusammen?

Braun: Echte Innovatoren sind tatsächlich nur schwer einzubinden in Konzernstrukturen. Investitionen von elf Milliarden Euro für einen neuen Wirkstoff sind außerhalb jeder sinnvollen Proportion, da gibt es dann einen wahnsinnigen Druck. Deshalb gibt es Innovationen häufig in Spin-offs der Universitäten. Wir versuchen, die Kreativität der Gründer einzubinden in kleine Projekte und kleine Arbeitsgruppen.

Bisher haben wir es so geschafft, innovativ zu bleiben. Aber wir beteiligen uns auch an kleinen Unternehmen und helfen so bei der Finanzierung von Innovationen. Kleine Unternehmen können viel erreichen, das zeigt zum Beispiel die Knorpelzüchtung. Da haben es kleine Unternehmen geschafft, das bis zur klinischen Einsetzbarkeit zu bringen und beachtliche Umsätze zu erzielen.

Ärzte Zeitung: Ärzte klagen oft über die Ökonomisierung der Medizin. Sie haben als DIHK-Präsident immer wieder mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen gefordert. Können Ärzte, die im Wettbewerb stehen, weiterhin zuerst ihren Patienten verpflichtet sein?

Braun: Wettbewerb fördert Kreativität und Effizienz. Ohne Wettbewerb ist die weitere Verbesserung medizinischer Behandlungen oder Therapien gefährdet. Und dann gibt es in reifen Märkten mit wenig Wachstum keine gute Medizin zu bezahlbaren Preisen mehr. Auch in der Medizin muss sich der Bessere durchsetzen können. Durch höhere Zahlen bei Operationen wird zudem die Qualität gesteigert.

Ärzte Zeitung: Wie lässt sich ein Wettbewerb organisieren, der nicht auf Kosten der Patienten geht?

Braun: Entscheidend ist eine gut organisierte Führung. Die unterschiedlichen Klinikträger sind da ein gutes Beispiel. Die privaten Klinikketten erwirtschaften ein höheres EBITDA als zum Beispiel die kommunalen Träger. Aber kümmern sie sich deswegen weniger um die Patienten? Sie bezahlen ihre Mitarbeiter relativ gut, sie applizieren exzellente Medizin nach den geltenden Leitlinien.

Hier macht wirklich die gute Führung den Unterschied aus. Oder nehmen Sie das Uniklinikum in Marburg und Gießen: Im Uniklinikum Gießen herrschte eine beinahe chaotische Situation, von - ich glaube - zwölf OP-Räumen war die Mehrzahl vom Gewerbeaufsichtsamt gesperrt, der bauliche Zustand vieler Abteilungen fast desolat. Wir wissen, dass nur ein Neubau die Lage grundlegend zugunsten der Patienten und der Mitarbeiter verändern kann. Seit seiner Privatisierung steht das Uniklinikum Marburg/Gießen dank hoher Investitionen seitens der Betreiber deutlich besser da als ehedem.

Ärzte Zeitung: B.Braun ist ein Unternehmen, das durch Innovationen gewachsen ist. Wie kann in einer älter werdenden Gesellschaft auch in Zukunft Innovation bezahlbar bleiben?

Braun: Innovationen müssen bezahlbar bleiben, keine Frage. Aber es muss auch faire Lösungen für die Hersteller geben. Eine Möglichkeit wäre es, zur Einführung ein Pre-Market-Approval zu haben: In dieser Zeit könnte der Hersteller das gleiche Preisniveau bekommen wie das Vorgängerprodukt. Dann könnte es breit angelegte Studien geben, um den Nutzen festzustellen.

Wenn es einen Zusatznutzen gibt, dann könnte der Hersteller einen Innovationsaufschlag bekommen - mit dem dann die Investitionen in die nächste Produktgeneration bezahlt werden könnten. Aber nicht immer ist das Neue besser als bewährte alte Methoden, und ein geringer Nutzenzuwachs kann sicher keine hohen Preisaufschläge rechtfertigen. Das Unternehmen kann dann ja immer noch entscheiden, ob das Produkt auf den Markt kommt oder nicht.

Ärzte Zeitung: Wie hat sich seit 1982 die Versorgung der Patienten durch moderne Medizintechnik verbessert?

Braun: Nicht alles, was herausragt, ist spektakulär: Die Computertechnik ermöglicht heute eine gesteuerte Infusionstherapie, neue Module erlauben es, während der Infusion den Blutzucker zu messen. Auch in der Dialyse gibt es da große Fortschritte, die es erlauben, eine potenzielle Gefährdung eines Patienten zu erkennen.

Spektakulärer sind Fortschritte wie die computergestützte Navigation bei Knieendoprothesen, die immer präziser werdende Endoskopie, MRT als bildgebendes Verfahren. Die Apparatemedizin wird ja viel gescholten, aber wer sie braucht, ist dankbar. Heute können wir viel schwerere Fälle in Operationen beherrschen als früher. Das ist eine tolle Entwicklung.

Ärzte Zeitung: Wohin wird sich die Medizin weiterentwickeln? Wo erwarten Sie die spannendsten Innovationen?

Braun: Wir werden bei Medizinprodukten immer mehr von Einzelprodukten zu Produktsystemen kommen. Das ist auch Basis für eine kostengünstige Medizin, weil es die Abläufe in der Klinik effizienter macht. Es wird noch mehr personalisierte Medizin geben, eine schnellere Diagnostik und gezielt einsetzbare Wirkstoffe.

Die Nachzüchtung von Knorpelgewebe wird es ermöglichen, Sportdefekte individualisiert auszugleichen. Der Knorpel wächst ein wie eigenes Gewebe. Es wird selbststeuernde Insulinpumpen geben, und wir werden Restfähigkeiten von Nerven besser nutzen können, sodass Blinde besser als heute wenigstens Konturen wahrnehmen können. Alles das wird sicher kommen.

Das Interview führte Hauke Gerlof.

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